Lamourhatscher läuft

Neue Koalition in der Krise? Was dem Ludwig alles einfällt. Aber es kann losgehen.

von Anna Gasteiger © Bild: News/Ricardo Herrgott

In der Krise, sagen die Meinungsforscher, wollen wir Stabilität. More of the same. Das politische Äquivalent zu nicht ganz frisch gewaschener Bettwäsche, entschuldigen Sie den eindrücklichen Vergleich. Und ausgerechnet jetzt kommt der Ludwig daher und will mit Neos koalieren, was einem politischen Erdbeben ungeheuerlichen Ausmaßes gleichkommt, wenn man die Seismografie der sozialen Medien heranzieht, und man muss sich wirklich fragen: Jo, derf er des denn?

Wo stellen wir uns nächsten Sommer zum Baden an ohne Gürtelpool, in den nicht mehr als sechs Personen passen? Worüber ärgern wir uns ohne Pop-up-Radwege? (Politiker, die ihren Wienern nicht regelmäßig Anlass für einen gepflegten Wutanfall geben, haben sie nicht verstanden.)
Ernsthaft jetzt. Es war eine schöne Zeit. Rot-Grün, das stand jahrelang für modern, progressiv und jung. Ein Gegengewicht zur immer rechter werdenden Bundespolitik. Ein Garant für progressive Klimapolitik. Ein Projekt mit schönen Erfolgen, Stichwort Mariahilfer Straße und 365-Euro-Ticket. Hätte ruhig so weitergehen können, warum nicht? Der Mensch ist ein bequemes Wesen; und wie sagten schon die alten Hernalser? Lieber eine Hebein in der Hand als ein Wiederkehr auf dem Dach.

Es ist nun aber doch die Taube vom Dach gesprungen, und das ergibt die interessante Situation, dass ausgerechnet Michael Ludwig, der gerne behäbig dargestellt wird und sich ausgleichend gibt, eine politische Konstellation auf Schiene bringt, die es noch nie zuvor gegeben hat. Eine „sozialliberale“ Koalition, eine „Fortschrittskoalition“, eine Zusammenarbeit von Sozialisten, die nicht besonders sozialistisch sind, und Neoliberalen, die nicht besonders neoliberal sind, das klingt sehr österreichisch, was soll da schon schiefgehen? (Natürlich, man muss erst einmal über das „noch nie zuvor“ hinwegkommen, aber wenn der Ludwig das kann …)

Ernsthaft jetzt. Es ist ein schöner Zug des Wiener Bürgermeisters, ausgerechnet in dieser schwierigen Zeit – wirklich ernsthaft jetzt –, in der viele Menschen sehr verunsichert sind, Angst vor Krankheit, Jobverlust oder Einsamkeit haben, ein Zeichen der Zuversicht zu setzen. Wer ein neues Projekt angeht, signalisiert damit, dass er an die Zukunft glaubt. Dass dieser fürchterliche Winter, der noch nicht einmal begonnen hat, irgendwann wieder vorbei sein wird. Dass Corona in den Familienfotobüchern verschwindet und in ein paar Jahren alle lachen: Schau, die Masken! (So wie einst: Schau, die Badeschuhe, die wir wegen Tschernobyl tragen mussten!) Dass irgendwann wieder normales Leben in dieser Stadt möglich sein wird.

Und wer so strahlt wie Christoph Wiederkehr beim Pressetermin mit dem Bürgermeister, ist sowieso der Mann der Stunde. Er wird sich halt nur wahrscheinlich am extrem schwierigen Bildungs- und Integrationsthema die Zähne ausbeißen, aber hey, wir werden noch einige Jahre Zeit haben, um darüber zu sprechen. Danken wir einstweilen lieber Michael Ludwig für das Licht der Hoffnung, das er in unseren Herzen entzündet hat. Lamourhatscher läuft. Es kann losgehen.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: gasteiger.anna@news.at