Claudia Reiterer:
Endlich im Zentrum

Ab Jänner moderiert Claudia Reiterer die Politik- Diskussion "Im Zentrum". Für die Journalistin ist das ein lang gehegter Traum. Damit er wahr werden konnte, brauchte es ein Glücksrad in Hartberg, einen Schneesturm in Schladming und Kämpfe in Wien.

von Medien - Claudia Reiterer:
Endlich im Zentrum © Bild: ORF/Thomas Ramstorfer

Fünf Minuten. Mehr Zeit gibt sie sich nicht. Fünf Minuten hat Claudia Reiterer Zeit, um ein schwieriges Sudoku zu lösen. Ist sie nicht schnell genug, muss sie noch eines machen. Notfalls sogar ein drittes. Erst wenn sie so konzentriert ist, dass nichts anderes mehr zählt, ist sie bereit. Dann führt sie als Moderatorin durch Galaabende, Preisverleihungen oder Live-Sendungen, locker, aber fokussiert, witzig, aber seriös. Ab Jänner wird Claudia Reiterer jeden Sonntagabend "Im Zentrum", die wichtigste Politik-Diskussion Österreichs, moderieren. "Damit geht für mich ein Lebenstraum in Erfüllung", sagt sie. "Schon als junges Mädchen hat mich die Kombination aus Politik und Menschen am allermeisten interessiert." Um dieses Ziel zu erreichen, gab sich die 48-Jährige deutlich mehr Zeit als fünf Minuten. Ihr Weg an die Spitze war lang und gewunden.

Die Entscheidung

Mit 14 Jahren, so ist es in ihrem Tagebuch dokumentiert, legte sie das Ziel fest: "Ich werde die Matura nachholen und Journalistin werden", schrieb sie damals. Als Pflegekind in der ländlichen Steiermark kannte sie zwar keine Journalisten und auch sonst niemanden, der ihr Steighilfe geben konnte. Doch ihr Pflegevater, ein Baupolier, interessierte sich sehr für Politik. Mit ihm schaute sie jeden Abend die "Zeit im Bild" und diskutierte über Zeitgeschichte.

Als Reiterer mit sechs Jahren mitbekam, dass die Leute im Dorf über ihre behinderte Schwester sagten, ihr wäre unter Hitler viel Leid erspart geblieben, fragte sie ihren Vater sofort, wer dieser Herr Hitler war. "Ich habe noch diese Zwischenzeit erlebt, in der man am Land mit einem behinderten Kind nicht auf die Straße gegangen ist", erzählt sie. "Darum habe ich früh gemerkt, dass man überall auf Politik stößt. Und ein stark ausgeprägtes Unrechtsbewusstsein entwickelt."

Zur gleichen Zeit legte sie sich auch ihren Pragmatismus zu. Weil sie nicht ins Gymnasium gehen durfte, lernte sie nach der Hauptschule einen Beruf. Reiterer wurde Krankenschwester. Doch das eigentliche Ziel war längst festgeschrieben.

Das Warm-up

Auch während sie als Krankenschwester auf der Herzchirurgie im LKH Graz arbeitete, ließ sie das Ziel nicht aus den Augen. Nach Dienstschluss lernte sie für die Studienberechtigungsprüfung. Später studierte sie Pädagogik und machte eine Journalistenausbildung. 1995, mit 27 Jahren, begann sie beim Privatradio und damit im Journalismus zu arbeiten. "Wir Burschen wollten damals am liebsten moderieren und Musik spielen", erinnert sich ihr damaliger Radiokollege Gerald Fleischhacker, der heute bei "Bist Du deppert!" auf Puls 4 Steuerverschwendung aufdeckt.

"Aber Claudia wollte von Anfang an nur harte Information machen." Als der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl 1996 das Lipizzanergestüt Piber besuchte, war Reiterer die einzige Journalistin, die es schaffte, ihn zu interviewen.

