Wie Statista am Profil kratzen kann

Repräsentative Umfragen eignen sich trefflich, um die eigene Meinung öffentlich zu untermauern. Doch Auswahl und Qualität der zitierten Befragung beeinflussen Gewicht und Akzeptanz des Kommentars. Wikipedia und Statista taugen kaum dazu

von Medien & Menschen - Wie Statista am Profil kratzen kann © Bild: Gleissfoto

Christian Rainer hatte Phasen, in denen sein Ich die Argumente überschattete. Mittlerweile liegen die Denkanstöße des "profil"-Herausgebers wieder klar vor der Selbstbespiegelung. Doch er gibt manch Gedankenquelle unpräzise preis. Statt "ein Kollege von der 'Kleinen Zeitung' machte sich die Mühe, diese Großtat des Außenministers kleinzurechnen" hätte er ohne Verlust des Wortspiels Michael Jungwirth nennen können. Eine Petitesse. Keine Kleinigkeit im Leitartikel "Österreich sagt nein" ist aber die Schlamperei im Finale. Erst führt Rainer überzeugend aus, wie Neutralität sich von Notlüge über Feigheitsbekenntnis zum pathologischen Zug entwickelt. Doch dann kommt: "Laut einer Statista-Umfrage im März ist die Neutralität für 91 Prozent der Bevölkerung 'sehr wichtig' oder 'eher wichtig'." Statista? Diese deutsche Onlineplattform greift auf fremde Studien zurück und bereitet diese auch auf. Doch sie ist als Aggregator nur Sekundärquelle. Ein Ausgangspunkt, aber keine Endstation für Recherchen. Das gilt für Wissenschaft wie Journalismus. Ähnlich wie Wikipedia. Doch anders als diese ehrenamtlich betriebene Enzyklopädie lässt Statista sich die Offenbarung der Quelle bezahlen. Es saugt Daten aus dem Markt, die dadurch immer schwieriger im Original aufzufinden sind. Statista dominiert in der Google-Suche. Hochschulen sehen sich deshalb immer öfter bemüßigt, ihre Studierenden auf die Startrampen- statt Landebahnfunktion der kommerziellen Quelle hinzuweisen.

Die von Christian Rainer gemeinte, aber nicht genannte Studie liefert ein gutes Beispiel, warum das so ist. Wer Statista für die Preisgabe seiner Quelle nichts bezahlen will, muss nur "Neutralität 91 Prozent Umfrage" bei Google eingeben. Ungeachtet der per Algorithmus individualisierten Abfolge der Ergebnisse liegt eine ÖGfE-Erhebung auf der Website des Bundeskanzleramtes im Vorderfeld. Die Österreichische Gesellschaft für Europapolitik ist eine untadelige, überparteiliche Organisation. Werner Beutelmeyers Market Institut hat für sie online 500 Menschen befragt. Das unterschreitet die Qualitätskriterien des Verbands der Meinungsforscher. Für repräsentative nationale Aussagekraft sind mindestens 800 Personen kombiniert telefonisch und online zu befragen. Die Unique Research von Peter Hajek und Josef Kalina macht das so allmonatlich zur Parteienpräferenz für das "profil".

Die ÖGfE-Umfrage zur Neutralität ist also qualitativ fragwürdig. Das zeigen auch die Vergleiche zur entsprechenden Meinungsforschung mit vierstelligen Stichproben in Schweden und Finnland. Eine Woche später aber schreibt Christian Rainer schon: "In Österreich hingegen ist die Zustimmung zur Neutralität gerade durch den Ukraine-Krieg auf 91 Prozent gewachsen." Ohne Hinweis, dass dies ein Umfrageergebnis sei. Das Stimmungsbild mag ungefähr stimmen. Doch so entsteht Scheinrealität. Für die Eurobarometer der EU-Kommission ermittelt das Gallup-Institut mit 1.000 persönlich geführten Interviews die Austro-Daten. Demnach ist das Vertrauen der Österreicher in die Nato von Winter 2020/21 bis Juni/Juli 2021 um zwölf Prozentpunkte, von 32 auf 44 Prozent gewachsen. Stärker als in jedem anderen EU-Staat. Noch vor Beginn des Ukraine-Krieges sank es aber auf 39 Prozent. Die Methodik dieser regelmäßigen Erhebungen in allen EU-Staaten ist belastbarer als die ÖGfE-Umfrage.

Nun will der Autor hier aus einer Mücke keinen Elefanten machen und Christian Rainers Verdienste als Leitartikler nicht schmälern. Doch der hat auch Vorbildfunktion. Natürlich ließe sich die Kritik wie folgt üben: "Ein Kollege vom 'profil' entzog sich dem Risiko, sein schlüssiges Fazit per Recherche des Umfrageprofils allenfalls der weiteren Profilierung zu berauben." Doch damit wäre der Großschreiber so anonymisiert wie der Kleinrechner der "Kleinen Zeitung" und die Umfragequelle durch Statista. Das ist in allen drei Fällen ein Fehler und nur im dritten zugunsten eines Geschäftsmodells.