ÖBB-Reform geht durch: Eine Chronologie

Verhandlungen seit Februar 2000

Die bereits seit Jahren diskutierte Bahn-Reform gilt als die größte Veränderung in der Geschichte der ÖBB. Demnach sollen die ÖBB bereits ab dem kommenden Jahr schrittweise eine neue Struktur erhalten. Unter einer Holding soll die Bahn in vier AG - Personenverkehr, Güterverkehr, Infrastruktur Neubau und Infrastruktur Betrieb - sowie fünf weiter GmbH geteilt werden.

Folgend eine Chronologie der Ereignisse rund um die Reform:

Februar 2000: ÖVP und FPÖ legen die Teilung der ÖBB im Regierungsprogramm fest.

Mai 2000: Der damalige Verkehrsminister Michael Schmid (F) will eine "glaubhafte wirtschaftliche Trennung" der ÖBB nach Infrastruktur und Absatz umsetzen. Ein Holding-Modell hält er "grundsätzlich für möglich". Eile hat er bei der Strukturreform aber keine.

November 2000: Schmids Nachfolgerin Monika Forstinger (F) zeigt mehr Initiative und erfüllt die Teilungspläne wieder mit Leben. Der damalige ÖBB-Chef Helmut Draxler äußert Bedenken; eine Spaltung sei volkswirtschaftlich nachteilig. Forstinger weist die Kritik zurück.

März 2001: Für die Neustrukturierung der ÖBB kursieren vier unterschiedliche Konzepte. Zwei sollen "aus dem Bereich Draxler" stammen, eines aus dem Finanzministerium und eines von Schig-Geschäftsführer Helmut Falschlehner.

April 2001: Draxler scheitert an seinem Widerstand gegen die Teilung. Sein Nachfolger als Generaldirektor der ÖBB wird der frühere Chef der Berliner Verkehrsbetriebe, Rüdiger vorm Walde, der sich zu einer möglichen Teilung vorerst nicht festlegen will.

Februar 2002: Der neue Verkehrsminister Mathias Reichhold (F) sieht für eine ÖBB-Teilung keinen Bedarf. Vorm Walde bestätigt diese Linie. Geprüft wird lediglich, ob die ÖBB-Infrastruktur in die Schieneninfrastrukturgesellschaft Schig ausgelagert oder die Schig in die ÖBB integriert wird.

September 2002: Reichhold schwenkt auf die Koalitionsvereinbarung ein. Die ÖBB sollen unter einer Dachgesellschaft geteilt werden. Die Gewerkschaft droht daraufhin mit Streik. Nach dem Platzen der Koalition gerät das Thema aber vorerst in den Hintergrund.

Dezember 2002: Der erste Entwurf des Verkehrsministeriums zum "Bundesgesetz über die Errichtung einer ÖBB-Holding AG" bis Ende 2004 liegt auf dem Tisch.

März 2002: Der neue Verkehrsminister Hubert Gorbach (F) will die geplante ÖBB-Reform in den nächsten zwölf Monaten durchziehen, Staatssekretär Helmut Kukacka (V) wird zum ÖBB-Reform-Sonderbeauftragten ernannt. Die Eisenbahnergewerkschaft wehrt sich massiv gegen die Regierungspläne.

April 2003: Erste grobe Reformpläne stehen. Die ÖBB sollen unter einer Holding in drei AG - Güterverkehr, Personenverkehr und Infrastrukturfinanzierung - geteilt werden.

Mai 2003: Das Verkehrsministerium beauftragt den Arbeitsrechtler Wolfgang Mazal, gemeinsam mit dem ÖBB-Vorstand ein neues Dienstrecht für die Eisenbahner auszuarbeiten.

Juli 2003: Im Zuge der Reform sollen bei den ÖBB bis 2010 rund 12.000 der 48.000 Stellen wegfallen, davon 5.000 Mitarbeiter über eine neue Personalgesellschaft abgebaut werden. Frühpensionierungen von knapp 40 ÖBB-Mitarbeitern - die jüngste Betroffene nur 37 Jahre - sorgen für Aufregung. Die Regierung will das Frühpensionsrecht der ÖBB rasch beseitigen.

