Wenn Oper
vom Leben erzählt

Dmitri Tcherniakov zeigt Tschaikowskys „Eugen Onegin“ an der Wiener Staatsoper - ein szenisches Ereignis.

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vom Leben erzählt © Bild: Wiener Staatsoper

Jede, tatsächlich jede der Premieren an der Wiener Staatsoper ist seit Beginn der Direktion von Bogdan Roščić ein Erfolg. Das Konzept, das Repertoire mit Übernahmen aus anderen Opernhäusern aufzuforsten, funktioniert. Ein echtes Juwel ist Dmitri Tcherniakows Inszenierung von Peter Iljitsch Tschaikowskys „Eugen Onegin“. 2006 hatte der heute 50-jährige gebürtige Moskauer dieses Königswerk des russischen Repertoires an keinem geringeren Haus als am Bolschoi Theater in Szene gesetzt. Ein heikles Unterfangen, denn Tschaikowskys Vertonung von Alexander Puschkins Roman kennt in Moskau jeder: die Geschichte dieses Einzelgängers, dieses Dandys der die junge Schwärmerin Tatjana zurückweist, seinem besten Freund im Duell das Leben auslöscht und nach Jahren auf der Flucht vor sich selbst und dem Erlebten wieder auf Tatjana trifft, blieb in Tcherniakovs Produktion fast 15 Jahre auf dem Spielplan, alle 150 Vorstellungen waren ausverkauft.

Nachvollziehbar, wenn man diese Arbeit auf der Bühne sieht, die auf der ursprünglichen Fassung von Tschaikowskys Puschkin-Vertonung basiert. „Lyrische Szenen“ nannte sie der Komponist, in deren Zentrum Tatjana Larina als titelgebende Figur hätte stehen sollen. Tcherniakov verlegt das Geschehen in eine unbestimmte Zeit. Die Bühnenbilder, ein langer Esstisch und ein rot tapezierter Festsaal im Stil der 1960er Jahre, lange Tafel inklusive, hat er selbst entworfen. Das reicht ihm, um den Opern-Erneuerer Tschaikowsky zu zeigen, der vom Leben erzählt. Nichts anderes geschieht auch bei Tcherniakov: er bringt authentische Menschen auf die Bühne. Der Grundgedanke, alle Figuren an einer Tafel zu versammeln, geht auf.

Die Lieder der Landarbeiter werden von den Gästen der Larins am Tisch gesungen. Die Schwestern Tatjana und Olga tragen ihr Duett der Tischgesellschaft vor. Lensky, der Dichter, übernimmt die Arie des Triquet, der zur Feier von Tatjanas Namenstag engagiert wird. Das Duell zwischen Onegin und Lensky wird klug aufgelöst: die beiden Kontrahenten ringen entlang des Tisches um ein Gewehr, dabei löst sich ein Schuss von dem Lensky tödlich verletzt wird. Am Ende ist wieder eine Tafel Ort des Geschehens. Tatjana, die durch ihre Ehe mit Fürst Gremin der provinziellen Enge ihrer Kindheit entkommen ist, und Onegin stehen einander erneut gegenüber.

Tcherniakov ist ein Meister der Personenführung. Jede Geste ist akkurat gesetzt, eins ergibt das andere, Szenen gehen ineinander über wie Zahnräder in einem Uhrwerk und dennoch mutet alles ganz organisch, ganz natürlich an.Hier wird echtes Leben gespielt.

Gesungen wird ausgezeichnet. Nicole Car, die kurzfristig die Rolle der Tatjana übernommen hat, ist ein brillant. Die Sopranistin verfügt mit ihrer hellen, klaren Stimme über alles, was diese Partie fordert: Kraft, Sicherheit bei den hohen Tönen und Ausstrahlung. Fulminant agiert sie in der Brief-Szene, in der sie tief in die Seele einer jungen Frau blicken lässt.

Gut besetzt bis in die kleinen Partien

Anna Goryachova ist stimmlich und darstellerisch eine idealtypische Olga. André Schuen überzeugt in der Titelrolle mit nobler Stimmführung. Sein Onegin ist aber noch weiter ausbaufähig. Bogdan Volkov versteht es, die Grenzen seiner Tenorstimme sehr gut auszuloten. Phänomenal gestaltet er die Arie des Lensky. Dimitry Ivashchenkos Gremin agiert und intoniert tadellos als Gremin.

Auch die kleineren Partien waren sehr gut besetzt: Helene Schneiderman als Larina, Larissa Diadkova als Filipjewna und Dan Paul Dumitrescu als Saretzki

Tomáš Hanus lässt am Pult des Staatsopernorchester nicht wenige Wünsche offen. Er setzt auf klangliche Kargheit und sehr eigenwillige Tempoführung, was dem Gesang aber nicht schaden konnte. Exzellent, der Slowakische Philharmonische Chor aus Bratislava. Sehr lang anhaltender Applaus.