Wir werden (k)ein
Wunder erleben

Politik ist Inszenierung, dennoch wünschte man sich mehr konkrete Inhalte und weniger Ansagen

von Esther Mitterstieler © Bild: News/Ian Ehm

Es war im Jahr 2002, als der damalige Finanzminister, Karl-Heinz Grasser, durch die Bundesländer tingelte, um auf Stimmenfang in der Wirtschaft zu gehen -mit dem symbolträchtigen Motto "Wir haben Zukunft! Gemeinsam zum Erfolg". Grasser brachte an einem Abend im Juli 600 Vertreter von mittleren und kleineren Unternehmen in Wien dazu, ihm tosend zu applaudieren, so schlagkräftig, so jung und fesch war er. Sogar als er sich für die Steuern, die Unternehmer zahlten, bedankte und auch noch für die "zukünftigen Steuern, die Sie zahlen werden", tat das der Begeisterung des Publikums keinen Abbruch.

Weinviertel, im Juni 2017: Der neue ÖVP-Chef, Sebastian Kurz, kam, sprach und riss begeisterte Unternehmer in einer Tischlerei in Obersdorf mit, als er laut über die Senkung der Abgabenquote nachdachte. Nicht nur das verbindet die beiden politischen Ausnahmetalente: Sie saßen beide lang genug in der Regierung, um den Unmut der Leute auf sich zu ziehen. Etwa darüber, dass die berühmte 40-Prozent-Latte immer noch weit übertroffen wird -derzeit liegt die Abgabenquote bei rund 42,5 Prozent. Dennoch brachten sie es beide fertig, wie ein Erlöser zu wirken, der mit der alten Politgarde nun gar nichts am Hut hat.

Es ging durch. Und es geht durch, weil die Wähler vergesslich sind und die Fakten tatsächlich anders ausschauen. Was Kurz bisher vorgelegt hat, war bloß Ankündigung: zwölf Milliarden €Steuern senken ist eine wunderbare Idee. Wer soll etwas dagegen haben? Wie das konkret aussehen soll, wird er uns im Herbst sagen. Damals machte Grasser das ähnlich und verwies auf konkrete Maßnahmen zur Steuersenkung im Herbst.

Es ist eine Mär, dass Sebastian Kurz oder Christian Kern die ersten Meister politischer Inszenierung sind. Das haben in diesem Land schon andere vorexerziert, angefangen bei Jörg Haider und weiter gesponnen von Heinz-Christian Strache. Auch Kern war vor einem Jahr ein Hoffnungsträger, ein Erlöser der gelangweilten Sozialdemokratie, einer, dem man zutraute, das Steuer herumzureißen. Auch er musste die mühsamen Wege des Politdschungels beschreiten und verlor an Fahrt. Strache geht es ähnlich.

Das Match um Platz eins ist offen, mit besonders guten Karten für das "Wunderkind" Sebastian Kurz, wie ihn das englische Magazin "Economist" bezeichnete. Es liegt in unserer Kultur, dass wir gerne an Wunder glauben (würden). Nach Definition von David Hume ist ein Wunder eine Verletzung von Naturgesetzen, nach religiösem Befinden ein unerklärliches Ereignis, das Gott bewirkt hat. Allgemein gesagt: Es ist ein Ereignis, dessen Zustandekommen man sich nicht erklären kann und das Verwunderung und Erstaunen auslöst. So lautet die Beschreibung auf Wikipedia.

Unerklärlich ist das Phänomen Kurz nicht. Eine Partei in dieser Konstitution kann nicht anders als ihren Retter umgarnen. Wie loyal die Anhänger sind, wird sich weisen. Sollte Kurz die in Umfragen schon angepeilten 35 Prozent nicht erreichen, kann der Schuss schnell nach hinten losgehen. Matteo Renzi lässt aus Italien grüßen. Als Zerstörer alter Strukturen angetreten, entdeckte er rasch die Mühen der Ebene. Den Widerstand der Linken in der Partei konnte er nur vorübergehend überwinden. Kaum waren die ersten Regierungsblessuren zu sehen, stürzten ihn die Genossen. Dasselbe in Schwarz könnte Kurz passieren.