August 2003: Kukacka kündigt eine Lockerung des Kündigungsschutzes an. In der Frage der Finanzierung tauchen Bedenken auf. Es droht trotz Reform eine Finanzierungslücke von jährlich 800 Mio. bis eine Mrd. Euro. Eisenbahnergewerkschaftschef Wilhelm Haberzettl schließt einen Überstundenboykott noch im September nicht aus, falls es zur Personalgesellschaft und gesetzlichen Eingriffen in die kollektivvertraglichen Dienstverträge kommt. Die Gewerkschaft verweigert das Gespräch mit Kukacka und verhandelt nur noch mit Gorbach.

Infrastruktur- und Finanzministerium verständigen sich, dass der Bund 6 Mrd. der 10 Mrd. Euro Bahnschulden übernehmen soll. Gorbach verlangt darüber hinaus von Finanzminister Karl-Heinz Grasser aber auch noch eine Finanzierungsgarantie für den Schienenneubau. Die geplante Begutachtung verzögert sich.

September 2003: Die Eckpunkte der geplanten Dienstrechtsreform stehen: Die Lockerung des Kündigungsschutzes, Aufhebung des Versetzungsschutzes, das Einfrieren von Gehältern durch die Streichung der automatischen Gehaltsvorrückungen, eine Straffung bei Überstunden und Sonderurlauben, die Kürzung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und die Beschneidung der Mitwirkungsrechte der Eisenbahnergewerkschaft. Juristen streiten um die Verfassungsmäßigkeit der Vertragseingriffe.

Bei der Struktur führt die Einigung zwischen Grasser und Gorbach um die künftige Finanzierung der Bahn zu einer Reform der ÖBB-Reform. Nun soll auch die Bahninfrastruktur in Neubau und Betrieb/Erhaltung geteilt werden, um die Finanzierung zu sichern. Außerdem will Gorbach damit den Bau des umstrittenen Koralmtunnels sicherstellen.

1. Okt.: Die Gewerkschaft erklärt Verhandlungen mit Verkehrsminister Hubert Gorbach (F) für "endgültig gescheitert" und startet einen Boykott der Überstundenleistungen und "Dienst nach Vorschrift". Die erhofften Zugausfälle bleiben aber weitgehend aus.

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) nimmt im Rahmen der Prüfung des ÖBB-Pensionsreformgesetzes 2001 den gesetzlichen Eingriff in die privatrechtlichen Verträge der Eisenbahner ins Visier. Insgesamt äußern sich zum Verhandlungsauftakt drei der fünf Richter, die sich zu Wort melden, kritisch.

2. Okt.: Das Verkehrsministerium schickt die Gesetzesentwürfe zur Strukturreform und für ein neues ÖBB-Dienstrecht in Begutachtung. Die ÖBB werden wie geplant teilentschuldet, für den Neubau soll die ÖBB-Verschuldung aber in nächster Zeit wieder um rund 800 Mio. Euro pro Jahr ansteigen.

3. Okt.: Der ÖBB-Vorstand übt massive Kritik an den Plänen der Regierung. In einem Brief an die Aufsichtsräte kritisiert der Vorstand, dass die Strukturreform in Teilen so nicht umgesetzt werden kann und die Finanzierungsproblematik nicht langfristig gelöst worden ist.

15. Okt.: Nach einem "Runden Tisch" im Verkehrsministerium schwenkt der ÖBB-Vorstand auf Regierungslinie ein. Eisenbahnergewerkschafter Wilhelm Haberzettl droht mit einer Ausdehnung der Proteste im November.

3. Nov.: Das Ende der Begutachtungsphase bringt eine Reihe von kritischen Stellungnahmen - vor allem aus den Bundesländern und dem Rechnungshof. Der Rechnungshof lehnt große Teile der Reform ab. Das Einsparungsziel von 1 Mrd. Euro durch die Reform sei nicht nachvollziehbar, an der Finanzierung verbessere sich nichts, das Organisationsmodell sei ungeeignet, die geplante Infrastruktur-Betriebsgesellschaft sogar konkursgefährdet und die Dienstrechtsreform könnte teils zu höheren Personalkosten führen.

