Zweite Seite der Medaille

Wenn der Erfolg zuschlägt, kann man daran kiefeln. Der Sänger der finnischen Popsensation Sunrise Avenue, Samu Haber, dachte auf dem Zenit, alles sei vorbei

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Musik - Zweite Seite der Medaille

Der Vergleich überrascht. Popstar zu werden sei gar nicht so anders, als Kinder zu bekommen, erzählt Samu Haber. Er ist der große, blonde Sänger und Hitschreiber der finnischen Poprockband Sunrise Avenue, der mit eingängigen, pompös produzierten Hits seit elf Jahren die europäischen Pop-Charts fest im Griff hat. Vier Platinplatten, fünf goldene, ausverkaufte Hallen und enthemmte Fans zeugen davon. Im TV-Quotenhit "The Voice" vertraut man außerdem seit Jahren auf den Finnen als Jurymitglied, ist er doch ebenso prominentes wie witziges Zugpferd und soll mit seinem einschlägigen Wissen helfen, die Karrieren junger Talente zu befördern. Nein, Kinder hat er keine. Nur eine On-off-Beziehung mit dem finnischen Model Vivianne Raudsepp, über die er nicht so gern spricht.

Aber das mit den Träumen, die sich erfüllen, sei doch für jeden gleich, sinniert er im Gespräch. Dabei bleibt sein Optimismus ebenso unbeugsam wie das Lächeln auf seinen Lippen, selbst wenn er über Niederlagen und Tiefschläge spricht. "Vor ein paar Tagen habe ich mit einer wirklich guten Freundin ein paar Gläser Wein getrunken", erzählt er. "Sie hat immer davon geträumt, Mutter zu werden. In ihrer Vorstellung war sie umgeben von fröhlich spielenden Kindern, die sie abends friedlich ins Bett bringt. Aber nun sind da auch die Nächte, in denen die Kinder weinen, weil sie Ohrenschmerzen haben, und tausend andere Dinge. Genauso unterscheidet sich meine Realität auch von meinem Traum. Nur ist es bei mir halt darum gegangen, Popstar zu werden." Und das kann laut Haber ähnlich an persönliche Grenzen führen wie weinende Kinder mit Ohrenschmerzen. "Du denkst, du weißt, wie sich der Erfolg anfühlen wird, aber dann sind plötzlich überall Leute mit Smartphones, auf der Straße, am Flughafen, und Hallen mit Tausenden Fans und Awardshows, und ständig will jemand was von dir. Deine Welt ist plötzlich eine neue, und es ist schwer, jemand zu finden, der das versteht", sagt Haber. Es war der Punkt in seinem Leben vor zwei Jahren, als er sich in dem Rummel verlor. Der Popstar-Posterboy, bekannt für ungewöhnlich fröhliche Melodien aus dem skandinavischen Land, das eher für seine düsteren Rock und Heavy-Metal-Bands bekannt ist, musste herausfinden, worum es eigentlich geht in seinem Leben. Und wer er sei in dieser neuen Welt.

Scheitern gehört dazu

Davor liegt die klassische Popstarkarriere. Erst die Bandgründung 2002, dann die erfolglosen Jahre, in denen das finnische Publikum mit dem Gute-Laune-Sound nicht viel anfangen konnte. Dann der Einsatz allen Hab und Guts für den Traum: Keyboarder Jukka Backlund verkaufte glatt sein Haus, um mit dem Geld eine eigene Produktionsfirma gründen zu können. Den Durchbruch schafften Sunrise Avenue vier Jahre später mit dem Debütalbum "On The Way To Wonderland", das dank dem Hit "Fairytale Gone Bad" gleich europaweit die Charts eroberte. Auch das Scheitern mit dem zweiten Album ("Popgasm"), die Rückeroberung der Charts mit dem dritten Werk ("Out of Style") und das Feiern des wiedergewonnenen Erfolgs mit der vierten CD ("Unholy Ground") folgen in der Pophistorie bekannten Mustern. Erfolg. Eins auf die Nase kriegen. Sich zurückkämpfen. Aber was tun, wenn der Erfolg anhält und zur Sinnkrise führt?

