Diagnose: Gelbfieber

Sie sind klein. Sie sind geld. Und sie sind überall.

Obwohl sie im dritten Teil von "Ich - Einfach unverbesserlich" wieder nur eine Nebenrolle spielen, sind sie die unumstrittenen Stars der Filmreihe und ein globales Marketingphänomen. Man kann die Minions lieben oder hassen - nur entkommen kann man den gelben Wesen derzeit nicht.

von Minions - Diagnose: Gelbfieber © Bild: Universal Pictures

Ohne Gelato, Sonnenbrand und Gelsenstich ist es kein Sommer. Ein weiteres sicheres Indiz für die warme Jahreszeit ist das Erscheinen eines Blockbusters mit einem derart riesigen Marketingbudget, dass die Kinosäle sich auch bei schönstem Wetter mit Besuchern aller Altersstufen füllen. Mit "Ich -Einfach unverbesserlich 3" hat gerade jener Film seinen Österreich-Start, auf den das heuer zutrifft und der am Ende der Saison die meisten Zuschauer gehabt haben wird. Um das vorherzusagen, muss man keineswegs ein Prophet sein.

Kleine Wesen befehlen uns derzeit allen den Kinobesuch

. Damit sind nicht nur unsere Kinder gemeint, die den Film selbstredend unter allen Umständen sehen müssen. Auch die Minions selbst flüstern uns durch ihre Omnipräsenz ein, dass ein Leben ohne sie zwar denkbar, aber nicht wünschenswert ist. Ob am Handy oder auf öffentlichen Flächen: An den kleinen gelben Popstars führt derzeit weder in der virtuellen noch in der realen Welt ein Weg vorbei. Um vor ihnen Ruhe zu haben, müsste man sich schon zu Hause verbarrikadieren, die Rollläden runterlassen und jeglichen Medienkonsum für lange Zeit einstellen.

Was die Promotion des neuen Films betrifft, lässt Universal Pictures keine Gelegenheit ungenützt. So tauchten vergangenes Wochenende in Peking und Shanghai unzählige Fahrräder im Minions-Look auf. In China ist Bikesharing ein Riesending, das Start-up-Unternehmen Ofo milliardenschwer. Da die Räder aus dem Stadtbild nicht mehr wegzudenken sind, bieten sie sich als Werbefläche an. Und weil sie ohnehin gelb sind, mussten nur noch die Lenkstangen mit den charakteristischen Augen versehen werden, damit sie als echte Minions-Fahrräder durchgehen.

Nicht, dass die Chinesen noch aufwendig bekehrt werden müssten, sie sind längst Fans. Bereits 2015, als sie ihren eigenen Film "Minions" bekamen, sorgten Stuart, Kevin und Bob für Aufsehen, als sie auf der chinesischen Mauer Bananen aufsammelten. Die Japaner wiederum sind sowieso für jedes popkulturelle Phänomen Feuer und Flamme, Zehntausende verkleideten sich im Februar 2016 bei einem Charity-Lauf in Tokio als Minions. In den Universal Studios in Hollywood ist ein Nachbau des Minion-Hauses aus "Ich - Einfach unverbesserlich" als 3D-Themenpark die Besucherattraktion Nummer eins. Und das Spiel "Minion Rush" zählt zu den erfolgreichsten Games aller Zeiten.

Minion-Protein

Die Beweiskette für die kulturelle Dominanz der gelben Zylinder ließe sich noch länger fortsetzen. Und sie betrifft inzwischen so ziemlich alle Lebensbereiche. Wissenschaftler des Genom-Instituts der Novartis Research Foundation in San Diego gaben jüngst gar einem neu entdeckten Protein den Namen Minion. Ob Universal die Forschungen des Instituts finanziell unterstützt, ist nicht bekannt. Studienautor Srihari Sampath begründet die Namenswahl jedenfalls so: "Wir sind Fans des Films und Fans des Proteins."

»Wir sind Fans des Films und Fans des Proteins«

Als Phänomen funktionieren die Minions untypischerweise bei beiden Geschlechtern und in so gut wie allen Altersklassen. "Sie verkörpern die kindliche Unschuldigkeit und sind dennoch subversiv", philosophiert die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Aber wie konnte es so weit kommen? Warum behaupten sich die glupschäugigen Wesen, die unbedingt einem Superschurken dienen wollen, seit Jahren neben herzigen Eisprinzessinnen und lustigen sprechenden Autos als dritte fixe Gegebenheit in Kinderzimmern in aller Welt? Und warum haben die penetrant präsenten Minions auch unter Erwachsenen derart viele Befürworter?

© Universal Pictures

Zum einen beherzigen sie eine uralte Regel der Unterhaltungsbranche. Etwas muss nur das Kindchenschema bedienen und süß aussehen, dann springen fast alle darauf an. Weil sie sich ansonsten auf keine konkreten -menschlichen, tierischen, dinglichen - Vorbilder beziehen, sind die Minions darüber hinaus eine ausgezeichnete Projektionsfläche für die verschiedensten Inhalte. Anders gesagt: Sie sind nichtssagend genug, dass sie für alles stehen können.

