"Staatsfeind" Leo Tolstoi

Der "Krieg und Frieden"-Autor hat sich zu Lebzeiten nicht nur beliebt gemacht

Der russische Jahrhundert-Schriftsteller Leo Tolstoi (1828-1910) hat sich nicht nur Zeit seines Lebens Feinde gemacht: An seinem 100sten Todestag vor vier Jahren lehnte die die russische-orthodoxe Kirche immer noch eine Versöhnung mit ihm ab. Und sein Urenkel Wladimir ist sich sicher: "Leo Tolstoi wäre heute eine Art Staatsfeind". Google ehrt den "Krieg und Frieden" und "Anna Karenina"-Autor zu seinem 186. Geburtstag mit einem Doodle.

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Google Doodle - "Staatsfeind" Leo Tolstoi

Lew Niokolajewitsch Graf Tolstoi wurde in Jasnaja Poljana geboren. Hier war zugleich auch sein Wohn-und Arbeitsort. Auf dem Landgut rund 200 Kilometer südlich von Moskau entstanden Meisterwerke wie "Krieg und Frieden" und "Anna Karenina". Für viele Russen brach mit dem Tod ihres Jahrhundertschriftstellers eine Welt zusammen. Als der Autor 1910 im bescheidenen Häuschen eines Bahnwärters in Astapowo starb, verlor das Land einen seiner größten Denker, eine moralische Instanz. Der Todestag fiel nach westlichem Kalender auf den 20. November - in Russland aber, wo noch die vorrevolutionäre Zeitrechnung galt, auf den 7. November.

Schmuckloses Grab

Ausgerechnet zum Sterben hatte der Greis das von ihm so geliebte malerische Jasnaja Poljana - rund 200 Kilometer südlich von Moskau - verlassen. Es war der Ort, wo er als Spross eines Adelsgeschlechts am 9. September 1828 zur Welt kam. Dort wurde er im Alter von neun Jahren Vollwaise. In Jasnaja Poljana, wo heute ein Museum und ein schmuckloser Grashügel als Grab an den Schriftsteller erinnern, ließ er seine Frau Sofia, mit der er ab 1862 für 48 Jahre verheiratet war und 13 Kinder hatte, zurück. "Ich tue das, was Alte in meinem Alter tun sollten: Sie gehen aus dem Leben, um ihre letzten Tage in Einsamkeit und Ruhe zu verbringen", schrieb er zum Abschied an Sofia.

Inszenierter Tod

Tolstoi wusste seinen Tod zu inszenieren - wie er schon sein Leben mit Sofia als Spektakel medienwirksam zu vermarkten vermochte. Dass der bärtige Einsiedler sich in ein armseliges Bett zum Sterben zurückzog und in einem einfachen Holzsarg bestatten ließ, passte zu dem von ihm immer wieder gepredigten einfachen Leben, das er allerdings selbst so nie führte. "Ich kann nicht mehr leben unter diesen Bedingungen des Luxus", hieß es auch in dem Brief.

Urenkel: "Leo Tolstoi wäre heute eine Art Staatsfeind"

Dennoch: "Die Zerstörung des Menschen und die Zerstörung seiner Umwelt, in der er sich befindet - das ist es, was Tolstoi am meisten umgetrieben hat", sagt der Ururenkel in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. Er sei nicht nur Kriegsgegner gewesen, sondern auch einer der Ersten mit einem sozialen Gewissen, dem es auch um die Menschenrechte ging, meint Wladimir Tolstoi. So habe er auch das Ende des Zarenreichs vorausgesehen - freilich ohne die sozialistische Oktoberrevolution noch zu erleben, bei der sieben Jahre nach seinem Tod die Kommunisten die Macht übernahmen.

Moskauer Kirche weiter im Krieg mit Tolstoi

Krieg und kein Frieden: Auch lange nach dem Tod Tolstois lehnt die russische-orthodoxe Kirche eine Versöhnung mit ihm ab. "Die Tätigkeit Tolstois in den letzten zehn Jahren seines Lebens war extrem zerstörerisch für Russland", teilte der Kultursekretär des Moskauer Patriarchats, Tichon Schewkunow, 2010 mit. Der Jahrhundertschriftsteller bleibe aus der Kirche für immer ausgeschlossen, schrieb Tichon.

Tolstoi habe seinem Volk "Unglück" gebracht, schrieb Tichon. Der Graf habe sein Talent "für die Zerstörung der geistigen und gesellschaftlichen Grundfesten Russlands" missbraucht. "Seine Aussagen waren schrecklich für das orthodoxe Bewusstsein." Er sei ein "Spiegel der Revolution" gewesen. Die russisch-orthodoxe Kirche macht Tolstoi mitverantwortlich für die Oktoberrevolution von 1917. Diese führte zum Untergang des Zarenreichs und nach der Machtübernahme der Kommunisten auch zu einer beispiellosen Unterdrückung der Kirche.  Eine Versöhnung sei daher unmöglich, schrieb Tichon.

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