Vom Häuslvideo zum Pragmaticus

Roger Köppel ist der bunteste Hund im deutschsprachigen Wechselspiel zwischen Medien und Politik. Der Schweizer Rechtsausleger fungiert jetzt auch noch als Fernsehgesicht für Dietrich Mateschitz' neues Medienprojekt "Der Pragmaticus"

von Medien & Menschen - Vom Häuslvideo zum Pragmaticus © Bild: Gleissfoto

Stellen Sie sich vor, die ÖVP präsentiere einen Wahlkampfsong samt Video für junges Zielpublikum. Malen Sie sich aus, in einer Sequenz läse "profil"-Chef Christian Rainer den "Falter" auf der Toilette. Bilden Sie sich ein, er täte dies als Nr. 17 der türkisen Wiener Kandidatenliste für den Nationalrat.

Das alles ist natürlich pure Fantasie ohne irgendeine faktische Grundlage. Doch was für Österreich, die ÖVP, Christian Rainer und das "profil" unvorstellbar wirkt, gilt in der Schweiz als Normalzustand. "Weltwoche"- Chef Roger Köppel ist für die SVP des Kantons Zürich 2015 mit einer solchen YouTube-Produktion von diesem hinteren Listenplatz für den Nationalrat angetreten. Er hat dank des Rekords von fast 180.000 Vorzugsstimmen den Einzug geschafft -und wurde vor zwei Jahren wiedergewählt.

Das Video "Welcome to SVP" verzeichnet inzwischen 1,1 Millionen Aufrufe. Die Schweizerische Volkspartei -inhaltlich näher bei FPÖ als ÖVP -stellt seit 1999 die stärkste Fraktion im Nationalrat. Die von Köppel geführte "Weltwoche" ist bei den Eidgenossen das stärkste politische Magazin. Anders als das "profil" in Österreich wurde sie aber klar rechts positioniert. Doch so wie hier den "Falter" gibt es dort mit der "WOZ" eine pointiert linke Herausforderin. Sie ist der Lesestoff im Video-Klo.

Dem multifunktionalen Köppel wird aber nicht nur das Häusl, sondern auch die Schweiz immer wieder zu klein. Ursprünglich bei "Neue Zürcher Zeitung" und "Tages-Anzeiger", war er von 2004 bis 2006 auch Chefredakteur der "Welt" in Berlin. Mittlerweile ist Servus TV sein Stammplatz für persönliche Außenpolitik. Von allen pointiert rechten Diskutanten dort ist er am zugkräftigsten. Mit fast 150.000 Zuschauern hat er "Links.Rechts.Mitte" den bisherigen Seherrekord beschert. Und nun ist er das Gesicht von "Der Pragmaticus", dem lange erwarteten Medienprojekt von Dietrich Mateschitz.

Das ist in noch mehr Hinsichten pikant als nur der Vermischung von politischem Mandat und journalistischem Anspruch. Denn redaktionell spielt Köppel keine Rolle in dem neuen Produkt, das online und zehnmal jährlich auch als gedrucktes Magazin ausgesuchtes Expertenwissen an eine breite Öffentlichkeit vermitteln soll. Der oberste Selektor alias Chefredakteur ist der frühere "Standard"-Ressortleiter für Wirtschaft Andreas Schnauder. Er wiederum tritt in die Fußstapfen, die Michael Fleischhacker nach dem Ende von "Addendum" zurückgelassen hat. Dieses einstige Mateschitz-Medium war noch unter dem hochfahrenden Anspruch "Das, was fehlt" angetreten.

"Der Pragmaticus" muss sich daran messen lassen - während Köppel monatlich das TV-Magazin dazu präsentiert und Fleischhacker den "Talk im Hangar 7" moderiert. Zum Einstieg wurden sie aber beide übertroffen. Nicht einmal von Servus-Chef Ferdinand Wegscheider, der erst diesen Sonntag wieder quotenträchtig das Narrenzepter schwingt, sondern durch "Links. Rechts.Mitte". Die von Christoph Kotanko geleitete Analyse des Fleischhacker-Talks mit Sebastian Kurz hatte um 50 Prozent mehr Quote als das Gespräch mit 110.000 Live-Zuschauern (also exakt gleich viel wie eine Woche davor Armin Laschet bei Bild TV in Deutschland). Den "Pragmaticus" verfolgten dann nur noch 71.000.

All diese Zahlen wirken auf den ersten Blick bescheiden angesichts der rund 900.000 Kurz-Seher am nächsten Tag beim ORF-Sommergespräch mit Lou Lorenz-Dittlbacher. Doch "das erste österreichische Fernsehen" hat spätabends manchmal weniger Publikum als die neue Servus-Konkurrenz. Es wird vor allem am Wochenende eng für ORF 1. "Kronen Zeitung", "Kurier" und "profil" greifen ebenfalls dort an. Ihre Chefredakteure diskutieren nun jeden Samstag ab 20.15 Uhr in den wohl bald fusionierten hauseigenen Kanälen Schau TV und Krone TV. Auch hier beim Einstieg mit bescheidener Seherzahl. Das hat Christian Rainer jetzt mit Roger Köppel wirklich gemein: Aller Fernsehanfang ist schwer.

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