Noch immer
nichts verstanden

Schule, Ausbildung, Job – und ja, auch ausgelassene Partys, sind Dinge, die DIE Jugend beschäftigen. Unser Angebot an sie: ein Polizeiaufgebot und Mistkübel.

von Leitartikel - Noch immer
nichts verstanden © Bild: News/ Matt Observe

Ernsthaft? Wir sind überrascht? Wir wundern uns oder sind sogar entsetzt? Über eine Selbstverständlichkeit, die aber in Zeiten wie diesen zu einer Ungeheuerlichkeit aufgebauscht wird? Gemeint sind feiernde Jugendliche, die vor der Wiener Karlskirche und entlang des Donaukanals jetzt das nachholen, worauf sie Monat für Monat verzichtet haben. Einige von ihnen haben beim Feiern Maß und Ziel verloren. Maß und Ziel haben aber auch jene verloren, die diese Partynacht vom Wochenende jetzt be- und vor allem verurteilen. Erinnern wir uns also nochmals: Die, die da jetzt ausgelassen feiern, haben vorher mehrheitlich verzichtet. Bewundernswert stoisch und geduldig. Ein Verzicht vor allem zum Schutz „der Alten“: keine ausgelassene Party zum 18. Geburtstag, keine Maturafeier, kein Rumhängen mit Gleichaltrigen. Kein Auslandsjahr und auch kein Praktikum. Clubs zu, Schulen und Unis auf Sparflamme. Schulen im Übrigen nach wie vor mit Vollmaskierung.

Und was bekommen sie dafür? Jetzt, da die Pandemie gefühlt längst abgesagt ist? Die Antwort fällt kurz aus: nicht viel. Die Wünsche und Sorgen dieser Generation waren der Politik in den vergangenen Monaten schon immer nur ein paar Halbsätze wert. Geändert hat sich an dieser Einstellung auch in der „neuen Normalität“ nichts. Wenn also jetzt mit Blick auf die Feiernden nur ein „Unerhört!“ rausspringt, dann ist das billig. Und nur für jene Deppen gerechtfertigt, die randaliert und demoliert haben. Gemeint und angesprochen sind damit aber alle jungen Leute, die es auf die Partymeilen, und nicht (mehr) in die Wohnung der Eltern zieht. DIE Jugend eben.

»Der Jugend schickt man kein Impfangebot, dafür ein Aufgebot an Polizei“«

Besonders flott kommt dieses „Unerhört!“ jenen über die Lippen, die sich stolz und entspannt mit Impfpass ausgestattet in den Bars und Restaurants des Landes niederlassen. Ihre Welt ist nämlich längst wieder in Ordnung. Die der anderen ist es noch nicht. Denen schickt man kein Impfangebot, dafür aber ein größeres Aufgebot an Polizei vorbei, die auch gleich ein Platzverbot für den öffentlichen Raum mit im Gepäck hat. Das war vor Monaten schon nicht anders, als die Jugend auf dem Stephansplatz regelmäßig ihre Geldtaschen zücken durfte, weil sie in Kleingruppen zusammenstand und Abstandsregeln nicht eingehalten hatte. Ein paar Meter weiter durfte die Prosecco-Fraktion am Graben ebenso ohne Abstand, dafür aber unbehelligt ihren Feierabend genießen.

Jetzt soll es ein „runder Tisch“ richten. Der darf bekanntlich nicht fehlen, wenn Dinge nicht so laufen, wie sie sollten, aber man keine Lust hat, an den richtigen Schrauben zu drehen. Also will man den Verlieren der Pandemie – und diesen breiten Konsens gibt es immerhin – vorschreiben, wo und wie sie zu feiern haben. Dazu ein ausgeklügeltes Wegeleitsystem und ein paar Deeskalationsstrategien und Mistkübel als Zugabe. Man könnte aber auch einfach versuchen, das (temporäre) Problem nicht größer zu machen, als es tatsächlich ist. Jeder geöffnete Club mit Eintrittstest und eine aufgehobene Sperrstunde bringen mehr als jene Maßnahmen, die man sich an einem runden Tisch überlegt. Für die echten Probleme der Jugend – Schule, Ausbildung und Job – wird es im Übrigen mehr brauchen als einen runden Tisch. Weiß man das? Nein.

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