"Wir haben vor gar nichts Angst!"

Die Salzburger "Aida" war ein Triumph, nun beginnt für Anna Netrebko und Ehemann Yusif Eyvazov der Alltag: mit Asien-Tournee, neuer CD und dem ersten Schultag des Sohnes - in Wien!

von Traumpaar - "Wir haben vor gar nichts Angst!" © Bild: Vladimir Shirokov/Deutsche Grammophon

In Salzburg herrschte der Netrebko-obligate Ausnahmezustand: Für Anna Netrebkos Rollendebüt als Verdis "Aida" wurden Schwarzmarktpreise von 3.000 Euro abwärts entrichtet, im Namen der Diva wurde eine eigene Keramikkollektion auf den Markt befördert, und dann war das Resultat auch noch von extraterrestrischer Qualität: Selbst geeichte Opernbesucher meinten, die Rolle nie in solcher Vollendung gehört zu haben. Bewundert wurde auch Riccardo Mutis Dirigat, während die reduzierte Inszenierung der Iranerin Shirin Neshat umstritten blieb. Auch Anna Netrebkos Ehemann, der Tenor Yusif Eyvazov, trat in "Aida" auf, allerdings nur als Zweitbesetzung und nie gemeinsam mit seiner Frau. Ein exklusives Doppelinterview über Kunst und Leben.

Frau Netrebko, Sie haben als Aida einen Triumph gefeiert - Herr Eyvazov ist allerdings nur die Zweitbesetzung, wenn Sie pausieren. Weshalb?
Netrebko: Weshalb genau wissen wir nicht. Die Festspiele und Maestro Muti haben beschlossen, wer welche Vorstellungen singt.
Eyvazov: Manchmal ist das eben so nicht möglich. Dirigenten wie Riccardo Muti entscheiden so etwas selbst, sie haben ihre eigenen Vorstellungen davon, welche Stimmen sie zusammen hören wollen ...

Hat das nicht wehgetan?
Eyvazov: In dieser Situation war es sogar besser für mich, weil ich diese Saison genug Stress mit Premieren habe. Die nächste ist an der Mailänder Scala, die Eröffnung mit Giordanos "Andrea Chénier"! Ich bin zufrieden, in Salzburg Zweitbesetzung zu sein. Wir zwingen niemanden zu etwas.
Netrebko: Wir singen oft genug gemeinsam. Wir haben also absolut keinen Grund, traurig zu sein. Ich selber bin nach diesem Triumph nur glücklich.

Nun feiern die Festspiele 2020 ihr 100-jähriges Jubiläum. Frau Netrebko wurde hier 2002 entdeckt. Sind Sie zum Jubiläum wieder aktiv?
Eyvazov: Ja, beide. Aber wir dürfen noch nicht sagen, was. Es wird eine gemeinsame szenische Premiere geben. Nächstes Jahr singen wir allerdings nicht in der "Aida"-Wiederaufnahme, sondern ein Opern-Galakonzert.

Shirin Neshats "Aida"-Regie wurde böse verrissen. Wie stehen Sie dazu?
Netrebko: Die Regie ist sehr schön, sehr stilisiert, gut für die Sänger, mit schönen intimen Szenen. Ich verstehe die bösartigen Kritiken nicht. Andererseits: Wenn man Elefanten und Pyramiden wegnimmt, muss man etwas anderes bieten. Meiner Meinung nach war für das Publikum nur der zweite Akt mit dem Triumphmarsch nicht spektakulär genug.
Eyvazov: Das Gute bei Shirin war, dass sie die Sänger nicht gestört hat. Ich habe in der Arena von Verona eine "Aida" mit dem Regiekollektiv La Fura dels Baus gemacht - toll, faszinierend, mit Maschinen und künstlichen Krokodilen. Aber anstrengend für die Sänger, besonders in der Arena.
Netrebko: Vielleicht sollte man auch für Opernregisseure ein Casting einführen.

Was hat sich denn heuer in Salzburg geändert? Gibt es etwas wie eine neue Atmosphäre durch die Intendanz von Markus Hinterhäuser?
Netrebko: Salzburg ist immer großartig. Die Atmosphäre ist toll. Vor allem, weil auch Helga Rabl-Stadler seit vielen Jahren hier Präsidentin ist.

Herr Eyvazov, haben Sie keine Angst vor dem Publikum in Mailand? Das terrorisiert Tenöre doch gern.
Eyvazov: Ja, es gibt viele Gründe, vor dieser Eröffnung nervös zu sein. Erstens ist die Scala-Eröffnung immer eine große Sache, Publikum und Journalisten stehen Kopf, und es gibt eine Fernsehübertragung. Zweitens wurde "Andrea Chénier" vor 27 Jahren zum letzten Mal an der Scala aufgeführt, mit José Carreras. Ich denke also, ich muss auf alles gefasst sein, und ich weiß genau, dass das nicht die leichteste Nacht in meiner Karriere werden wird. Aber ich werde es überleben. Ich bin stark genug.

Gibt es schon Pläne für die Staatsoper mit dem künftigen Direktor Bogdan Roščić?
Eyvazov: Es wird schon etwas kommen. Wir lieben die Wiener Staatsoper.
Netrebko: Sicher. Bogdan ist wunderbar.

Wie geht es denn Ihrem Sohn Tiago? Sind die Sorgen wegen seiner autistischen Probleme kleiner geworden?
Netrebko: Es geht ihm gut. Er wird in den nächsten Tagen in Wien mit der Schule beginnen.

