Franzobel: Hofnarr,
Träumer, Dichterfürst

Franzobel zählt zu den erfolgreichsten Autoren Österreichs. Stefan Griebl, der Mann hinter dem Künstlernamen, ist ein warnender Beobachter mit schier unerschöpflicher Kreativität -und zum Leidwesen seiner Exfrauen mit dem Schreiben verheiratet.

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Träumer, Dichterfürst © Bild: Ricardo Herrgott

Egal, ob im Schatten von Kim Kardashian am Opernball, mit Dompfarrer Toni Faber am Society-Parkett oder unter Hans Krankl als Promi-Kicker ("Das Match") am Bildschirm: Stefan Griebl alias Franzobel hat kein Problem damit, im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit zu stehen. Der Popstar unter Österreichs Literaten handelt sich damit speziell unter Kollegen aber nicht nur Applaus ein: "Ich habe keine Hemmschwellen. Wenn mich etwas interessiert, dann probiere ich es aus. Es ist mir egal, wenn andere sagen, dass man gewisse Dinge als Schriftsteller nicht machen darf."

Zumal der 53-jährige Wahlwiener, dessen Roman "Das Floß der Medusa" 2017 auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis stand und in Norwegen das fünftmeistverkaufte Buch des Vorjahres war, nicht zuletzt Neid auf seinen (internationalen) Erfolg ortet. "Das ist in Österreich nichts Neues. Man wird auch von der Kritik eher verrissen, wenn man erfolgreich ist. Aber das ist okay, ich verkaufe wenigstens ein paar Bücher."

Ein Beobachter seiner Zeit

Die genauen Verkaufszahlen zu eruieren, ist im Fall des gebürtigen Oberösterreichers ein Ding der Unmöglichkeit. Seit Anfang der 1990er-Jahre hat der Autor und Dramatiker mehr als 60 Bücher und fast 30 Theaterstücke veröffentlicht. Vor genau 25 Jahren wurde er für sein experimentelles Prosawerk "Krautflut" in Klagenfurt mit dem renommierten Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet, 2015 auch mit dem Nestroy-Theaterpreis. "Zuerst wollte ich ja Pfarrer oder Erfinder werden, ab 16 war mein Berufswunsch Maler. Wichtig war mir aber immer die Selbstbestimmtheit. Mit dem Bachmann-Preis habe ich 200.000 Schilling und damit ein bis dahin nie gekanntes finanzielles Polster gewonnen. Ich dachte, okay, damit werden sich die nächsten eineinhalb Jahre als Schriftsteller ausgehen. Und mittlerweile ist es zu spät, um noch etwas anderes zu machen."

Franzobel ist ein genauer Beobachter seiner Zeit und seiner Umwelt; es ist, wie er sagt, die "prinzipielle Position meines Lebens". So webt er mit leichter Hand aktuelle Themen wie den Umgang mit Flüchtlingen oder das Aufkommen diktatorischer Tendenzen in seine Geschichten ein -egal, ob diese (wie "Das Floß der Medusa") in der Vergangenheit oder (wie sein aktueller Krimi "Rechtswalzer") in der Zukunft spielen. Sätze wie "Die großen Katastrophen geschehen oft im Verborgenen" und "Das Volk braucht Disziplin, keine Freiheit" gewinnen angesichts der aktuellen Corona-Krise zusätzliche Brisanz: "Uns ist gezeigt worden, wie schnell ein System demokratischer Mechanismen ausgehebelt werden kann und wie willkürlich dann regiert wird. Gleichzeitig sagt mein Hausverstand, dass ein Teil dieser Entscheidungen notwendig war. Wenn es wirklich um das Überleben der Gemeinschaft geht, ist das Wohl des Einzelnen unwichtig."

Der Sohn eines ehemaligen Chemiewerkmeisters beginnt sein Tagwerk spätestens um fünf Uhr morgens, seine Texte schreibt er im Liegen. "Wenn ich nicht weiß, wie eine Geschichte weitergeht, gönne ich mir einen Sekundenschlaf. Ich sehe die Geschichte dann oft filmisch vor mir, es lösen sich Knoten und ich kann weiterschreiben." Das Familienleben leidet allerdings unter seiner ununterbrochenen Beschäftigung mit fiktiven Figuren -oft in drei, vier Büchern, an denen er parallel arbeitet. Dementsprechend ernüchternd fällt eine Zwischenbilanz des Vaters eines 22-jährigen (Laurenz) und eines zehnjährigen Sohnes (Nepomuk) aus: "Ich bin zweimal geschieden. Beide Frauen haben gesagt, dass ich mit dem Schreiben verheiratet bin. Und es stimmt: Es gibt Phasen, in denen ich tiefer in einem Text drinnenstecke als in der anderen, der 'richtigen' Wirklichkeit."