Die Entdeckung

In einem Einkaufszentrum in Hartberg gelang ihr der nächste große Schritt. Anstelle eines verhinderten Kollegen moderierte sie ein Gewinnspiel, bei dem Kunden an einem Glücksrad drehen konnten. Der vereinbarte Lohn war ein Gutschein für ein Schuhgeschäft. Doch der Einsatz lohnte sich doppelt: Im Publikum stand nämlich zufällig Peter Rapp, der so angetan von Reiterers Bühnenpräsenz war, dass er sie am nächsten Tag dazu einlud, eine Probesendung für das "Millionenrad" zu produzieren. Reiterer ließ sich darauf ein. Sie wollte zwar nicht Österreichs Linda de Mol werden, sondern journalistisch arbeiten, "aber von Peter Rapp habe ich unglaublich viel gelernt", sagt sie. "Wie man in die Kamera schaut, wie man sich bewegt. Aber vor allem, dass man jedes Zeltfest und jede Modenschau moderieren soll, um Erfahrungen zu sammeln."

Mit fast 30 Jahren begann sie im ORF-Landesstudio Steiermark und wurde ein halbes Jahr später zum zweiten Mal entdeckt: Im Sommer 1998 verbrachte sie 31 Tage am Stück in Lassing, um über das Grubenunglück zu berichten. Sie arbeitete immer hinter der Kamera -bis eines Tages Hans Bürger, der für die "ZiB" vor Ort war, kurz vor einem Live-Einstieg nicht aufzutreiben war. Reiterer sprang spontan für ihn ein und stellte sich selbst vor die Kamera. In der "ZiB"-Redaktion war man begeistert von ihrem Einsatz und bot ihr einen Job an. Doch Reiterer wollte lieber in der vertrauten Steiermark bleiben.

Ein weiteres halbes Jahr später war sie gerade in Schladming, um einen Beitrag über Skiunfälle zu drehen, als Robert Stoppacher, der Chefredakteur der "ZiB", noch einmal anrief. Reiterer stand knietief im Schnee, wegen des schlechten Wetters konnte ihr Team nicht filmen, sie war frustriert. Diesmal ließ sie sich überreden: "Okay, ich komme. Für ein Jahr."

Die Kriege

In Wien wurde sie nicht nur freundlich empfangen. Was ihre Chefs als Genauigkeit schätzen, empfanden manche Kollegen als pedantisch. Ihren Ehrgeiz nahmen einige als anstrengend wahr. Und manche nahmen sie wegen ihres Werdegangs nicht ernst: "Was wird eine Krankenschwester aus der Steiermark schon wissen?", hieß es abfällig. Johannes Fischer, damals "ZiB 2"-Chef, war hingegen genau deswegen von ihr beeindruckt: "Mir hat es sehr imponiert, dass sie schon einen ganz anderen Beruf hatte. Für mich war das ein Zeichen von Disziplin, Nervenstärke und Empathiefähigkeit", sagt er.

Er gab ihr die Chance, bei der Sonntagabend-Diskussion "Betrifft" erste Moderationserfahrungen zu sammeln. Auch nachdem die Sendung auf Druck der Politik eingestellt worden war, unterstützte er sie weiter: "Ich habe immer Menschen gefördert, die für andere ein bisschen schwierig waren; Widerstandsgeister, die sich nicht alles gefallen lassen. Dazu zählte neben Claudia Reiterer auch Armin Wolf."

© ORF/Günther Pichlkostner

Doch eben diese widerständige Art wurde Reiterer bald zum Hindernis. Von der "ZiB" wechselte sie 2002 zum "Report", später zum "Hohen Haus". Nicht alle Wechsel waren freiwillig. Die Begründungen für ihr zweimaliges Moderationsverbot beim "Report" klingen wie Ausreden: Offiziell wurde sie als Moderatorin abgesetzt, weil sie sich weigerte, sich die Haare schneiden zu lassen. Und nach der Geburt ihres Sohns durfte sie nicht mehr moderieren, weil der damalige Chefredakteur Werner Mück ihren Hintern zu dick fand. Diesen Fall brachte Reiterer in einer Untersuchungskommission gegen den Chef vor. "In Unternehmen ist das genau wie in allen anderen Bereichen der Gesellschaft: Wenn Ungerechtigkeiten passieren, muss man sich wehren", sagt sie heute darüber.