Welch schöne Nachricht! Das bedeutet doch, dass Wien endgültig Ihr Lebensmittelpunkt wird.
Netrebko: Ich lebe seit zehn Jahren in Wien und bin hier Steuerzahlerin. Daran hat sich nie etwas geändert. Aber wenn wir nur noch in Wien sind, würde das bedeuten, dass unsere Karrieren vorbei wären. Wir sind internationale Opernsänger. Das heißt, wir müssen sehr viel reisen und sind daher nur ein paar Wochen in Wien. Und ich hoffe, dass es noch ein paar Jahre so weitergeht mit unseren Karrieren.

Wie geht das aber mit Tiago? Sie beginnen im Herbst eine gemeinsame mehrwöchige Asien-Tournee ...
Eyvazov: Da wird er uns eine Woche lang begleiten, das haben wir mit der Schule vereinbart. Es war immer sein Traum, Japan und China kennenzulernen. Das zeigen wir ihm.

Nun erscheint Ihre erste gemeinsame CD, "Romanza", und sie gehört in den Bereich des Crossover, der von Opernpuristen abgelehnt wird. Die "Drei Tenöre" (Pavarotti, Domingo, Carreras, Anm.) haben sich damit nicht nur Freunde gemacht. Haben Sie Angst vor negativen Reaktionen?
Netrebko: Wir haben vor gar nichts Angst. Wir machen nur mit Liebe Musik und denken, das ist ein wunderbares Produkt. Was passiert, passiert. Es wird Leute geben, die es mögen, und Leute, die es nicht mögen. Aber das ist nichts, was uns Angst macht.
Eyvazov: Jeder hat einen anderen Geschmack. Opernliebhaber werden sie möglicherweise sogar "hassen", aber das heißt nicht, dass wir das nicht machen dürfen. Wir werden unser Publikum für diese CD schon finden.

Und wie ist das mit einem Baby aus Fleisch und Blut? Denken Sie an das erste gemeinsame Kind?
Netrebko: Das ist privat. Das ist nichts für die Öffentlichkeit.

Wie ist es mit der Nervosität? Macht es da irgendeinen Unterschied, wenn Sie gemeinsam auf der Bühne stehen?
Eyvazov: Für mich nicht. Wenn ich mit Anna auf der Bühne bin, ist sie nicht meine Frau, sondern meine Kollegin. Ja, ich bin nervös. Aber es gibt auf der ganzen Welt keinen Tenor, der vor "Aida" oder "Turandot" nicht nervös ist.
Netrebko: Bei mir ist das verschieden. Es kommt auf die Stimmung an, auf die Rolle.

Herr Eyvazov, Sie haben noch 2015 in St. Margarethen in "Tosca" gesungen. Jetzt scheint es mit diesem Festival vorbei zu sein.
Netrebko: Schade. Es war ein faszinierendes Festival.
Eyvazov: Ja, traurig. Die hätten einen klugen Manager gebraucht, einen wirklichen künstlerischen Leiter auch im Besetzungsbüro. Dabei hatte man alle Möglichkeiten, das Festival zu einem sehr wichtigen zu machen. Herr Ottrubay (der Chef der Esterházy-Stiftung, Anm.) sollte einen großen Manager finden, so wie Alexander Pereira in Mailand oder Helga Rabl-Stadler. Dann wären alle Optionen offen.

Wie geht es Ihnen eigentlich, wenn Sie ständig um Autogramme und Selfies gefragt werden?
Eyvazov: Das ist ein wirklich schöner Teil unserer Arbeit: Man spürt die Liebe der Leute.

Und die Journalisten?
Eyvazov: Die gehören auch zu unserer Arbeit.

Aber Sie, Frau Netrebko, müssen doch ständig gestylt durchs Leben gehen. Ist das nicht mühsam?
Netrebko: Das ist kein Problem.
Eyvazov: Sie ist immer wunderschön.

Eine indiskrete Frage: Was hat Sie eigentlich dazu veranlasst, Ihre Haare blond zu färben?
Netrebko: Ich mag Veränderungen. Immer. Ich habe gesehen, dass Cristina Muti, die Gattin von Maestro Muti, die Haare dunkelblau gefärbt hat. Das mache ich jetzt vielleicht auch.


Anna Netrebko wurde am 18. September 1971 in Krasnodar, Südrussland, geboren und studierte in St. Petersburg. Ihr Salzburg-Debüt als Donna Anna in Mozarts "Don Giovanni" 2002 war der Beginn einer beispiellosen Karriere. Heute ist sie im dramatischen Fach weltweit unerreicht. Sie ist seit 2006 österreichische Staatsbürgerin und hat mit dem Bassbariton Erwin Schrott einen Sohn, Tiago.

Yusif Eyvazov wurde als Sohn eines aserbaidschanischen Universitätsprofessors am 2. Mai 1977 in Algier geboren und studierte in Baku Meteorologie, ehe er sich für die Oper entschied. Sein Fach umfasst Schlüsselrollen des italienischen Heldenfachs. 2014 lernte er während einer gemeinsamen Produktion in Rom Anna Netrebko kennen, die beiden heirateten im Dezember 2015 in Wien.

Neue CD "Romanza" Liebeslieder, für Netrebko und Eyvazov vom russischen Komponisten Igor Krutoy geschrieben, dazu Duette von Verdi und Puccini. Erscheint am 1. September