Paulus Manker - Für immer wild

Den Katastrophen entstieg er stets unbeschädigt, der Ruf des genialen Wahnsinnigen hat ihm in der Branche mehr geschadet als beim Publikum: Der Schauspieler, Regisseur und Impresario Paulus Manker wird 60 und bereitet ein riesiges Projekt vor - wie immer auf existenziellem Risiko

von Chapeau & Champagner! - Paulus Manker - Für immer wild © Bild: News Reich Sebastian

Immer hart am Abgrund entlang. Aber wenn man den erst überwunden hat: Chapeau und Champagner! Und dann gleich im Höllentempo auf den nächsten Abgrund zu. Also bringt der Schauspieler, Regisseur und Impresario Paulus Manker im Sommer ein Projekt zur Uraufführung, das schon unter dramatischen Umständen gescheitert schien: Die Weltkriegsapokalypse "Die letzten Tage der Menschheit", von ihrem Verfasser Karl Kraus selbst als unaufführbar qualifiziert, sollte schon 2014 über der Serbenhalle in Wiener Neustadt aufziehen. Dann geriet Manker mit dem Eigner der Immobilie ins Hadern. Auf dem Höhepunkt der Meinungsverschiedenheiten legte er nächtens mit einer Lokomotive ein Hallentor um, ob absichtlich oder unabsichtlich blieb Ansichtssache der Streitparteien.

Das war Ende 2015. Das dampfgetriebene Corpus Delicti hat Manker, Inhaber eines gültigen Lokomotivführerscheins, mittlerweile für 20.000 Euro erworben, dem Gerät werden in der Kraus-Produktion maßgebliche Aufgaben zufallen. Was war noch dazwischen? Ein Privatkonkurs im November 2015, die fristlose Entlassung aus einem Martin-Luther-Projekt bei den Festspielen von Bad Hersfeld durch den Filmregisseur Dieter Wedel im Juni 2017. Kurz zuvor der Tod der Mutter, der bedeutenden Schauspielerin Hilde Sochor. "Sie war müde und hat diese Welt verlassen", sagt Paulus Manker. All das ereignete sich im Zeitraum von zwei Jahren.

60 Jahre Manker

Am 25. Jänner wurde er 60 und zitiert auf Anfrage sein eigenes Lebensprojekt "Alma", jenes stilbildende Stationentheater um die Prominentenmuse Alma Mahler-Werfel, mit dem er seit 1996 die Kontinente bereist: "Wenn Sie über fünfzig sind und Sie wachen ohne Schmerzen auf", sagt da Freud zu Gustav Mahler, "dann können Sie sicher sein, dass Sie tot sind."

Der anderen Unzukömmlichkeiten hat er sich in unglaublichem Tempo entledigt: Mit dem Serbenhallen-Eigner kam ein gerichtlicher Vergleich samt Spielgenehmigung zustande. Und der Privatkonkurs, der üblicherweise Jahre der Pfändung aufs Existenzminimum nach sich zieht, war nach vier Monaten abgewickelt.

Und sonst? Champagner der Marke Pol Roger, den schon Winston Churchill und die Söhne des emeritierten Diktators Saddam Hussein schätzten: Damit, sagt Manker mit der ihm eigenen scharfen, provozierenden Ironie, könne man sich gegen das siebente Lebensjahrzehnt wappnen. Und, wichtig: "Fast nichts arbeiten. Man zahlt mir ja schon, dass ich nicht mitspiele." Selbst das könnte mehr als eine Pointe sein: Manker hat Wedel und die Hersfelder Festspiele auf Auszahlung der Gage verklagt, die Chancen sollen gut stehen.

Während sich also Bedrohungen, vor denen die meisten kapituliert hätten, wie unter dem Einfluss eines höheren Protektors auflösten, ist der Abgrund schon wieder in Rufdistanz: Das Land Niederösterreich fördert "Die letzten Tage der Menschheit" nicht, 200.000 Euro fehlen.

