Goran Djuricin:
Glücklich - trotz allem

Rapid-Trainer Goran Djuricin kämpft mit seinem Verein gegen den Abstieg aus der Bundesliga. Doch da er selbst schon viel weiter unten war, kann ihn das nicht mehr ernsthaft erschüttern

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Glücklich - trotz allem © Bild: Copyright 2017 Matt Observe - all rights reserved.

Sein Lächeln wirkt unerschütterlich und er selbst tiefenentspannt wie frisch vom Wellness-Wochenende - dabei durchlebt Goran Djuricin als Fußballtrainer gerade seine Schicksalstage: Siegen oder Fliegen? Schafft er es binnen weniger Wochen, sich an der Spitze eines Topvereins zu etablieren, oder bleibt er ein Lückenbüßer, eine belanglose Randnotiz in künftigen Rapid-Jahrbüchern?

Erst zu Beginn der Karwoche wurde der 42-jährige Wiener mit serbisch-kroatischem Hintergrund zum Chefcoach des SK Rapid bestellt. Sein Vorgänger und ehemaliger Vorgesetzter, Damir Canadi, war nach einer Niederlagenserie gefeuert worden, nun steht Djuricin als dessen bisheriger Co-Trainer voll in der Verantwortung.

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"Das Wichtigste ist, dass ich die Köpfe der Spieler freibekomme. Hochkonzentriert müssen sie sein, aber auch angstfrei", sagt Djuricin. Denn was Angst in einem Menschen auslösen kann, dass weiß er selbst am besten. "Ich war schon ganz unten", erzählt er. Nicht in der Bundesliga-Tabelle, sondern im Leben. "Ich spreche hier nicht von sportlicher Abstiegsangst, sondern von nackter Existenzangst."

Menschlicher Motivator

Doch darüber redet Djuricin mit seinen Spielern nicht, noch nicht. Zunächst probiert er das, was jede Nummer zwei macht, die über Nacht zur Nummer eins wird: Er versucht, den Druck, der sich durch die Strenge, die Autorität, die Systemversessenheit des Vorgängers im Team aufgestaut hat, durch seinen kumpelhafteren Zugang auszugleichen. "Menschlichkeit ist einer meiner zentralen Werte", sagt er.

"Gogo" nennen sie den Mann mit der markanten Kurzhaarfrisur innerhalb der Mannschaft und dürfen ihren Übungsleiter plötzlich auch duzen. Das Team, so der Plan, werde besser spielen, sobald es unverkrampfter agiert - Trainereffekt nennt man das im Fachjargon. Allein, das Team spielt nicht besser, und der Trainereffekt ist längst verpufft: ein Sieg und zwei Niederlagen, das ist Djuricins magere Bilanz in der Meisterschaft, nur noch sechs Punkte trennen den Rekordmeister aus Hütteldorf von einem Abstiegsplatz.

Rapids Sportchef Fredy Bickel sondiert bereits offen Djuricins mögliche Nachfolger, in den kommenden Tagen will er dem Vorstand eine Liste mit zehn Namen präsentieren. Die grün-weiße Legende Andreas Herzog soll sich dem Vernehmen nach auf dieser Shortlist befinden, auch der Vorarlberger Adi Hütter, der derzeit in Bickels Schweizer Heimat bei den Young Boys Bern erfolgreich ist. Aber auch Djuricin selbst sei noch im Rennen und könnte somit in der Sommerpause zum Nachfolger seiner selbst avancieren. Doch das gilt als unwahrscheinlich. Das weiß Djuricin - und lächelt trotzdem.

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"Was immer im Sommer mit mir beruflich passiert, ich bin ein glücklicher Mensch, und daran wird meine künftige Position nichts ändern", sagt er.

Wenn seine Spieler weiter verlieren sollten, wird er wohl beginnen, ihnen von sich selbst zu erzählen. "Damit sie das, was sie gerade durchmachen, relativieren."

Er wird ihnen die Geschichte eines Teenagers aus Kaisermühlen erzählen, der mehr oder weniger unbeaufsichtigt auf der Straße aufwuchs. Mit fünf seiner zehn Geschwister und der Mutter wohnte Djuricin in einer Zimmer-Küche-Kabinett-Wohnung mit Klo und Wasser am Gang. Der Vater starb, als der Sohn 13 war. "Ich war mir selbst überlassen, habe Gas gegeben und getan, was ich wollte." Djuricin sah, wie Freunde an Drogen starben, doch er selbst ließ als talentierter Kicker die Finger von dem verlockenden Zeug. "Meine Freude am Sport hat mich damals sicher gerettet."

Das Gesetz der Straße

Djuricin machte als Fußballprofi Karriere. Er war weg von der Straße, verdiente jede Menge Geld, doch die Straße und deren Gesetze blieben in seinem Kopf. "Statt zu sparen, habe ich das Geld rausgeworfen." Mit 25 jedoch war die Profikarriere wegen hartnäckiger Verletzungen vorbei und Djuricin plötzlich arbeitslos. "Ich war planlos, traurig, perspektivenlos - und hatte am Konto ein Dauerminus." Was noch dazukam: Der Ex-Kicker war bereits mit 18 Jahren Vater geworden, trug gemeinsam mit seiner Frau Katharina schon als Teenager die Verantwortung für eine Familie. "Ich habe meinen Frust über das Karriereende durch Fortgehen kompensiert, meine Frau ging arbeiten, um die Familie zusammenzuhalten." Damals sei seine Angst vor dem Versagen, vor dem Scheitern entstanden.

Ein guter Freund verhalf Djuricin schließlich zu einem Job in der Pensionsversicherungsanstalt, aus dem verwöhnten Star war eine kleine Kanzleikraft geworden. "Ich bin noch heute unendlich dankbar für diese Chance - doch am Anfang war da in mir noch ein Hauch von Arroganz, die sich dagegen sperrte, Zettel zu schlichten und Befehle entgegenzunehmen."

Rapids nunmehriger Cheftrainer jobbte zähneknirschend als Aktenschlichter und machte nebenbei seine Trainerausbildung. Nach mehreren Stationen bei unterklassigen Vereinen engagierte ihn schließlich der ASK Ebreichsdorf als Coach. Unter seiner Führung warf der Regionalligist immerhin den Bundesligaverein SC Altach aus dem Cup - und ein gewisser Damir Canadi, damals noch Altach-Trainer, wurde auf Djuricin aufmerksam: Als Canadi schließlich Cheftrainer bei Rapid wurde, engagierte er Djuricin als Assistenten. Seinen Job bei der Pensionsversicherungsanstalt hat er deswegen aber nicht aufgegeben, derzeit ist er nur karenziert.

"Heute bin ich mit mir im Reinen, egal, ob meine Zukunft bei Rapid liegt oder in der Pensionsversicherungsanstalt", sagt Goran Djuricin. Dass er gewonnen hat, weiß er -auch wenn noch unklar ist, ob sich sein Sieg in Toren messen lässt.