Pirat im Film und im Leben

Seit 14 Jahren sticht Johnny Depp alias Seeräuber Jack Sparrow für Disney in See. In Teil fünf, "Pirates of the Caribbean - Salazars Rache", soll es zum letzten Mal sein. Dass er auch privat das Dasein eines Freibeuters pflegt, hat dem Hollywood-Exzentriker nicht immer gutgetan

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Film - Pirat im Film und im Leben

Das geöffnete schwarze Hemd, die schweren Silberhalsketten, die Sicherheitsnadeln im Ohr: Johnny Depp ist für immer jung. Weniger elegant formuliert, zeigt das Bild einen prototypischen Berufsjugendlichen von bald 54 Jahren. Aufgenommen wurde es vor wenigen Tagen im Pariser Disneyland. Anlass war die Präsentation des konzerneigenen Abenteuerkrachers "Pirates of the Caribbean - Salazars Rache". Der fünfte und vermutlich letzte Teil der Piratenserie um Captain Jack Sparrow ist in diesen Tagen auch in Österreichs Kinos angelaufen.

Seit 14 Jahren schon sticht der Sohn eines Ingenieurs für Disney in See, und die Beute ist gigantisch: Kolportierte 3,7 Milliarden Dollar hat er dem Großkonzern damit eingespielt. Er selbst soll allein für Teil fünf 100 Millionen Dollar an Land gezogen haben. Flankiert von den Oscarpreisträgern Javier Bardem (als Zombie Salazar) und Geoffrey Rush (als Konkurrenzpirat Barbossa) sind auch Orlando Bloom als Will Turner und Keira Knigthley wieder an Bord. Das Regieduo Joachim Rønning und Espen Sandberg hat Jeff Nathansons Story mit exzellenten Spezialeffekten umgesetzt. Sparrow und die Bösewichte fahnden mit allen technischen Finessen nach dem Dreizack des Poseidon, dessen Besitz jeden Fluch aufhebt und die Herrschaft über die sieben Meere gewährleistet.

Authentisch

Depp hat die Figur des Seeräubers nicht nur geprägt, sondern auch selbst gestaltet. Mit den braunen, von breiten Kajalstrichen umrandeten Augen, dem roten Kopftuch und dem zu langen Rasta-Locken geflochtenen Haar hat Depp diese Figur als Ikone der Seeräuberei geprägt. Auch darstellerisch setzt er sich von ikonisierten Klischeepiraten aus goldener Vergangenheit, etwa Errol Flynn, erklärtermaßen ab. "Ich wollte Jack Sparrow als Figur kreieren, die sowohl Intellektuelle als auch Fünfjährige anspricht", sagt er. Und: "Das Wichtigste ist, dass wir das Publikum immer wieder überraschen."

© Disney Enterprises, Inc. Der diskrete Charme des Piraten: Johnny Depp in seiner Paraderolle als Jack Sparrow und Kaya Scodelario als furchtlose Wissenschaftlerin Carina

Christian Huber, Kinowissenschaftler vom Wiener Filmmuseum, umreißt das Phänomen: "Johnny Depp ist einer der Letzten von Hollywoods Star-Generation, und auch aus dieser Generation ragt er als etwas Besonderes heraus. Er war nie der klassische Star-Typ, sondern ist ein Charakterdarsteller, der nicht nur über Präsenz und Charisma, sondern auch über Talent verfügt. Man hat den Eindruck, dass er sich für jede Rolle etwas Spezielles überlegt. Sein Mienenspiel als Jack Sparrow ist wie ein Kontrakt mit dem Zuseher."

Anno 2013 bei einem Gastauftritt an der Arizona State University erklärte sich Depp so: "Man denkt stets zu viel über seine Vergangenheit nach, man sorgt sich über die Zukunft, dabei vergisst man, worauf es tatsächlich ankommt -auf das Jetzt." Und nach diesem Diktum stilisiert er auch die Figur des Kapitän Sparrow.