»Pröll hat einem die Hand gegeben, und zwei Wochen später war das Geld da. Das ist der Vorteil von aufgeklärtem Absolutismus«

Erwin Pröll, sagt Manker, habe über seine Stiftung noch die Vorbereitungsarbeiten finanziert und mit der Bemerkung "das machen wir allein" Unterstützung zugesagt. "Pröll hat einem die Hand gegeben, und zwei Wochen später war das Geld da. Das ist der Vorteil von aufgeklärtem Absolutismus", fügt er hinzu. "Das Land Niederösterreich unter Mikl-Leitner ist nicht mehr dabei, das habe ich vor zwei Tagen erfahren. Das Projekt muss sich selbst finanzieren." Ist das nicht eine Arbeit auf gewaltigem Risiko?"Ich arbeite immer auf gewaltigem Risiko", sagt er. Existenzangst sei der tägliche Begleiter. "Es wird in Selbst-und Fremdausbeutung münden, wie immer. Die Politiker sind immer der Meinung, die Künstler brauchen kein Geld, die machen das eh. Bei uns setzt man die Selbstausbeutung voraus, weil wir von dem, was wir tun, besessen sind."

Jelineks Geburtstagsgruß

"Der Paulus ist ein großer Schauspieler", übermittelt Elfriede Jelinek dem Hauptdarsteller der Verfilmung ihres Romans "Die Ausgesperrten"."Er ist halt auch sehr, vielleicht zu intelligent, und mit solchen Leuten hat man es nicht leicht, egal, wo. Er ist sein eigenes Korrektiv, und das ist oft strenger, als der Regisseur es wäre. Jedenfalls möchte ich ihn, bevor ich sterbe, noch gern als Richard III. sehen. Wenn der Regisseur das überlebt, könnte es großartig werden. Und ich würde den Regisseur danach sogar im Irrenhaus besuchen."

»Ein großer Schauspieler, vielleicht zu intelligent«

Elfriede Jelinek

Die Nobelpreisträgerin bringt das Phänomen auf die Formel: Keiner hat Manker je die schauspielerischen Fähigkeiten abgesprochen. Aber die großen Bühnen vermieden zuletzt die Zusammenarbeit: Manker wird zusehends sein eigener Arbeitgeber. Denn Manker ist ungreifbar: ein Charismatiker von beträchtlichem Charme, der allerdings bisweilen den Anziehungskräften von Shakespeares königlichem Mörder Richard III. zum Verwechseln gleicht. Dann wieder von selbst- und fremdzerstörerischer Aggressivität, die sich bevorzugt gegen Autoritäten richtet.

"Je mehr Künstler, desto mehr Meise", zitiert der frühere Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann eine tradierte Branchenwahrheit. "Er beweist, dass beide in kausalem Zusammenhang stehen." Hartmann hatte Manker 2010 nach langer Absenz für eine Koproduktion von Racines "Phädra" an die "Burg" und zu den Salzburger Festspielen geholt. Streit und Abgang folgten zeitnah. "Er ist ein toller Künstler, der in unendliche Abgründe schaut", sagt Hartmann. "Er muss dafür auch zahlen, und die anderen haben ihr Vergnügen daran."

Und Michael Haneke, der ihn für fünf Filme engagierte: "Er ist eine ungeheure Persönlichkeit, ein toller Schauspieler. Es gibt wenige von seinem Gewicht, und wenn es wieder eine Rolle für ihn gibt, bin ich der Erste, der an ihn denkt. Dass er seine Kanten hat, wissen wir alle, aber das ändert nichts an seiner Qualität."

»Es gibt wenige Persönlichkeiten von seinem Gewicht«

Michael Haneke

"Ich war asozial", beantwortet Manker die tiefenpsychologisch motivierte Frage nach der Kindheit. "Ich war in der Schule schlimm und schlecht, eine verheerende Kombination. Ich habe mit Zirkeln auf Mitschüler geschossen, und die Zirkel sind in den Oberschenkeln stecken geblieben." So flog er aus einer Schule nach der anderen, hatte einen Vierer in Betragen und am Ende bundesweites Schulverbot. Die Maturaschule Dr. Roland blieb als letzter Ausweg. "Und dort habe ich die Matura in Rekordzeit nachgeholt, denn es herrschte ein vernünftiger Umgang mit den Schülern. Ich hatte nur einen angeborenen Widerwillen gegen selbst ernannte Autoritäten." Wurde das sein Lebensprinzip? "Es ist dazu geworden."

