Die Quatschbuden sind der Tod der Diskussion

Die Kritik ist verheerend, die Quoten sind ausgezeichnet. Der zwiespältige Saisonstart von "Im Zentrum" durch eine Spezialausgabe mit den Präsidentschaftskandidaten wirft grundsätzliche Fragen zu politischen Talkformaten im österreichischen Fernsehen auf

von Medien & Menschen - Die Quatschbuden sind der Tod der Diskussion © Bild: Gleissfoto

Die Verrisse der Sendung waren so vorhersehbar wie das Niveau der Diskussion. Twitter tobte, während die Herausforderer Alexander Van der Bellens irrlichterten. So viel Fett bekommt der schlechteste "Tatort" nicht ab wie das "Im Zentrum spezial" zur Wahl. Derart beschimpft wird kein Schauspieler wie Moderatorin Claudia Reiterer. Nun lässt sich über das Format der Diskussion ebenso streiten wie über die Zulässigkeit wüster institutioneller Herabwürdigungen und unwidersprochener Falschaussagen der Kandidaten. Auch die Frage, ob eine gemeinsame öffentlich-rechtliche Bühne für sie überhaupt angemessen ist, wirkt berechtigt. Denn der eine oder andere schreit geradezu nach Entzauberung im Einzelverfahren. Doch die vielfach ungebändigte Interaktion hat auch manches entlarvt, was bei strengerer Gesprächsführung zurückgehalten bliebe. Einige Herren haben sich gehen lassen. Das Publikum im Blick und Rücken hatte seinen Anteil daran. Pure Studio-Atmosphäre ohne Zuschauer erleichtert die Disziplin und bremst den Typus "Rampensau".

Das via Social Media vermittelte Urteil über die Sendung kommt einer Hinrichtung gleich. Doch dahinter steckt größtenteils Ab- oder Zuneigung gegen oder für einen Präsidentschaftsbewerber und vor allem den großen Abwesenden: Dieses "Im Zentrum" war die beste Bestätigung für Alexander Van der Bellen, solche Konfrontationen zu meiden, weil sie das Amt beschädigen. Im Gegensatz zu von den Kandidaten gesteuerten Anhängerhorden auf Social Media ist die Kritik von einigen Experten via Twitter dennoch ernst zu nehmen - auch wenn die TV-Beobachter der Zeitungen ein wesentlich gnädigeres und differenzierteres Bild zeichnen. Doch neben dieser Qualitätsdiskussion steht der Quantitätsmaßstab von Publikumszahlen. 617.000 Live-Seher sorgten für ein Drittel Marktanteil. Das ist herausragend. Der Vergleich mit früheren Herbstsaison-Einstiegen von "Im Zentrum" beweist es. Die Wahlkampf-Auftaktsendung "Wer rettet das Klima?" 2019 und die Flüchtlingslager-Diskussion zur "Tragödie von Moria" 2020 hatten weniger als 450.000 Zuschauer und kamen nur auf 20 Prozent. Sogar das konfrontative Thema "Lockdown für Ungeimpfte"(528.000,29 Prozent) blieb 2021 weit dahinter.

Auch die beste Quote ist keine Ausrede für mangelnde Qualität. Doch es kommt darauf an, welcher Maßstab gilt. Im öffentlich-rechtlichen ORF dominiert seit Jahrzehnten ein vom privatwirtschaftlichen Wettbewerb geprägtes Kriterium des Marktanteils. Das hat schon begonnen, als "Im Zentrum" noch "Zur Sache" hieß. Die Rahmenbedingungen für solche Sendungsformate haben sich seitdem komplett verändert. Talk-TV ist die billigste Form des Fernsehmachens. Immer mehr Kanäle leben nur davon. Doch über viel belangloses Gerede geht das Gefühl für Gespräche verloren. Das gilt für Publikum wie Anbieter. Kurz, konfrontativ und polarisierend: So lauten die Handlungsrezepte für die Bildschirm-Quatschbuden. Hierzulande kommt hinzu, dass das allabendliche Interview in der "ZIB 2" zwar nach tagesaktuellen Maßstäben lange dauert, aber eine Antwortkürze für Diskussionen mitdefiniert, die ausgiebigere Differenzierung ermöglichen sollten. Dass Österreich zu klein ist, um speziell bei Polit-Talks nicht ständig die gleichen Gäste zu präsentieren, wirkt als weiteres Handicap.

"Im Zentrum" ist nach Zuseherzahlen und Marktanteilen immer noch das Austro-Flaggschiff seiner Sendungskategorie - trotz harter, privater Konkurrenz von "Pro &Contra" mit Corinna Milborn auf Puls 4 und "Der Talk" mit Meinrad Knapp auf ATV bis zu "Talk im Hangar 7" mit Michael Fleischhacker und "Links. Rechts. Mitte" mit Katrin Prähauser auf ServusTV. Besser zur öffentlich-rechtlichen Weiterentwicklung wäre aber mehr Narrenfreiheit aufgrund weniger Quoten-Relevanz. Die aus dem Erfolg von Podcasts ableitbare Sehnsucht nach wahren Gesprächen harrt einer Umsetzung ins lineare Fernsehen. Die ORF-Erfindung "Club 2" ist nicht tot, sondern benötigt eine kluge Adaption fürs Heute.