Oper in London:
Echte neue Meister

Royal Opera House triumphiert mit Richard Wagners "Die Meistersinger von Nürnberg"

Kaspar Holten nimmt in seiner Regie Wagner wörtlich. Es geht um Kunst, um deren Erneuerung, ohne das Alte, die Basis auszulöschen. Holten verschafft sich damit zu seinem Abschied als Direktor der Londoner Royal Opera einen Triumph. Im vortrefflichen Ensemble um Bryn Terfel reüssiert auch der österreichische Bariton Sebastian Holecek.

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Echte neue Meister © Bild: Clive Barda

Ein eleganter, holzvertäfelter Londoner Club, ist Kirche und Singschule der Meistersinger. Das Treiben im zweiten Aufzug gleicht einem Fastnachtaufzug, wie ihn Hans Sachs, Meisterschuster, Dichter, und reales Vorbild für Wagners Figur, im 15. Jahrhundert selbst erlebt haben könnte. Holten verfolgt in seiner Interpretation von Wagners "Meistersingern" die Erneuerung des Alten in der Verbindung von Alt und neu wie einen roten Faden. Das zieht er konsequent von der ersten bis zur letzten Szene durch. Nüchtern ist der Beginn. Ob, Eva, schlicht in weißer Bluse und grauem Faltenrock gekleidet, von einer Chorprobe oder aus einer Kirche tritt, wo sie Stolzing begegnet, lässt Holten offen. Stolzing ist ein Outcast, Wagners Ritter wird hier zum Rocker in schwarzem Frack und T-Shirt. Er will diese Frau, ist aber in ihrer Welt ein Fremder.

Für den zweiten Aufzug greift Holten auf die britische Kunst der "Pantomime" zurück, die man in England im 17. Jahrhundert entwickelt hat. Die Tradition hat sich in Form von Märchenspielen für Kinder in der Weihnachtszeit erhalten. Die Festwiese im dritten Aufzug ist eine Show, ein Spiel aus vergangenen Tagen, das man auch in der Gegenwart pflegt. Auch Anhand von Nebenfiguren manifestiert Holten sein Konzept: Der Nachtwächter tritt in Gestalt des Teufels auf und zeigt, die vermeintliche Frömmigkeit seiner Bürger funktioniert so nicht mehr. Die Magd Magdalene fungiert mit Headset als Produktionsassistentin, die Meister marschieren mit Zunftstäben und historischen Gewändern auf. Alt und neu ist vereint.

© Copyright Clive Barda 2017

Das Ende indessen zeigt, dass es so einfach nicht geht. Denn Stolzing, der sich weigert, die Meisterwürde anzunehmen, lässt sich überwältigen und mit jeder nur erdenklichen Würde überhäufen. Da versteht man auch, dass sein "Kinder schaft Neues", das er an eine Wand gekritzelt hat, nur ein "f" haben darf. Möglicherweise ist er im Grunde doch nur ein Dilettant, vor dem sich Eva am Ende mit Entsetzen abwendet.

Mia Stensgaad hat mit verschiebbaren Holzwänden, ein paar Tischen und wenigen Utensilien das ideale Ambiente für Holtens kluge Inszenierung geschaffen. Dass sich diese entfalten kann, ist vor allem dem fein, differenziertem Dirigat Antonio Pappanos geschuldet. Während Holten die Partitur präzise umsetzt – auch in der Personenführung – führt Pappano das hervorragend klingende Orchester des Royal Opera House feinsinnig durch das Werk. Oft verleiten manche Tutti-Passagen bei diesem Werk zu cinemascope-artigen musikalischen Ausschweifungen. Nicht selten glaubt man bei manchen Dirigenten beim Vorspiel und dem Einzug der Meister auf die Festwiese, dass sie zur Begrüßung eines Gauleiters aufspielen. Nichts dergleichen bei Pappano, der auch seine kaum zu übertreffenden Sänger ingeniös führt.

© Copyright Clive Barda 2017

Im Zentrum steht Bryn Terfel als Hans Sachs. So eine Besetzung darf sich Sensation nennen. Akzentfrei trägt der gebürtige Waliser mit Innigkeit und Ausdruck die Monolog-Arien vor – eine Sensation der "Flieder-Monolog". Dass diese Partie immens Kräfte fordernd, sieht und hört man ihm am Ende nicht an. Johannes Martin Kränzle ist als Beckmesser ein würdiger Gegenpart für diesen Sachs. Rachel Willis-Sorensens Eva lässt sich nichts Schlechtes nachsagen. Gwyn Hughes-Jones gestaltet nach überschaubaren Möglichkeiten den Stolzing. Stephen Milling ist ein hervorragender Pogner. Sebastian Holecek ragt als Bäcker Fritz Kothner mit seinem prächtigen Bariton hervor. Stimmlich und darstellerisch macht er aus einer Nebenpartie etwas Großes. Das restliche Ensemble der Meister, Hanna Hipp als Magdalene und David Shipley als Nachtwächter sowie der Chor sind ausgezeichnet. So funktioniert, um mit Richard Wagner zu sprechen, ein "Kunstwerk der Zukunft". Das ist aber nur möglich, wenn wirkliche Könner, wie bei dieser Londoner Produktion, am Werk sind.

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