Gern wird in seinem Lebenszusammenhang das Klischee vom Prominentenkind bemüht. Der Vater war der Volkstheaterdirektor Gustav Manker, ein für seine Strenge gefürchteter Regisseur, und die Mutter weit mehr als die Volksschauspielerin, die man in ihr sah. Spielte sie in der Regie des Ehemanns, waren die Partner erleichtert, weil er alle Strenge auf die eigene Frau konzentrierte. "Wir hatten eine gute Kindheit", sagt Manker über sich und seine beiden Schwestern. Mit sechs Jahren saß er erstmals in einer Loge des Volkstheaters. Er sah seine Mutter in Brechts "Der kaukasische Kreidekreis" mit dem Löwenmut der Verzweiflung um ein Kind in seinem Alter kämpfen, und da war es um ihn geschehen. Zu Hause an der feinen Innenstadtadresse verkehrte das Beste der jüngeren österreichischen Theatergeschichte.

War der geniale Anarchist Helmut Qualtinger zu Besuch, sah die Wohnung am nächsten Morgen aus, als wäre sie von der Terrororganisation Al Kaida heimgesucht worden.

Terror am Seminar

Der Studienkollege Gabriel Barylli erinnert sich, wie sie einander in den Armen lagen, als sie -20 von 600 Bewerbern - die Aufnahmsprüfung ans Reinhardt-Seminar bestanden hatten. Barylli schloss ab, Manker flog vorzeitig. Zuvor entfesselten die beiden einen institutshistorischen Eklat: Um die Glaubhaftigkeit des Erlernten zu erproben, simulierten sie die Entführung des Kollegen Michael Wallner auf offener Hietzinger Hauptstraße. "Leider am Tag der Entführung des italienischen Ministerpräsidenten Aldo Moro", fügt Manker hinzu. Für das Experiment hatten die drei den Wagen von Baryllis Vater, des Philharmonikers Walter Barylli, zweckentfremdet.

Der namhafte Violinvirtuose wurde deshalb um vier Uhr morgens von der Terrorabwehr mit ausgefahrenen Maschinengewehren aus dem Bett geholt.

"Er ist von seinen Absolutheitsansprüchen besessen", sagt Barylli. "Das macht ihn für Leute, die sein Tempo nicht mithalten können, schwierig." Manker war gut, und als ihn der Halbjahrhundertregisseur Peter Zadek 1986 für drei Jahre in sein Hamburger Ensemble holte, war er an der Spitze. Doch eine spätere Fortsetzung der Zusammenarbeit mit Zadek an den Münchner Kammerspielen endete im Eklat mit dem Ensemble. "Ich kenne keine einfachen Wege", sagt der "große Ablehner" (Selbstdefinition). "Ich habe sie nie beschritten, insofern fehlen sie mir nicht. Die schönste Zeit war trotzdem immer im Ensemble. Aber es gab nach Zadek kein Ensemble, das mich so gereizt hätte, dass ich mich ihm vollständig hingegeben hätte."

»Er zahlt für seine Abgründe, wir haben unser Vergnügen dran«

Matthias Hartmann

Und da war, immerhin, das Burgtheater unter den Direktoren Achim Benning, Claus Peymann, Klaus Bachler und Matthias Hartmann. Aber nie wieder wurde es wie mit Zadek, mit dem er sich zu sechs Inszenierungen traf. "Dass die Eigenverantwortung erpresserisch hoch ist, habe ich bei Zadek gelernt. Ich hätte nie solche Dinge wie 'Alma' machen können, wenn ich diese Schule nicht gehabt hätte. Er hat wochenlang nur geschwiegen. Aber wenn er nach zwei Wochen etwas gesagt hat, war das wie eine Bombe. - Als Regisseur kann man nicht launisch sein und Allüren haben", argumentiert er gegen sein eigenes Klischee eines Diktators. "Nur: Wenn ich weiß, ein Schauspieler kann zwei Meter springen, aber er springt nur 1,80, werde ich nicht ruhen, bis ich die zwei Meter aus ihm herausgeholt habe. Die Wege sind vielleicht nicht immer elegant bei mir."

Und doch erklärte sich die Theater-Elite für ihn, als 2005 das Volkstheater zur Neubesetzung anstand. Claus Peymann, Christoph Schlingensief und Gert Voss hätten ihn gern als Direktor gesehen. Aber die Kulturpolitik wagte den Schritt nicht.

"Windmühlenkämpfer"

Seine privaten Umstände hält Manker aus den öffentlichen Debatten. Gewiss, es gab spektakuläre Schönheiten an seiner Seite. "Als Freund solidarisch und verlässlich - als Gegenüber provokant und amüsant - als Theaterbesessener zärtlich und rücksichtslos - als Ritter zuweilen gegen Windmühlen kämpfend - Chapeau!", charakterisiert die Schauspielerin Andrea Eckert den früheren Lebensgefährten.

