Totentanz geschundener Seelen

Kentridge zeigt Bergs "Wozzeck" als Eifersuchtsdrama in apokalyptischem Szenario

Düster ist die Landschaft im Hintergrund, fragile Holzaufbauten, verfallene Häuser, Planken dienen als Straßen und verweisen auf eine Welt, in der es keinen Halt gibt. Bald huschen vermummte Figuren durch das Szenario, bald galoppiert ein klappriges, animiertes Pferd über eine Leinwand, Männerporträts mit Bleistift und Kohle gezeichnet, werden im Hintergrund auf eine Leinwand projiziert, zunächst blicken sie kämpferisch, nach und nach verlieren sie ihr Gesicht, sie sind zerschossen.

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Salzburger Festspiele - Totentanz geschundener Seelen

Dann wieder blinzeln überdimensionale Gasmasken aus dem Hintergrund dem Betrachter zu. Man ist in der Welt des südafrikanische Künstlers William Kentridge. Die Bühne (Sabine Theunissen) im Haus für Mozart birgt einen eigenen Kosmos, der vor Bildern zu zerbersten droht, aber dennoch nicht überfrachtet wirkt.

Georg Büchners geschundene Soldatenfigur Woyzeck, die ständige Demütigungen und Armut zum Mörder an der Mutter seines Sohnes werden lassen, hat Alban Berg zum Soldaten Wozzeck vertont.

William Kentridge ergänzt mit seinen starken Bildkreationen Musik und Literatur zum Gesamtkunstwerk. Im Zentrum seines Kosmos steht das Paar Wozzeck und Marie. Die beiden sind zu schwach, um Obrigkeiten, wohlhabenderen, vom Leben Begünstigteren Widerstand zu leisten. Sie lässt sich verführen, er ermordet sie aus Eifersucht. Wozzeck und Marie bilden bei Kentridge das Zentrum, er zeigt sie als Menschen aus Fleisch und Blut. Die anderen sind für den Künstler Dämonen, Wie Puppen aus einer anderen Welt agieren sie, greifen in das Leben dieser zwei Menschen ein. Deren Kind ist tatsächlich eine Puppe, die mit großen Augen am Ende allein in eine düstere Welt blicken wird. Das berührt.

Kentridge zeigte bereits bei Wiener Festwochen anno 2014, im ersten Jahr der Intendanz von Markus Hinterhäuser, wie sich Musik bebildern lässt. Er schuf damals zu Franz Schuberts "Winterreise" animierte Zeichnungen. Künstler Kentridge, Sänger Matthias Goerne und Pianist Markus Hinterhäuser machten aus dem Liedzyklus ein Gesamtkunstwerk.

Sein außerordentliches Gespür für Musik, zeigt Kentdrige auch bei Bergs "Wozzeck". Jede Szene, jede Bewegung, jede Geste der außerordentlich geführten Figuren ist aus der Partitur generiert. Kongenial vereint er seine Bilderwelt mit jener von Büchner und Berg. So etwa lässt er zu Beginn nicht das übliche Szenario vom Wozzeck, der den Hauptmann rasiert, entstehen. Bei ihm ist Wozzeck der Untergebene, der seinem Vorgesetzten einen Film aufführt. Der zeigt Bilder von Kentridge. Und flugs ist man in der Fantasiewelt des Künstlers, die hier ihre Figuren in den Ersten Weltkrieg führt.

Regie und vor allem Personenführung wirken so, als wären sie mit Dirigenten Vladimir Jurowski präzise auf dem Reißbrett entworfen. Ebenso, aber dennoch mit Ausdruck wird gesungen. Matthias Goerne lebt Wozzeck. Mit seinem unverkennbaren Bariton, seinem edlen Timbre gestaltet er diese Figur, dass einen anders wird. Fulminant seine Stimmführung, wenn er zum Mord an Marie ansetzt.

Asmik Grigorian stellt mit klarem Sopran eine starke junge Frau dar. Auch die anderen im Sänger-Ensemble agieren und singen auf höchster Qualitätsstufe: Gerhard Siegel als Hauptmann, Peter Mauro als Andres, der dämonische Jens Larsen als Doktor. John Daszak zeigt den Tambourmajor wie eine Gestalt aus seiner anderen Welt. Frances Pappas ist komplettiert als Margret.

Die Wiener Philharmoniker können unter dem feinsinningen Dirigat von Vladimir Jurowski ihre Kernkompetenzen bei einem der Schlüsselwerke der Wiener Moderne ausspielen. Da wird jedes Solo zum Ereignis. Da passt alles auch, auch das Schlussbild. Den musikalischen Epilog zeigt Kentridge als gewaltigen Totentanz. Eine zerschlissene, verarmte Gesellschaft walzt sich in den Untergang. Zurück bleibt ein einsames Kind.