Minions erobern die Sozialen Medien

Lustige Minions-Bilder finden in den Sozialen Medien denn auch in sämtlichen möglichen (und unmöglichen) Kontexten Verwendung. Auf sie werden Geburtstagsglückwünsche und Scherze, pseudotiefsinnige Sinnsprüche und selbst Verschwörungstheorien geschrieben. Sehr speziell veranlagte Fans haben sogar schon Porno-Comics mit Minions in Aktion gezeichnet. Googeln bitte auf eigene Gefahr.

© Universal Pictures

Wenn etwas derart erfolgreich ist und permanent auf allen Kanälen sendet, treten irgendwann natürlich auch Übersättigungserscheinungen auf und Gegner auf den Plan. Da ergeht es den Minions nicht anders als Helene Fischer. Die häufigsten Vorwürfe gegen sie lauten: Sie sind unlustig, darüber hinaus auch noch ein reiner Männerverein - zumindest wurde bis dato kein weiblicher Minion gesichtet - und brabbeln noch dazu unverständliches Zeug vor sich hin.

Babygeplapper

Dabei zählt gerade die Sprache der Minions zu den genialsten Ideen ihres Erfinders, Pierre Coffin von der Animationsfilm-Schmiede Illumination. Komplett gaga und sinnfrei ist ihr Gebrabbel nämlich nicht. Es handelt sich vielmehr um ein Kauderwelsch aus Italienisch, Französisch, Englisch, Deutsch, Spanisch, Koreanisch und Chinesisch. Coffin nimmt einzelne Wörter aus diesen Sprachen her und kombiniert sie mit Nonsens-Worten zu Minionesisch. Nicht von ungefähr erinnert die Sprache ein wenig an Babygeplapper.

Anstößig?

Dass die Ausdrucksweise der Minions durchaus missverständlich ist, zeigt ein Vorfall, der sich 2015 in einer McDonald's-Filiale in Florida abgespielt hat. Da beschwerte sich ein erboster Großvater, die zum Happy Meal seines Enkerls gereichte Minions-Figur würde "What the fuck?" sagen. Der Konzern rechtfertigte sich prompt: "Die Figur sagt:,Para la bukay, hahaha.' Wir wissen zwar nicht genau, was das heißt, aber es ist nichts Anstößiges."

Man sieht: Mit den Minions lässt sich wunderbar Aufmerksamkeit erzeugen und Werbung machen, von der die Marke selbst wie auch die Firma, die mit ihr wirbt, profitiert.

Die Dominanz der Gelben ist insofern erstaunlich, als sie von Anfang an nur als Nebendarsteller in "Ich -Einfach unverbesserlich" vorgesehen waren. Minions heißt auf Englisch Lakaien oder Knechte, und als solche dienen die Figuren dem Ex-Superschurken Gru. Der Witz ist, dass sie das Böse wollen und stets auf niedliche Weise scheitern. So mancher Chef mag in den Minions den einen oder anderen hochmotivierten, aber unfähigen Mitarbeiter wiedererkennen. Und auch die Verbindung von Eltern zu ihren Kindern haben die Macher in der Beziehung von Gru zu den Minions gespiegelt: Die Kleinen sind unpackbar süß, aber sie nerven bisweilen halt auch -oder umgekehrt.

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In "Ich -Einfach unverbesserlich" (2010) mussten sie mitansehen, wie sich ihr Superschurke unter dem Einfluss der Waisenkinder Margo, Edith und Agnes zum Supervater wandelte. Im zweiten Teil aus dem Jahr 2013 verliebte er sich auch noch. Im dritten dürfen die Minions nun wieder Hoffnung schöpfen. Denn unter dem Einfluss seines plötzlich aufgetauchten Zwillingsbruders Dru - einer erfolgreicheren Version von Gru, die auch noch volles Haar hat -droht er, wieder böse zu werden.

Auch Erwachsene angesprochen

Zum Glück taucht ein echter Schurke auf, den zu jagen es sich lohnt. Der ehemalige Kinderstar Balthazar Bratt ist besessen von den 80ern und verwendet Kaugummi, Zauberwürfel und Umhänge-Keyboard als Waffen. An dieser Figur lässt sich ablesen, wie es Illumination gelingt, alle Semester anzusprechen. Der lächerliche Bösewicht mit Vokuhila, bei dessen Auftritten Songs von Michael Jackson ("Bad") und A-ha ("Take on Me") eingespielt werden, wurde offensichtlich in den Film eingeschmuggelt, um die Erziehungsberechtigten im Kinosaal bei Laune zu halten.

Während sie die öffentliche Wahrnehmung von "Ich - Einfach unverbesserlich" bestimmen, sind die Minions nach ihrem eigenen Kinoabenteuer "Minions"(2015) nun wieder auf die Rolle der Sidekicks und Gaglieferanten geschrumpft. Sie landen diesmal im Gefängnis und damit in einem Film im Film, der mit der Haupthandlung nur sehr lose verbunden ist.

© Universal Pictures

An ihrer seltsamen Strahlkraft ändert das freilich nichts. Und der nächste Blockbuster in der Reihe wird wieder ganz den kleinen Helden Kevin, Bob und Stuart gehören: Für 2020 ist "Minions 2" angekündigt. Die gelbe Gefahr -derzeitiger Bekanntheitsgrad: 95 Prozent - wird uns also noch länger auf Bildschirmen, Bettwäschen und Postern auf Kinderzimmertüren begleiten. Man sollte sich besser mit ihr arrangieren.