© NEWS Ehm Ian Ein König im eigenen Reich: Die Eignung für Ensembles ist geringer geworden

Die Eignung als korrektheitstechnische Lichtgestalt spräche man ihm nicht auf Anhieb zu. Doch er erklärt sich überraschend zum Metoo-Enthusiasten und tadelt auch Nina Proll, die der "größten sozialpsychologischen Bewegung seit den Sechzigerjahren" in den Rücken gefallen sei. "Ich wäre gerne ein Frauenverächter, aber ich habe keine Chance. Ich besuche auch machistische Selbsthilfegruppen, denn wenn man es nicht wirklich praktiziert, verkommt das. Aber im Ernst: Mit dieser Metoo-Debatte sind neue Zeiten angebrochen, weil es gewisse Dinge einfach nicht mehr geben wird. Wo man hinspuckt, kommt nicht nur ein Fall auf, sondern gleich zwei Dutzend. Aber es sind nicht nur die Taten selbst, die schockieren, sondern auch die untätigen Mitwisser. Sogar Tarantino hat nichts unternommen, als seine Freundin von Weinstein belästigt wurde. James Levine hat mich als Jugendlichen übrigens auch angebaggert", kommt er auf den gefallenen Dirigenten.

Die Bewegung ist seinem Herzen womöglich noch näher, seit der Filmregisseur Dieter Wedel ("Der große Bellheim", "Der König von St. Pauli") in ihren Sog geraten ist. Wedel warf ihn im vergangenen Sommer aus einem Hersfelder Luther-Projekt, laut Manker unter dem fadenscheinigen Vorwand der Arbeitsverweigerung. Nun melden sich Frauen, die Wedel bedrängt und gedemütigt haben soll. "Genau das habe ich auch erlebt. Er hat mich nicht belästigt, aber zu demütigen versucht. Männer wie er haben eine Autoritätsneurose. Er ist ein lächerlicher Mensch, eine Karikatur seiner selbst, kein Regisseur, denn er hat von Menschenführung keine Ahnung."

Für Kurz, gegen Kickl

Bleibt die Innenpolitik zu erörtern, über die sich zahllose Künstler erbittern. Manker will Ergebnisse abwarten und lobt den neuen Ton, "egal, ob er erzwungen, aufgesetzt oder ehrlich ist". Die Menschen hätten die davor praktizierte Gesprächskultur als abstoßend empfunden. "Kurz kann man alles vorwerfen, aber nicht, dass er keinen Stil hat. Es gefällt den Leuten sehr, dass zwei Koalitionspartner vors Mikrofon treten und sich nicht sofort mit Dreck bewerfen. Das findet der einfache Mann auf der Straße toll, weil er sich auch in der eigenen Familie oder am Arbeitsplatz genau danach sehnt. Mich stört allerdings der Herr Kickl", fügt er sogleich hinzu. "Ich frage mich, warum unser Herr Bundespräsident, der eine Blacklist mit den Krampussen dieser Aufsteigerpartei erstellt hat, den da nicht draufgesetzt hat. Das ist doch der Schlimmste. Der hätte jedenfalls auf diese Liste gehört. Der ist der Erfinder des schlechten Stils in der Politik, die Hetzfigur, der Gottseibeiuns, auch wenn er so viel Kreide frisst, dass er sie schon nicht mehr schlucken kann." Keine Sympathie empfindet er auch für Strache, den "alternden Skifahrer, den Hansi Hinterseer der Regierung".

»Kickl ist der Schlimmste, die Hetzfigur, der Gottseibeiuns«

Hoffnungen in die SPÖ versagt er sich. "Weil sie charakterlos und ohne Rückgrat ist. Wir wissen, wie sich die während der Koalitionsvorbereitungen benommen haben. Die hätten sich von jedem vögeln lassen, nur um an der Macht zu bleiben. Sie haben sich Strapse und Mieder angezogen, nur um für einen Koalitionspartner begehrenswert zu bleiben. Jetzt sollen sie drei Monate die Pappen halten. Opposition ist keine Notlösung, sondern eine Überzeugungstat. Opposition muss aus dem Herzen kommen." Die Sympathien für die Grünen hingegen bezeichnet der praktizierende Aubesetzer des Jahres 1984 als intakt.

Womit, abermals gegen sämtliche Ströme des Zeitgeistes, alles gesagt ist.