Die Schule der
großen Schritte

Viel mehr Maturantinnen, eine sich ändernde Gesellschaft: Doch wie reagiert darauf das Schulsystem?

von Renate Kromp © Bild: Ian Ehm/News

Heute fahren sie noch im Kinderwagen durch die Gegend, doch die Statistik weiß schon jetzt einiges über ihren Bildungsweg: Von den jetzt noch kleinen Mädchen werden im Jahr 2035 um diese Zeit gerade 59 Prozent für die Matura büffeln. Von den kleinen Buben werden es 43 Prozent sein -also auch eine ganze Menge, aber doch deutlich weniger. Das haben die Experten der Statistik Austria errechnet. Man kann solche Zahlen in Dateien und Aktenordnern ablegen und einfach abwarten, ob es denn wirklich so kommt. Man muss sich aber auch fragen, ob nicht nur das Bildungssystem, sondern auch die Gesellschaft auf diese Entwicklung vorbereitet sind und welche Veränderungen auf uns zukommen.

Wenn 59 Prozent der Mädchen maturieren, werden wohl die meisten von ihnen danach ein Studium absolvieren und Karriere machen. Sie werden hoffentlich, mehr als es heute der Fall ist, ihren gerechten Anteil an Topjobs und Bezahlung bekommen. Sie werden eine Ganztagsbetreuung für ihre eigenen Kinder benötigen, die heute eher mit dem Beigeschmack einer großzügigen Gabe älterer Herren an aufmüpfige Frauen, die ihre gesellschaftlichen Grenzen überschreiten, bereitgestellt wird. Ob sie es schaffen werden, dass Haushalts-,Erziehungsund Pflegearbeit zu gleichen Teilen von ihren Partnern übernommen werden? Ihre Mütter leisten heute den weitaus größeren Teil dieser unbezahlten Arbeit.

Wenn so viele Mädchen studieren, ist auch die Frage der Studienwahl relevant. Heute sind trotz aller Kampagnen technische Studienrichtungen von den Burschen dominiert. Das hat mit Rollenbildern und gut gemeinten Empfehlungen von Eltern und Lehrern an die Mädchen zu tun und nicht einfach damit, dass die Burschen das so viel besser könnten. Braucht man mehr Frauen in der Technik, - und die Maturantinnenzahlen legen das nahe -, muss sich etwas am gesellschaftlichen Klima und nicht nur an der Vermittlung in der Schule ändern.

Doch es geht bei den Zahlen der Statistiker nicht nur um Frauen. Wenn insgesamt 51 Prozent aller Kinder eines Jahrgangs die Reifeprüfung absolvieren werden, könnte das auch an der ungeklärten Zukunft der Neuen Mittelschulen (NMS) liegen. Jahrelang wurden diese von der Politik schlechtgeredet, und heute beklagt man sich, dass Eltern alles daran setzen, ihre Kinder ins Gymnasium zu bringen. Jetzt wäre es an der Zeit, die NMS mit einem attraktiven Bildungsziel zu versehen. Viel ist derzeit von Integration, von Kopftüchern, von Deutschklassen die Rede. Doch das ist nur ein Teil der Frage, wo wir unsere Gesellschaft in zehn, zwanzig, dreißig Jahren sehen wollen. Vielleicht würde es bei Schulreformen helfen, sich andere Fragen zu stellen: Will man eine Gesellschaft der Ellbogentechnik oder der Solidarität? Wie sollen künftige Generationen auf ein Leben mit dem Klimawandel vorbereitet sein? Angepasst an die neuen Umstände oder als Kämpferinnen und Kämpfer dagegen? Wie wird Arbeit verteilt sein, und welche Arbeitsfelder wird es noch geben? Sind es wirklich die, in denen die Wirtschaft heute Fachkräftemangel beklagt? Hätte man große Ziele, würden die vielen kleinen Reformschritte, über die man sich im Bildungsbereich erregt, in einem anderen Licht erscheinen.

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