Die Sendung "Hohes Haus" durfte sie zwar wieder moderieren. Doch nur ein halbes Jahr später wurde Reiterer ins Konsumentenmagazin "Heute konkret" versetzt. Dass ihr Mann, Lothar Lockl, damals Bundesparteisekretär bei den Grünen war, sei mit politischem Journalismus nicht vereinbar, hieß es offiziell. Zwei Jahre später machte sich Lockl als Strategieberater selbstständig. Sein wohl prominentester Klient ist Alexander Van der Bellen, dessen Bundespräsidentschaftswahlkampf er als Manager leitete.

Die Alternative

Doch Reiterer blieb politisch. In den über tausend "Heute konkret"-Sendungen, die sie seit 2007 moderierte, definierte sie die Konsumenten als Endverbraucher der Politik. Die Redaktion deckte Missstände auf und arbeitete investigativ. Nebenbei schrieb Reiterer gemeinsam mit der "Falter"-Journalistin Nina Horaczek eine umfassende Biografie von Heinz-Christian Strache. Sie profilierte sich als Moderatorin für Großveranstaltungen und tanzte sich bei "Dancing Stars" in die Herzen des Publikums. "Claudia Reiterer ist unglaublich vielseitig. Sie kann Diva, sie kann Dancing Queen, sie kann hart moderieren, mitfühlend und mitreißend sein", sagt Waltraud Langer, die die letzten sechs Jahre ihre Chefin war. "Sie kann ein Team wirklich motivieren. Ihre Rolle in der Redaktion geht immer über die der Moderatorin hinaus", sagt Fritz Dittlbacher, ihr neuer Chef ab Jänner.

Branchenkollegen sind oft kritischer mit Reiterer als ihre Vorgesetzten. Ein Unterhaltungsformat wie "Dancing Stars", schimpften manche, passe nicht zu einer seriösen Journalistin. Und als ihr bei der Opernball-Moderation mit Alfons Haider ein Interview misslang, verhöhnte der "Standard"-Kritiker Christian Schachinger ihre "mehr der Baum-als Mittelschule verdankten Englischkenntnisse". Reiterer ist Anerkennung wichtig. Doch sie hat gelernt, zu unterscheiden: "Mir ist es wichtiger, dass mein Publikum zufrieden ist, als dass meine Kollegen es sind", sagt sie. Gerade "Dancing Stars" habe sie stärker gemacht: "Da habe ich gelernt, dass man nicht perfekt sein muss. Dass die Leute auch Fehler verzeihen." Die positive Resonanz bestärkte sie darin, in ihrem letztes Jahr erschienenen Buch "Der Popcorn-Effekt" die Geschichte ihrer Kindheit zu erzählen.

Das Ziel

Bei der Entscheidung ihrer Chefs, sie zur neuen "Im Zentrum"-Moderatorin zu machen, dürften all diese Erfahrungen ein Vorteil sein. "Die Moderatorin einer Diskussionssendung muss Konfliktfähigkeit haben. Und die hat Claudia Reiterer schon oft unter Beweis gestellt", sagt Waltraud Langer. "Ich weiß Unbequemlichkeit bei Journalisten zu schätzen", sagt auch Fritz Dittlbacher. Und Robert Stoppacher, der mittlerweile Leiter der Diskussionssendungen ist und damit wieder ihr Vorgesetzter sein wird, freut sich: "Sie kann giftige Fragen auf eine unheimlich charmante Art stellen."

© ORF/Thomas Ramstorfer

Am Grundkonzept der Sendung soll sich mit Reiterer als Moderatorin nichts ändern. Nur einzelne Elemente werden angepasst. Was genau geplant ist, wird bis zur ersten Sendung geheim gehalten. Für Claudia Reiterer selbst geht 2017 ein Traum in Erfüllung, mehr als drei Jahrzehnte, nachdem sie ihn das erste Mal ausformuliert hat. Am 15. Jänner um 22 Uhr wird sie zum ersten Mal "Im Zentrum" moderieren. Kurz davor wird sie schwierige Sudokus lösen. In weniger als fünf Minuten.

Kommentare

parteilos melden

Eine unabhängige Person hat es geschafft, völlig unparteiisch den Sessel zu erobern....

Gabe Hcuod
Gabe Hcuod melden

... während du in der rechten Ecke stehst und bedeutungslos bleibst.

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