Was wir 2018
lernen können

Österreich gedenkt der Novemberpogrome und der Republik-Gründung. Und sollte an die Zukunft denken

von / Renate Kromp © Bild: Ian Ehm/News

Auf den folgenden Seiten dieser News-Ausgabe werden Sie Familie Rothenberg und den Rabbiner David Lapp kennenlernen. 80 Jahre nachdem ihre Familien den organisierten Gräueltaten der Novemberpogrome ausgesetzt waren, besuchen sie Wien, um die Heimat ihrer vertriebenen, getöteten, gequälten Vorfahren zu sehen. Ihre Grundstimmung: positive Neugier. Im Kopf auch die schönen Erinnerungen, die ihnen ihre Verwandten, die in Wien aufgewachsen sind, weitergegeben haben. Dieser offene Geist, ihre ausgestreckte Hand, beeindruckt, denn sie hätten allen Grund, das Land bitter zu sehen und hier vor allem die Nachfahren der Täter wahrzunehmen.

Dieser Tage gedenken wir der Novemberpogrome vor 80 Jahren, aber auch der Entstehung der Republik Österreich im Jahr 1918. Und dieser Tage können wir von der beeindruckenden Haltung dieser Zeitzeugen lernen, die im Zeichen der Versöhnung steht. Denn im Jahr 2018 werden in Politik und Gesellschaft oft wieder die Gegensätze forciert, nicht das Gemeinsame und die Verpflichtung, die wir aus der Vergangenheit mitbekommen haben. Rechts gegen links, Stadt gegen Land, Männer gegen Frauen, Österreicher gegen Zuwanderer -das Klima verschärft sich.

In Österreich wie auch in anderen Ländern setzen Parteistrategen auf Polarisierung zur Stimmenmaximierung. Der Zweck (an die Macht zu kommen oder an der Macht zu bleiben) heiligt die Mittel. Es wird Neid geschürt, ohne zu bedenken, dass es keinem Menschen besser geht, wenn anderen etwas weggenommen wird. Gleichzeitig werden Harmonie und Konsens in der Regierung so interpretiert, dass man über Verfehlungen des Koalitionspartners hinweggeht, wenn Kritik und Haltung angebracht wären. Kein Streit, das darf nicht Blindheit gegenüber extremen Gesinnungen und Handlungen bedeuten.

Im Gedenkjahr 2018 ist Wachsamkeit angebracht, wie sie allerdings auch in all den Jahren davor angebracht war. Österreich hat heute eine Mitte-rechts-populistische Regierung, was bei vielen die Sorge um dieses Land erhöht. Angesichts der Maßnahmen dieser Regierung aber sofort den Vergleich zum Ständestaat der Zwischenkriegszeit zu ziehen, ist überspitzt. Ebenso ist es allerdings ein Missbrauch von Geschichtsbewusstsein, wenn die Regierungsparteien Kritik zur Nazi-Keule uminterpretieren und beleidigt aufjaulen. Man muss sich der Geschichte dieses Landes stellen, sollte sie aber nicht tagespolitisch instrumentalisieren. Denn das lässt die Menschen abstumpfen und übersehen, wenn es wirklich ernst wird.

Was Politik und Gesellschaft aus diesen Gedenktagen mitnehmen sollten, ist Bereitschaft zum Dialog. In der Tagespolitik und in den sozialen Medien ist der Tonfall überwiegend unfreundlich bis beleidigend. Dabei ist der nächste große Wahlkampf noch Jahre entfernt. Wenn das Grundrauschen jetzt schon so laut und schrill ist, will man sich gar nicht ausmalen, mit welchen Parolen 2020 in Wien oder 2022 auf Bundesebene gegeneinander angetreten wird. David Rothenberg formuliert es so: "Der Hass ist zurück. Ein Drittel der Bevölkerung hasst irgendwen. Und der Rest tut nichts dagegen. Das ist vielleicht etwas, das wir aus der Geschichte lernen können."

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: kromp.renate@news.at

Kommentare