Nach dem "Triell" ist vor der Telekratie

Erst sorgte der schon abgeschriebene Olaf Scholz fürs Umfrage-Morgenrot. Dann schnitt der SPD-Mann im "Triell" deutscher Kanzlerkandidaten gut ab. In Österreich hat das kaum jemand gesehen. Wir pflegen selbstbezogene "Sommergespräche".

von Medien & Menschen - Nach dem "Triell" ist vor der Telekratie © Bild: Gleissfoto

Die Welt blickt verblüfft nach Deutschland. Zu einem Wahlkampf um Bundestag und Kanzlerschaft mit rekordverdächtig vielen Wendungen. Auf den längst abgeschriebenen roten Kandidaten, gegen dessen Auferstehung Phönix aus der Asche eine lahme Ente war. Olaf Scholz hat die SPD in Front gebracht. Ausgerechnet diese personifizierte Langeweile ist die Lokomotive für eine irrlichternde Sozialdemokratie. Ein rotes Momentum, wie es gefühlt ewig keines mehr gegeben hat -seit dem Kern-Effekt 2016 und dem Schulz-Zug 2017. Der Absturz dieser Lichtgestalten aus den Seifenblasen verweist aber auch auf die Haare in der kaffeesudtrüben Suppe: Umfragen sind Momentaufnahmen.

Meinungserhebung steigert Interesse. Kopf-an-Kopf- Vorhersagen sind ein Turbo für Einschaltquoten, Verkaufsauflagen und digitale Interaktion. Marktforschung ist ein Verbündeter von Medien. Beide können nicht ohne einander. Deshalb brachte das erste "Triell" zwischen Armin Laschet, Annalena Baerbock und Olaf Scholz RTL am Sonntag fünf Millionen Zuschauer in Deutschland. Darum wurde sofort per Umfragen erhoben, dass das Publikum den Roten vor der Grünen und dem Unionspolitiker sah. Bestätigung der Prognose durch Fernsehen ist eine Selbstbeglaubigung der Meinungsforschung.

Doch erst die Nachberichterstattung über ein Medienereignis wie das "Triell" lässt es wirklich Wahlen beeinflussen. Aus diesem Blickwinkel lieferte die Aufregung über das plötzliche Morgenrot ein gutes Thema für das "Sommergespräch" von Lou Lorenz-Dittlbacher mit Pamela Rendi-Wagner tags darauf im ORF. Warum weder die eine in ihren Fragen noch die andere mit den Antworten auf Deutschland eingegangen ist, bleibt vorerst unverständlich. Ein Blick auf die Quoten in Österreich rehabilitiert jedoch beide. Die RTL-Nachbetrachtung hatte nur 41.000 Seher, die Sendung davor noch weniger.

So war dieser vorletzte Traditionstalk zur Urlaubssaison vor allem ein Dokument austriakischen Andersseins. Sein Kern liegt in einer politischen Selbstbezogenheit, die lediglich der ORF durch markant externe Themensetzung verändern kann. Bisher hat er es mit Deutschland nicht getan. Auch wegen Afghanistan. Allzu viel Außenpolitik zieht hier nicht. Das ist paradox angesichts von Sehgewohnheiten, an denen nach ORF und eigenem Privat-TV zu mehr als der Hälfte deutsche Sender Anteil haben.

Am Beispiel der "Trielle" - jene von ARD/ZDF und ProSieben Sat.1 folgen noch -offenbaren sich aber auch grundsätzliche nachbarliche Unterschiede im Verhältnis von Politik und Medien. Was heimische Beobachter als wohltuende Sachlichkeit empfinden, kann auch als Rückstand auf die fortgeschrittene österreichische Telekratie interpretiert werden. Gegen die hiesige Duell-und Elefantenrunden-Inflation in Wahlzeiten wirkt die wesentlich vielfältigere Fernsehlandschaft im großen Deutschland noch entwicklungsfähig. Dort agierte auch Kanzlerin Angela Merkel seit jeher auf TV-Sparflamme.

Sebastian Kurz hingegen nahm der televisionären Erscheinung eines Regierungschefs ab der Coronakrise die Besonderheit. In Kombination mit der neuen Livestreaming-Manie geriet er zum täglichen Bildschirmgast. Eine Gewohnheit, die Abwesenheiten wie diesen Sommer erst wegen Krankheit und dann infolge Urlaubs geradezu abnormal wirken ließ. Wenn Kurz am Montag zum "Sommergespräch" im ORF antritt, könnte es ein Markstein zum strategischen Kommunikationswechsel sein. Er hat ihn mit weniger Auftritten im weiteren Pandemieverlauf angedeutet. Seine baldige Vaterschaft wäre ein oberflächliches Argument für Rückzug. Das tiefer gehende liefert der Dreikampf von Scholz, Laschet und Baerbock. Kurz hat noch keinen Herausforderer auf Augenhöhe. Je öfter sich der Kanzler in die Arena der Kandidaten herablässt, desto mehr Möglichkeiten gibt er ihnen. Vor allem deshalb ist das letzte "Sommergespräch" interessant. Danach blickt auch Österreich gebannt nach Deutschland.