4. Nov.: Die Eisenbahner treten in einen halbtägigen Warnstreik. Bahn und Bahnbus stehen von 0 bis 12 Uhr still. Gefordert wird eine Rücknahme der Gesetzesentwürfe.

10. Nov.: Die Verhandlungen zwischen Regierung und Gewerkschaft scheitern erneut.

11. Nov.: Die Strukturreform und das neue ÖBB-Dienstrechtsgesetz werden im Ministerrat beschlossen. Die Eisenbahnergewerkschaft beschließt einen "unbegrenzten Warnstreik" ab Mitternacht. Auch der Postbus schließt sich dem Streik an.

12. Nov.: Der unbegrenzte Streik zwingt 1,2 Mio. Fahrgäste zum Umsteigen. Der ÖBB-Vorstand droht den Mitarbeitern in einem Schreiben offen mit Entlassungen und Schadenersatzforderungen.

13. Nov.: Am zweiten Streiktag droht der Konflikt zwischen Regierung und Gewerkschaft vollends zu eskalieren. Das gesamte ÖGB-Präsidium stellt sich hinter die Eisenbahnergewerkschaft, auch von einem Generalstreik wird schon gesprochen. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch schalten sich in die Verhandlungen ein. Am späten Abend zeichnet sich dann überraschend ein Kompromiss ab.

14. Nov.: Nach mehr als 24-stündigen Gesprächen wird der Kompromiss fixiert, um 17:40 Uhr beendet die Gewerkschaft daraufhin den seit Jahrzehnten größten Streik in Österreich. Der Inhalt der Einigung: Bei der Strukturreform bleibt entgegen den Forderungen der Gewerkschaft alles wie gehabt, die Regierung verzichtet aber vorerst auf das Dienstrechtsgesetz. ÖBB-Vorstand und Eisenbahnergewerkschaft sollen stattdessen Änderungen verhandeln, gelingt das bis Ende April 2004 nicht, will die Regierung das Gesetz erneut einbringen.

18. Nov.: Die ÖBB-Reform kommt ins Parlament. Der Verkehrsausschuss setzt einen Unterausschuss ein, in dem noch einmal über die Reform debattiert werden soll.

25. Nov.: Im Unterausschuss kommen Experten aus dem In- und Ausland zu Wort. Rechnungshof-Präsident Franz Fiedler bleibt bei seinen Bedenken. Im Ausschuss kritisiert er vor allem die Teilung der Infrastruktur, mangelnde Belege für Wirksamkeit der Reform und die "außerbudgetäre Finanzierung" des Schienenneubaus.

26. Nov.: Der ÖBB-Vorstand erläutert die Einsparungsziele der Reform und stellt sich erneut klar hinter die Regierungspläne. Die Reform soll ohne große Änderungen im Parlament beschlossen werden, heißt es nach einer zehnstündigen Sitzung.

27. Nov.: Die SPÖ spricht nach Parteienrunden zwischen Gewerkschafts- und Regierungsvertretern überraschend von einem möglichen Kompromiss. Der Beschluss im Verkehrsausschuss wird auf den 1. Dez. verschoben.

1. Dez.: Der Kompromiss scheitert. Die Reform wird im Ausschuss gegen die Stimmen der Opposition von ÖVP und FPÖ bestätigt. Es soll nur noch kleine Abänderungen geben.

3. Dez.: Die ÖBB-Reform wird im Nationalrat eingebracht. Die Debatte folgt am Donnerstag.

4. Dez.: Nach der Debatte soll das Gesetz im Nationalrat beschlossen werden.

18. Dez.: Das ÖBB-Reformgesetz soll im Bundesrat bestätigt werden. Das Gesetz würden dann mit 1.1.2004 in Kraft treten. (apa)