Sex wie die Tiere

Intensive Blicke im Liebesleben steigern zweifelsohne die Lust. Sie vertiefen die Bindung. Die Vor- und Nachteile von Sex ohne Blickkontakt seien im Folgenden näher beleuchtet.

von Dr. Monika Wogrolly © Bild: Matt Observe/News

Noah und Luise tun es. Er nimmt sie beim Sex von hinten. Sie keucht ins Kissen oder auf den Tisch, je nachdem wo der Schauplatz dieser buchstäblich penetranten Liebesstellung ist. Sie können nun gar nicht mehr "ohne" - das ist auch der Grund, sich beraten zu lassen: Man wünsche sich nur noch diese eine Position der Liebe. Optimal sei, wenn Luise etwas erhöht die tierische Vierbeinerstellung einnehme. Luise ist passiv, Noah aktiv, er lenkt, indem er ihre Hüften mit beiden Händen erfasst und bewegt, die Frequenz, das Tempo und den Tiefgang der Verschmelzung. Und hier nun die Vorzüge, aber auch kritischen Punkte der mithin animalischsten aller Sexstellungen, die vor allem im Tierreich verbreitet ist:

1. Die Verschmelzung wirkt tiefer und intensiver Was heikel daran ist: Manche Frauen sind durch mehr Tiefgang sensibler und schmerzempfindlicher. Daher muss der Mann trotz fehlenden Augenkontaktes auf der Gefühlsebene umso achtsamer und vertrauter mit seiner Partnerin sein. Sonst kippt die Beziehung von der gleichwertigen Ebene zweier selbstbestimmter Personen auf die Ebene eines bestimmenden hierarchisch übergeordneten Subjektes, das mit einem zum Objekt gemachten Partner oder einer Partnerin "verfährt", wie es ihm gefällt. Aber das Thema der Selbstbestimmung wird bei Sexstellungen wie der "Hündchenstellung" noch zentraler: Nur wenn die auf allen Vieren befindliche Person ihre Verantwortung für die Dauer des sexuellen Aktes bewusst vorübergehend abgeben möchte, ist das eine autonome Entscheidung. Dann und nur dann sind solche Stellungen und damit verbundene Sexpraktiken einvernehmlich möglich und eine bereichernde Spielart der Liebe.

2. Automatische G-Punkt-Stimulation Durch die stärkere Penetration mit dem Penis stehen die Chancen gut, den G-Punkt der Partnerin zu stimulieren, der etwa in der Missionarsstellung eher außen vor bleibt.

3. Verborgene Fantasien werden entfesselt Bei Blickkontakt mithin blockierte archaische Fantasien sind womöglich zugänglicher, wenn man gleichsam "zweisam, aber doch auch für sich" sein kann. Der Haken an diesem Zugewinn an Lust kann ein "psychologisches Fremdgehen" sein: Wenn man sich insgeheim jemand anderen vorstellt und den Partner oder die Partnerin nur als Mittel zum Zweck und nicht um der Person selbst willen "nutzt".

4. Man kann sich schneller fallen lassen Eher gerät man in einen sexuellen Flow, in eine Art Trance, die einen vom Alltag befreit, wenn man nicht durch den Anblick, das Mienenspiel oder die Augen des Partners abgelenkt wird oder sich gar "beobachtet fühlt" (in der Folge sich dadurch kritischer selbst beobachtet). Voraussetzung hierfür ist jedoch Vertrautheit, da es ansonsten reiner Objektsex ist, der dann zumeist momentan entspannend, aber nicht langfristig erfüllend wirkt.

Das Problem von "Sex wie die Tiere": Hier hat eine Entwöhnung stattgefunden, wenn mit Blickkontakt - von Angesicht zu Angesicht - gleichsam "gar nichts mehr geht". Eine Alternative zu dieser Fixierung wäre ein probates Mittel aus der Sexualtherapie: zur Abwechslung einander einmal die Augen verbinden. Oder Raum abdunkeln. Auch so schaffen Sie es, vom Alltag eher abzuschalten und unvermittelt ins Spüren zu kommen. Sie tasten, riechen und schmecken den Partner oder die Partnerin unmittelbarer und sind eher enthemmt, als wenn Sie sich mit den Augen in der Lust verzerrten Miene des Gegenübers verfangen - was allerdings für viele auch ein Booster der Leidenschaft sein kann. Daher Mut zur Abwechslung und zu Selbsterfahrungen in Sachen Liebesleben: Denn alles, was einvernehmlich und innerhalb gesunder Grenzen ohne unerwünschte Nebenwirkungen geschieht, ist erlaubt.

Haben Sie noch Fragen?
Schreiben Sie mir bitte: praxis <AT> wogrollymonika.at