Alleinsein als Therapie

Samu Haber erzählt es in den Songs des neuen Albums "Heartbreak Century", das abermals ganz vorne in den Charts rangiert, passend zur ausverkauften Tour (Wien-Termine am 21.11.2017 und 6.3.2018). Es beginnt mit dem Moment, als er Angst hatte, keine Songs mehr schreiben zu können, die Motivation verloren zu haben. "Das war ein Schmerz wie ein gebrochenes Herz. Ich hatte wirklich Angst." In "Never Let Go" singt er davon, dass er dachte, die Karriere könnte auch einfach vorbei sein. "Aber wenn es schon aus sein soll, dann will ich wenigstens darum gekämpft haben", sagt er über seine Betrachtung des Neustarts. Den Mut dafür sammelte er unterwegs. Haber reiste nach Berlin, Los Angeles, Kopenhagen und Australien. Lernte, einsame Abendessen in Restaurants zu schätzen, mit sich allein zu sein und wie schön es sich anfühlt, die Heimat zu vermissen. Nach einiger Zeit gelang es ihm wieder, die Gefühle in Lieder zu gießen.

Geblieben ist, neben dem aktuell abermals erfolgreichen Album, das Talent, Niederlagen als Geschenk zu erachten. "Jede Entscheidung erfordert Mut: umziehen, eine Beziehung beenden, einen neuen Job annehmen. Das Leben kann einem ganz schön Angst einjagen. Aber wenn du die Entscheidung erst getroffen hast, kämpfst du die nächste Schlacht auf neuem Boden, und das ist wundervoll!"

Gelungene Übung

Neuer Boden bedeutete für Haber: sich zu vergegenwärtigen, wie es damals war, als er seine Liebe zur Musik entdeckte. Als er gerade zwölf war und erste Songs schrieb und die Liebe mit 17 noch immer anhielt. Damals sei es entweder darum gegangen, sich durch Musik aufzumuntern, wenn es einem schlecht ging, oder Stimmung zu machen in guten Zeiten. "Das ist die Aufgabe, die Musik für mich hat. Ohne damit etwas Besonderes darstellen zu müssen", sagt er. Für das aktuelle Album ergaben sich daraus Geschichten zwischen Angst und Mut über seinen steinigen Weg zurück zur Musikleidenschaft. "Ich habe gemerkt, dass es immer noch so ist, dass ich zur Gitarre greifen und etwas komponieren muss, wenn die großen Gefühle hochkommen. Das war schön", erklärt der Finne. Zu seinen Gefühlen zu stehen, findet er wichtig. Es sei doch nicht ungewöhnlich, dass man mit 41 Jahren beginne, sein Leben zu hinterfragen, sagt er und findet es nur logisch, die großen Fragen auch mit seinem Publikum zu teilen.

Das Publikum schätzt es jedenfalls: Es brachte Habers Band Sunrise Avenue prompt auf vorderste Chartplätze und bescherte der TV-Show "The Voice Of Germany", die er als Coach bestückt, den besten Sendestart seit fünf Jahren (24,7 Prozent Marktanteil in der werberelevanten Zielgruppe). Den TV-Hit einmal mit einem seiner Schützlinge gegen die anderen Coaches zu gewinnen, bleibt nun bei seinem bereits vierten Versuch das Ziel. "Sonst bleibe ich in Berlin ewig der große Blonde, der jedes Jahr 'The Voice' verliert."

Neue CD

Sunrise Avenue gönnen ihrem Popsound auf "Heartbreak Century" eine gute Dosis Country und Elektro statt des gewohnten Rockpathos. Dazu erzählt Haber vom Leben und Überleben

© Universal

Wieder bei "The Voice"

Bereits zum vierten Mal ist Samu Haber Jurymitglied und Coach beim Quotenhit The Voice (donnerstags Prosieben, sonntags Sat.1, jeweils 20.15 Uhr). Diesmal will er mit einem Kandidaten aus seinem Team gegen die anderen Juroren (s. u.) den Sieg holen

© SAT.1/ProSieben/Richard Hübner Jurystars beim Quotenhit "The Voice": Mark Forster, Smudo und Michi Beck (Fantastische Vier), Yvonne Catterfeld, Samu Haber