Oliver Egger: Zwischen
Out und Outing

Oliver Egger ist Österreichs erster Fußballer, der offen bekennt: "Ich bin schwul." Nun unterstützt er im Auftrag des ÖFB Profikicker im Umgang mit dem Tabu.

von Sport - Oliver Egger: Zwischen
Out und Outing © Bild: Matt Observe

Zunächst war da Oliver Eggers Traum vom Profifußball - doch dann war da noch diese traumatische Erinnerung: "Schwuler, schwuler SK Sturm", skandierten die Hardcore-Fans der gegnerischen Mannschaft bei einem Auswärtsmatch grölend im Chor. Und das in zermürbender Endlosschleife.

Damals spielte Egger noch für Sturm Graz und versuchte, sich immer und immer wieder einzureden: "Die da oben, die meinen nicht mich, die meinen nicht mich persönlich." Taten sie auch nicht, denn damals wusste noch niemand um seine Homosexualität, nicht einmal die eigenen Eltern. Doch was sie tatsächlich meinten und was längst zum ganz alltäglichen Sprachgebrauch in unseren Stadien gehört, ist: dass "schwul" als Synonym für zauderlich im Zweikampfverhalten, für wehleidig im Auftreten, kurz, für unsportlich und unwürdig stünde. Wer sich etwa nach einem Foul schmerzverrt am Boden windet, ist entweder nachweislich krankenhausreif -oder eben "schwul".

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Und das, erzählt Egger, habe ihn letztendlich fast genauso gekränkt, als hätten sie ihn namentlich genannt und persönlich gemeint. "Den Menschen ist einfach nicht bewusst, was sie mit Sprache anrichten können", sagt er. Ihm selbst ist das sehr wohl bewusst, denn er studierte Germanistik, macht dieser Tage seinen Abschluss und wird bereits im kommenden Herbst neben seiner Kickerkarriere auch in den Klassenzimmern eines Grazer Gymnasiums auflaufen. "Und wenn mich die Kids dann nach meiner privaten Beziehung fragen, dann werde ich ihnen ganz offen sagen können, dass ich schwul bin -endlich."

Anfangs die Selbsttäuschung

Denn Egger, der aus einer Grazer Umlandgemeinde mit gerade einmal 4.000 Einwohnern und eingeschränkter Privatheit stammt, hat sich lange genug versteckt. Mit 16,17 Jahren, sagt er, hätte ihm seine sexuelle Orientierung eigentlich schon klar sein müssen. Der Teenager fand, ohne es sich einzugestehen, Männer irgendwie anziehend -und die arglose Frage der Eltern, ob er nicht vielleicht eine Freundin habe, die er ihnen irgendwann vorstellen wolle, kam ihm merkwürdig unpassend vor. Aber er wollte er ja unbedingt Fußballer werden.

Bereits der Vater hatte in der Landesliga gekickt, auch der Bruder ist Vereinsfußballer, die Mutter war in einer Damenmannschaft aktiv. Und Oliver selbst, der wurde bei seinem Stammverein, dem FC Gratkorn, sogar von Talentescouts des Bundesligisten Sturm Graz entdeckt -und wechselte als Jugendlicher von der hellhörigen Vorstadt in die anonyme Landeshaupstadt. Irgendwann begann er dann endlich, mit Burschen auszugehen, in Graz gab es, im Gegensatz zu seiner Heimatgemeinde, immerhin ein, zwei Schwulenlokale. Einerseits empfand Egger den Milieuwechsel als Erleichterung, als entscheidenden Schritt Richtung Gefühlsnormalität -andererseits als quälendes Versteckspiel.

Das zermürbende Doppelspiel

"Der Fußball hat noch immer ein strikt heteronormatives Umfeld, in dem ich mich eben beweisen wollte", sagt Egger. "Und so habe ich mir lange eingeredet, dass ich ja trotzdem irgendwann eine Frau heiraten und eine Familie gründen kann." Nur, damit der Ball irgendwie weiterrollt. Und Egger, der knochentrockene Außenverteidiger, funktionierte weiter im System Fußball, in der U-17-Mannschaft von Sturm und später im U-19-Team war er sogar Kapitän. "Ich war der ruhige, besonnene Typ, auf den man sich verlassen konnte, und das schätzten die Trainer." Zunächst bei Sturm, wo Egger bereits bei den Profis mittrainierte und schon ein paar Matches in der "Ersten" absolvierte. Aber auch später, beim damaligen Drittligisten FC Gratkorn, zu dem Egger mit knapp 20 nach einer langwierigen Verletzung zurückkehrte und erneut rasch zum Kapitän aufstieg.

Und dann die Befreiung

Privat hatte er bereits einen Freund, aber "abgekapselt und verborgen", im Job gab er weiter den unauffälligen Hetero. Nur einmal, als ihn die Freundin einer Cousine zufällig in einer Grazer Schwulenbar traf und verwundert ansprach, drohte das Geheimnis aufzufliegen. Da fasste sich Egger ein Herz und informierte seine Eltern in einem Brief über seine Homosexualität: "Ich hatte Angst, sie könnten irritiert reagieren und enttäuscht von mir sein", erinnert er sich. "Doch das war nicht so, im Gegenteil, sie versicherten mir, dass sie mich nach Kräften unterstützen würden."

Aber unten auf dem Rasen, oben auf den Zuschauerrängen? Egger war bereits 22, als ihm plötzlich -in einer Halbzeitpause - der Trikotkragen platzte. "Wenn ihr zwei nicht wie die Warmen attackiert hättet, hätten wir das Tor sicher nicht bekommen", hatte der Trainer seinen Kapitän "Oli" und dessen Verteidigerkollegen angeblafft. Das war der Moment, in dem Defensivmann Egger endlich auf schnellen Konter und bedingungslose Offensive umschaltete. Er selbst sei schwul, und diesen Ton ließe er sich nicht gefallen, endlich, endlich wolle er frei sein! Und siehe da, der perplexe Coach entschuldigte sich, und da war sie: die Erleichterung, die Erlösung, die Egger seit Jahren herbeigesehnt hatte.

Seit einigen Monaten verantwortet er nun im Auftrag des Österreichischen Fußballbundes (ÖFB) eine Ombudsstelle, die Diskriminierungen mit homophobem Hintergrund aufarbeitet und gemeinsam mit betroffenen Kickern Gegenstrategien entwickelt. "Zwei, drei Spieler haben sich schon gemeldet", sagt Egger und hofft, dass es mit Beginn der neuen Saison stetig mehr werden. "Denn wenn, grob um den Daumen gepeilt, jeder zehnte Mensch schwul ist, dann sollte auch jeder zehnte Kicker schwul sein." Und ein Outing bald so normal wie ein Outeinwurf.

Der Beitrag ist ursprünglich in der Printausgabe von News (32+33/2019) erschienen!