© Ricardo Herrgott

Kunst muss frei sein

Seine erste Frau war die bildende Künstlerin Carla Degenhardt, die Mutter von Laurenz, seine zweite Maxi Blaha, die Mutter von Nepomuk. Dass speziell seine Beziehung zu der Schauspielerin stets unter medialer Beobachtung geführt wurde und die Öffentlichkeit sehr private Dinge wie etwa die Frühgeburt von Söhnchen Nepomuk erfuhr, stört Franzobel im Nachhinein nicht: "Als Autor habe ich das Gefühl, dass ich mich ohnehin immer wieder nackt ausziehe. Denn alles, was ich veröffentliche, sind Gedanken und Gefühle, die ich einmal hatte. Aber jetzt, da es nach der Scheidung ein wenig ruhiger geworden ist, gehen mir die 'Seitenblicke' nicht ab. Viele Dinge, etwa die Besuche am Opernball, habe ich ja vor allem Maxi zuliebe gemacht. Sie hat davon mehr profitiert als ich, denn sie ist in der Zeit mit mir sicher bekannter geworden, als sie es vorher war." Seit eineinhalb Jahren ist er mit der Malerin Ramona Schnekenburger liiert - wieder eine Künstlerin: "Ja, ich brauche diese Gespräche über Kunst. Und einen Partner, der mir die Welt neu zeigt."

Franzobel, der Anfang Juli für ein halbes Jahr als Stadtschreiber nach Dresden übersiedelt ist und dort für einen großen DDR-Roman recherchieren wird, hängt seinen Gedanken keineswegs als zurückgezogener Poet ausschließlich im stillen Kämmerchen nach. Für "Das Floß der Medusa" bereiste er Frankreich und den Senegal, Recherchen zu "Rechtswalzer" führten ihn nach Moldawien. Für seinen nächsten großen Roman, der kommendes Jahr erscheinen wird und vorerst noch den Arbeitstitel "Die Entdeckung Amerikas" trägt, reiste er in mehreren Etappen nach Florida und Texas, nach Algerien, Spanien, Kuba, Kolumbien und Panama: "Reisen bereichern - vor allem in Gegenden, die dich verunsichern, weil du nicht schon im Vorhinein weißt, wie das Leben dort funktioniert. Ich habe lange Zeit Angst vor dem Reisen gehabt und mich immer wieder gefragt, ob es wirklich notwendig ist. Aber vor Ort fällt dir so viel ein und auf, es ist eine große Inspiration."

Bei einem Krügerl Bier im schattigen Gastgarten genehmigt sich der Wortkünstler bei schwierigen Fragen gerne einen Moment, um über die richtige Antwort nachzudenken. Etwa, ob er als Schriftsteller eine gewisse gesellschaftliche Verantwortung trägt, wenn er seine persönlichen Gedanken auf den Punkt bringt und notfalls vielleicht überzeichnet. "Im Prinzip ist jede Figur eines Buches ein Teil von mir und ich identifiziere mich immer mit ihr. In manchen Situationen spüre ich eine soziale Verantwortung der Gesellschaft gegenüber. In anderen schreibe ich aber auch nur, weil es mir wahnsinnig viel Spaß macht."

Aber braucht die Gesellschaft umkehrt überhaupt einen wie ihn? Einen Künstler? Eine Umfrage der britischen "Sunday Times" hat ergeben, welche Berufe in der Corona-Krise als systemrelevant erachtet werden und welche nicht. Dass Ärzte und Krankenpflegepersonal von 86 Prozent der Befragten als besonders wichtig empfunden wurden, ist keine Überraschung. Dass aber Künstler von 71 Prozent zur unwichtigsten Berufsgruppe gekürt wurden, können - vor allem -Künstler nur schwer nachvollziehen. Franzobel entlockt die Umfrage einen Lacher: "Natürlich sind wir zum reinen Überleben nicht wichtig. Aber wir sorgen für den Mehrwert, der den Menschen von anderen Kreaturen unterscheidet. Künstler sind nicht nur reflexiv und stellen Dinge in Frage. Auch das Infantile, das Hofnarrenartige ist für eine Gesellschaft enorm wichtig."

Das Gespräch führt zum Schluss zur gar nicht mehr nur philosophischen Frage nach der Freiheit der Kunst und deren Grenzen. Die Diskussion um Political Correctness, die im Zuge der internationalen Rassismusdebatte unter anderem zur Zensur einer Folge der britischen Comedyserie "Fawlty Towers" aus dem Jahr 1975 führte, hält Franzobel für gefährlich. "Kunst, und speziell die Satire, lebt davon, dass sie immer wieder Grenzen überschreitet. Bei dieser ganzen Diskussion geht es natürlich immer um Macht und die Frage, wer die offizielle Moral vertritt. Aber klar ist auch: Humor ist die wichtigste Waffe der Schwachen."

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der Printausgabe von News (32+33/2020) erschienen!

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