Der Chefredakteur im Hintergrund

Anders als seine Vorgänger Michael Fleischhacker und Rainer Nowak will der neue Chefredakteur Florian Asamer nicht auch das Gesicht der "Presse" nach außen sein. Das hat er mit seinem Kollegen Martin Kotynek vom "Standard" gemein

von Medien & Menschen - Der Chefredakteur im Hintergrund © Bild: Gleissfoto

Nach dem Rücktritt-Doppel von Matthias Schrom und Rainer Nowak hat "Die Presse" schneller einen neuen Chefredakteur gefunden als das ORF-Fernsehen. Die Entscheidung ist einerseits das größtmögliche Signal für Kontinuität, zum anderen aber auch ein überraschender Bruch. Denn Florian Asamer war schon seit 2011 Stellvertreter, anfangs noch von Michael Fleischhacker. Unter seinem Nachfolger wurde er dann langsam zu dem, der den Laden schupft, während der Chefredakteur, Herausgeber und Geschäftsführer in Personalunion sich publikumswirksameren Aufgaben widmete - vom Newsletter und Leitartikel bis zum Eigenevent und Fernsehauftritt. Asamer führte "Die Presse" auch in der Vakanz nach Nowak. 81 Tage lang, so, wie er es zuvor schon wesentlich öfter getan hatte. Ein Blattmacher ohne Drang nach mehr Außenwahrnehmung. Die Redaktion ist voll von Typen, die mehr Aufmerksamkeit suchen. Aber sie hat seine Nominierung als Chef mit 95,5 Prozent bestätigt.

Die Zustimmung der Kollegenschaft ist laut Statut notwendig, eine derartige Mehrheit aber keineswegs selbstverständlich. 1995 wurde Kurt Horwitz - zuvor ebenfalls in der Position des Ersatzmannes - per Zweidrittelvotum verhindert. Da Asamers Stellvertreter, die Wirtschaftsressort-Leiter Hanna Kordik und Gerhard Hofer sowie Außenpolitik-Leiter Christian Ultsch, fast ähnlich hohe Zustimmungsquoten erhielten, passt der Redaktion offenbar auch das vom "Presse"-Eigentümer, der Styria Media Group AG, vorgelegte Gesamtpaket. Die drei sollen mehr repräsentative Aufgaben wahrnehmen als ihr Vorgesetzter. Ultschs Auftritt in der ORF-"Runde der Chefredakteur:innen" am Sonntag war also keine Ausnahme, sondern typisch für die neue Rollenverteilung.

Diese Teamführung ist eine deutlich zeitgemäßere Interpretation dessen, was einst auch "Schriftleiter" genannt wurde, als sie das breite Publikum hat und sie in vielen Medien noch gepflegt wird. In Zeitungen wurden über viele Jahrzehnte die besten Schreiber Ressortleiter und aus dieser Liga dann der herausragendste Formulierungskünstler Chefredakteur. Dieses immer schon fragwürdige System hat zu zahlreichen menschlichen Überforderungen geführt. Management by Leitartikel funktioniert nicht.

Das gilt umso mehr, seit an der Spitze von Redaktionen quasi eierlegende Wollmilchsäue stehen müssen: Neben vielfältigen urjournalistischen Aufgaben von der Investigation über die Recherche bis zur Produktion braucht es visuelle Expertise von der Typografie über das Design bis zum Bewegtbild, umfassende medientechnologische Kenntnisse vom Softwaresystem über den Podcast bis zum Stream und schließlich noch Rechtskunde, Netzwerkpflege und Repräsentationsfähigkeit in fast allen Auftrittsformaten. Wen das in Summe nicht überfordert, der ist eine künstliche Intelligenz.

Asamer wird weiterhin kaum auf den öffentlich wirksamsten Bühnen zu finden sein und seine Rolle im Zusammenhalten des immer noch stärker diversifizierten Angebots "Zeitung" auf seinem Weg von der haptischen Begreifbarkeit in die digitale Scheinwelt sehen. Daraus entsteht ein spannender Zusatzaspekt im Wettbewerb mit dem "Standard", wo nach Gerfried Sperl und Alexandra Föderl-Schmid schon 2017 ein im eigenen Blatt und Digitalauftritt kaum sichtbarer Chefredakteur am Werk ist: Martin Kotynek meidet auch den großen öffentlichen Auftritt und überlässt vor allem seiner Stellvertreterin Petra Stuiber diese Arenen. Anders als der Chefredakteur des direkten Konkurrenten schreibt Asamer aber regelmäßig. Anlässlich seiner Wahl lobte er im Leitartikel noch wenig überraschend "die Eleganz und Schönheit der 'Presse'-Verfassung". Vier Tage später betitelte der 52-jährige Familienmensch dann seine Kolumne "Randerscheinung" mit: "Ein paar gute Jahre noch". Klingt nach Ansage.