Gralshüter in Haft

Kirill Serebrennikovs "Parsifal"-Inszenierung an der Wiener Staatsoper

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Opernkritik - Gralshüter in Haft © Bild: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Stille sollte nach dem ersten Aufzug von Wagners "Parsifal" herrschen. Kein Applaus, keine Bravos, nichts. Das hat Richard Wagner so gewollt. Kenner wissen das. Bei der ersten Aufführung der der Neuproduktion an der Wiener Staatsoper vor Publikum - die Premiere konnte Pandemie-bedingt in der vergangenen Saison nur gestreamt werden - war alles anders. Dumpfes Gegröle, Buhrufer, protestierten gegen Kirill Serebrennnikovs Inszenierung. Andere protestierten gegen die Protestierer. Fast wie in alten Zeiten. Einer aber hatte es verstanden, diese Störer zum Schweigen zu bringen. Als vor dem dritten Aufzug von rechts "Mistinszenierung!" gebrüllt wurde, kam die Antwort von links in bestem Wienerisch "Dann geh ham!". Der zweite Ruf wurde beklatscht. Am Ende gab es kein einziges Buh, was auch an der musikalischen Qualität lag.

Aber der Reihe nach. Was regt bei Inszenierung so auf? Kirill Serebrennnikov, weltweit gefeierter und gefragter Regisseur, verlegt die Gralsburg in ein Gefängnis. Warum nicht? Noch berührender aber, wenn der, dem das Werk anvertraut ist, den Schmerz und das Leiden, von dem er auf der Bühne erzählt, selbst erfahren musste. 2017 wurde dem Theatermann und Filmemacher Veruntreuung staatlicher Fördermittel in der Höhe von 1,6 Millionen Euro vorgeworfen. Der Pass wurde ihm entzogen, das Reisen war ihm untersagt, der Staatsanwalt forderte sechs Jahre Lagerhaft. Serebrennikov bekannte sich nicht schuldig. Schriftsteller, Künstler, Theaterleute aus aller Welt solidarisierten sich mit ihm, unter ihnen Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, der Direktor der Berliner Schaubühne, Thomas Ostermeier, und der designierte Jedermann Lars Eidinger.

© Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Seither darf er sein Land nicht verlassen. Er gab seine Anweisungen online. Das Ergebnis ist überwältigend. Präzise Personenführung, Projektionen von Häftlingen, die Symbole aus dem Grals-Mythos als Tattoos tragen, die Geschichte über Erlösung wird für die heutige Zeit begreifbar gemacht. Kundry ist ein Journalistin. Sie dokumentiert die Geschehnisse im Gefängnis. Klingsor ist ihr Chefredaktur, sein Schloss die Redaktion. Das funktioniert glänzend.

Erzählt wird die Geschichte im Rückblick. Geschundene Kreaturen sind da zu sehen, und famose Sänger auf der Bühne zu erleben. Allen voran Georg Zeppenfeld als feinsinnig intonierender und artikulierender Vorzeige-Gurnemanz.

© Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Den jungen Parsifal spielt stumm Nikolay Sidorenko. Ein exzellenter Darsteller, der durch seine intensive Körpersprache und Mimik das Wesen des sich zum Gralskönig wandelnden Toren deutlich macht. Gesungen wird die Partie von Brandon Jovanovich, der im dritten Aufzug den gereiften Parsifal spielt und singt. Mit seinen sängerischen Kräften muss er haushalten, überzeugt aber mit seinem klaren Tenor. Anja Kampe ist eine erstklassige Kundry, stimmlich und darstellerisch. Wolfgang Koch ist Amfortas, der von Schmerzen geplagte, sich nach Tod und Erlösung verzehrender Gralskönig und der Zauberer Klingsor. Wandlungsfähigkeit, Wortdeutlichkeit und eine kraftvolle Stimme zeichnen diesen Sänger aus. Wolfgang Bankl ergänzt aus dem Off hervorragend als Titurel. Exzellent agiert der Chor. Dieser „Parsifal“ lässt nur einen Wunsch offen, dass er möglichst oft gespielt wird. So ist auch das einige Beklagenswerte, dass er in dieser Spielzeit nicht mehr auf die Bühne kommt, auch nicht zur Osterzeit. Daher unbedingt zum Weihnachts-"Parsifal".

Weitere Vorstellungen am: 18., 21. und am 26. Dezember 2021.