Mythos von Freiheit

Christoph Sindelar, Psychotherapeut und Leiter des Sindelar Centers in Wien, verbindet den Magnetismus des Schauspielers mit beinahe archetypischen Sehnsüchten: "Johnny Depp bedient den Mythos des Freiheitsliebenden, des Verwegenen. Er steht für die Sehnsucht, einfach Segel zu setzen und den Problemen des Alltags zu entkommen. Gerade in einer Zeit, wo uns in den Medien ständig erklärt wird, wie gefährlich das Leben geworden ist, wird der Wunsch nach Freiheit, alles sein zu lassen, immer größer." Und Christian Huber ergänzt: "Depp zeigt als Sparrow, dass man nicht immer im Leben alles so ernst nehmen muss."

Ob es seine eigene Lebenshaltung ist, die er in dieser Figur abbildet, oder ob der Seeräuber das Leben des Darstellers geprägt hat, muss Spekulation bleiben. Gut möglich, dass Depps Erfolg in seiner Authentizität begründet ist. Beunruhigend ist es allerdings, wenn Darsteller und Filmfigur einander immer ähnlicher werden, wie Sparrow und Depp.

Keine Frage des Geldes

Zu Beginn von "Salazars Rache" steht es miserabel um Sparrow, den Helden. Sein Schiff, die "Dying Gull" ("Sterbende Möwe"), ist ein Wrack, ein projektierter Bankraub ist gescheitert, die Crew will ihn verlassen, und schließlich droht ihm gar das Fallbeil. Gar nicht gut stand es zur Zeit des Drehs auch um den wirklichen Johnny Depp. Ein wüster Scheidungskrieg mit der um 23 Jahre jüngeren Schauspielkollegin Amber Heard hatte das ehemalige Teenager-Idol in den Einflussbereich von Hochprozentigem und Rauschmitteln getrieben. Umso authentischer muten die Szenen an, in denen sich Depp alias Jack Sparrow fast bewusstlos säuft, torkelnd einem überdimensionalen Banksafe entsteigt und linkisch mit dem Degen fuchtelt.

Dass es ähnliche Bilder ihres Idols auch in der Wirklichkeit gibt, wollten die meisten seiner Anhänger nicht wahrnehmen, erklärt Sindelar. Christian Huber wiederum vergleicht Johnny Depp mit der Hollywood-Legende Robert Mitchum: "Er lebte so, wie er wollte, und auch Johnny Depp verhält sich stets so, wie es ihm zumute ist. Er hatte zahlreiche Beziehungen, aber er machte nie ein Geheimnis daraus. Er kümmerte nicht sich darum, ob ihm das gute oder schlechte Presse bringt."

Zu Depps Auserwählten zählten Winona Ryder und Kate Moss, mit der französischen Schauspielerin und Sängerin Vanessa Paradis gründete er ohne Trauschein eine Familie. Aus der Verbindung gingen der heute 15-jährige Sohn John "Jack" Christopher III und Tochter Lily-Rose hervor. Die mittlerweile 18-Jährige findet inzwischen als Schauspielerin und Model ihr eigenes Auskommen, und das ist gut so. Denn ob Lily-Rose vom Vater in nächster Zeit viel erwarten darf, ist infrage zu stellen. Nicht genug damit, dass er seiner Exfrau Amber, die ihm körperliche Gewalt vorgeworfen hat, hohe Summen zukommen lassen muss, verklagte er auch seine finanziellen Berater: Sie hätten seinen aufwendigen Lebenswandel mit monatlichen Ausgaben von zwei Millionen Dollar nicht zulassen dürfen. Nun musste die Anzahl seiner 14 Luxusanwesen - unter anderem in Los Angeles, Saint-Tropez, dazu eine Pferdefarm in Kentucky und eine Insel der Bahamas - reduziert werden; ebenso seine Kunstsammlung, in der auch Werke von Klimt und Warhol zu finden waren. Seine Yacht veräußerte er an "Harry Potter"-Autorin Joanne K. Rowling. Bankrott sei Depp indessen keineswegs, ließ Anwalt Adam Waldman wissen.

Depp selbst erklärte einst in Larry Kings Talkshow: "Geld verändert einen nicht, es enthüllt die wahre Identität". So leben sie eben, die Piraten.