"Solimans Geschichte
ist ein Minenfeld"

Markus Schleinzer erzählt in seinen Film „Angelo das Leben des Afrikaners, der im 18. Jahrhundert nach Europa verschleppt wurde und es in Wien zur Berühmtheit brachte.

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Interview - "Solimans Geschichte
ist ein Minenfeld" © Bild: Phillip Faraone/Getty Images/AFP

News: Wie kam es zu diesem Historienfilm über die Person Angelo Solimans?
Schleinzer: Ich habe mich immer wieder gefragt, warum der österreichische Film, sich fast zwanzig Jahre lang immer nur im „Gemeindebau“ aufgehalten hat. In Stummfilmzeiten waren wir eines der führenden Länder der Filmbranche. Die Filmstadt Wien war riesengroß. Man muss nur daran denken, welche Filme Willi Forst produziert hat. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen dann diese Dirndl- und Lederhosenfilme, in denen Österreich hauptsächlich als Tourismusland vorgestellt wurde. Es gab keine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. In meiner Jugend war ich ein großer Anhänger von Karin Brandauer und von Axel Corti. Nach deren Tod war der poetisch erzählerische Ton im österreichischen Film verschwunden.

Barbara Albert hat mit ihrem historischen Kostümfilm „Licht“ über eine blinde Musikerin einen Versuch gewagt. Was passiert gerade in der Filmbranche?
Jetzt trauen uns wieder historische Filme zu machen. In politischen instabilen Zeiten wenden sich manche sich dem Fantasy-Genre zu, andere versuchen es mit Spiegelung wie ich mit „Angelo“. Ich habe versucht, über einen historischen Film auch etwas über unsere Gegenwart zu erzählen. Die Figur des Angelo Soliman hat mich schon seit meiner Kindheit beschäftigt.

Ist Ihr Film über den Afrikaner Angelo Soliman, der zur Zeit Mozarts nach Wien kam, als Ihr Beitrag zur aktuellen Debatte über Flüchtlinge zu verstehen?
Das Drehbuch habe ich aber schon vor fünf Jahren geschrieben. Da war das Thema „Flüchtlinge“ noch nicht so virulent wie jetzt. Natürlich muss sich der europäische Kontinent damit auseinandersetzen, dass sein Reichtum nicht von hier stammt. Die meisten der großen Schlossanlagen wurden ja mit Gütern finanziert, die man Drittländern genommen hat. Das ist ähnlich wie mit der Kirche. Vor der Kolonialzeit hat der Vatikan mit Ablassbriefen seine Kirchen finanziert. Heute schauen wir uns das als Touristen an, und denken uns: Schönes Europa, das muss man aber beschützen. Man sollte sich bewusst sein, dass wir eine Verantwortung gegenüber diesen Drittländern haben. Ich erkenne es nicht an, wenn viele heute sagen, dass sie das alles nichts angeht, weil sie nicht dabei waren. Wir waren doch alle nicht dabei, als die Waschmaschine oder das Handy erfunden wurden, trotzdem benutzen wir sie.

»Es gibt eine gewisse Form von politischer Korrektheit, die limitiert«

Wie ist das aber, wenn einen die Realität einholt?
Das ist schaurig. Vor allem weil der Film keine Refugee-Welcome-Propaganda ist. Das wird dem Film oft fälschlich nachgesagt, aber das ist er nicht. Er beginnt mit der Verschleppung der Afrikaner, jetzt kommen sie von selber. Die Bilder aber sind die gleichen. Damit sollte man sich auseinandersetzen.

Gegen die Aufführung von Jean Genets Stück „Die Neger“ bei den Wiener Festwochen 2014 und bei der Premiere von Bernard-Marie Koltés „Kampf des Negers und der Hunde“ vor wenigen Wochen im Akademietheater gab es von politisch korrekt Gesinnten heftige Proteste. Dass sich diese Stücke gegen Rassismus richten, wurde nicht beachtet. Sie verwenden in Ihrem Film das N-Wort. Erwarten Sie Proteste?
Es gibt eine gewisse Form von politischer Korrektheit, die limitiert. In meinem Film werden Terminologien historisch benutzt. Es gab damals diese Benennungen. Aber man muss sich natürlich heute bewusst sein, weshalb man welche Worte benutzt. Aber diese Worte auszulöschen, funktioniert nicht. Man kann sich nur mit einem Wort auseinandersetzen, wenn man es nennt. Es ist schwierig, aber man muss das aushalten, dass es das Gute und das Böse gab. Was wissen wir, was aus unserer heutigen Sprache einmal als politisch nicht korrekt angesehen wird. Wir werden uns noch wundern, was alles möglich ist.

Haben Sie sich genau an historische Fakten gehalten?
Solimans Geschichte ist ein Minenfeld, weil jeder glaubt, dass er zu ihm etwas zu sagen hat. Das finde ich auch so berührend. Vieles davon ist nicht richtig. Es gibt für vieles keinen Beleg. Wir machen noch immer das gleiche wie früher. Durch die Verschleppung hat man ihm seine Identität geraubt und hat ihm eine andere übergestülpt. Heute versucht man, ihm durch Mythen- und Legendenbildung ein Leben anzudichten, das er vielleicht gar nicht geführt hat.

Weshalb sparen Sie die Zeit zwischen seiner Entlassung aus dem Hofdienst und seinen letzten Tagen vor dem Tod aus?
Mir ging es darum, zu zeigen, wie es einem Fremden erging, der sich christianisieren lassen musste, sich assimilieren, dienen und besonders sein musste. Für die Zeit nach seiner Entlassung hätte ich die Handlung mit Anekdoten füllen müssen, aber das wollte ich nicht.

»Die große Crux aller politischen Strömungen ist die unheimliche Kurzsichtigkeit«

Sie erzählen auch von seiner Aufnahme bei den Freimaurern. In einer Loge soll er Mozart getroffen haben. Warum kommt Solimans Zeitgenosse Mozart nicht vor?
Ich habe keinen Beweis dafür gefunden, dass die beiden einander wirklich getroffen haben. Und ich bin mir nicht sicher, wie offen die Freimaurer wirklich mit ihm umgegangen sind.
Sie nannten ihn auch „Mohr Angelo“, aber nicht Soliman. Vielleicht war es doch noch etwas zu früh, dass sie ihn als gleichberechtigt ansehen konnten. Vielleicht entsprach es auch einer gewissen Arroganz, sich damit zu schmücken, dass man ihn aufnahm.

Entspricht es auch einer gewissen Arroganz von politisch korrekten Menschen, wenn sie sich um Migranten annehmen?
Meiner persönlichen Meinung nach ja. Die große Crux aller politischen Strömungen ist die unheimliche Kurzsichtigkeit, die Ich-Bezogenheit, die Ignoranz im eigenen Weltbild. Die hat sich bis heute erhalten. Und letztendlich war es ja immer die eigene Arroganz, die herrschende Eliten zu Fall gebracht hat.

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