Sex sells - wie weit
darf Werbung gehen?

Palmers, Kronehit & Co. – gibt es in der Welt der Werbung überhaupt noch Grenzen?

Ja, auch 2017 schafft Werbung es noch, die Gemüter zu erhitzen. Während Palmers mit frauenverachtenden Sujets für Furore sorgt, wirbt Kronehit mit Brust-Operationen für Mutter und Tochter. Oder: Bei der Verleihung des größten Kreativ-Preises des Landes, der CCA-Gala, gewann „Frau Gertrude“ Gold. Ein Video, das mit dem Schicksal einer Shoah-Überlebenden im Wahlkampf für Van der Bellen Stimmung machte. Aktuelle Beispiele, die allesamt die gleiche Frage aufwerfen: Wie weit darf Werbung gehen? Und wie weit ist zu weit?

von Gesellschaft - Sex sells - wie weit
darf Werbung gehen? © Bild: shutterstock

So aktuell die Frage auch sein mag, neu ist sie nicht. Denn die wahrscheinlich größten Skandale in der Geschichte der Werbung hat es bereits längst gegeben: Die Arbeiten des Fotografen Olivero Toscani für United Colors of Benetton. In den 80er- und 90er-Jahren war Toscani für die Werbekampagnen des italienischen Modelabels verantwortlich. Durch ihre Eindringlichkeit und Ausdruckskraft wurden sie zu Kult. Durch ihre Provokation und Tabubrüche zum Skandal. Toscani zeigte sterbende AIDS-Kranke, Magersüchtige, ein Kind mit Down-Syndrom, ölverschmierte Tiere, blutige Kleidung eines toten Soldaten, Todeszellenkandidaten in Nahaufnahme. Es sind Bilder, die unter die Haut gehen. Unangenehm anzusehen sind. Und von denen man den Blick dennoch kaum lassen kann. Obwohl Toscani sich weder als Werber noch Werbefotograf versteht, hat er das oberste Ziel der Branche erreicht: Größtmögliche Aufmerksamkeit. In seinem Fall: Weltweit.

»Werbung ist alles und darf alles«

Auf die Frage, wo die Grenzen der Werbung liegen, sagt Toscani: „Werbung ist alles und darf alles. Mein Anliegen war es, Tabus aufzugreifen, die viele Menschen bewegen. Die Leute sollten mir dankbar sein für den Diskurs, den ich angestoßen habe. Ich zeigte einen Krieg, den keiner wahrhaben wollte, obwohl er sich mitten in Europa abspielte“. Toscani brach Regeln und Tabus gleichermaßen, setzte bewusst Skandale und revolutionierte damit die gesamte Werbebranche. Die Firma Benetton wuchs in der Zeit um das Zwanzigfache.

Werbung als Spiegel unserer Gesellschaft

Ein Skandal ist jedoch immer ein Kind seiner Zeit. Denn „Werbung kann und darf sich nicht im luftleeren Raum abseits von rechtlichen Rahmenbedingungen und ethisch-moralischen Werten einer Gesellschaft bewegen“. So steht es zumindest im Ethik-Kodex des Österreichischen Werberats geschrieben. Werbung ist gewissermaßen also immer ein Spiegelbild unserer Gesellschaft, ihrer Themen, ihrer Wertvorstellungen und Ideale. So kann das Transgender-Plakat, mit dem 2014 der Life Ball beworben wurde, als Zeichen einer, für solche Themen mittlerweile empfänglichen Gesellschaft gesehen werden.

Skandal #1: Osterhöschen für Gesichtslose

© Video: News.at

Die „Osterhöschen“-Sujets des Unterwäschenherstellers Palmers werfen derzeit mehr als nur eine Frage auf. Gezeigt werden unter anderem sechs junge Frauen, die in Höschen gekleidet, bäuchlings auf dem Boden liegen. In einem Raum voller Dreck. Das führte nicht nur zur einer Empörungswelle im Netz, sondern auch zu einem Schlagabtausch zwischen der Moderatorin und Nachrichten-Chefin Corinna Milborn und Extremsportler Felix Baumgartner. Er findet es sexy, sie sexistisch. Der Grat zwischen diesen beiden Polen ist schmal. Jedoch geht es dabei nicht um individuelle Befindlichkeiten, sondern, wie Nicole Schöndorfer in ihrer Kolumne schreibt, um ein kollektives Frauenbild und gesellschaftliche Verantwortung: „Wie ein im ganzen Land omnipräsentes Unternehmen Frauen in seiner Werbung inszeniert, ist relevant. Wenn es sie dann gesichtslos auf dem Boden drapiert auf einen Haufen Dreck starren lässt, dann ist das ein problematisches Bild“.

Werbung hat durch ihre Massenwirkung einen hohen Einfluss auf die gesamte Gesellschaft. Botschaften, die vermittelt werden, beeinflussen, bewusst wie auch unbewusst, wie wir uns wahrnehmen. Und wie wir sein wollen. Somit trägt sie, beziehungsweise ihre Gestalter, soziale Verantwortung. Den Referenzrahmen dafür bilden unter anderem die allgemeinen Menschenrechte sowie der darauf basierende Ethik-Kodex des Werberats. Die meisten Beschwerden, die beim Österreichischen Werberat einlangen, betreffen geschlechterdiskriminierende Werbung. Ein Gremium aus mittlerweile 212 erfahrenen und repräsentativen Persönlichkeiten entscheidet dann, ob die Würde von Frauen oder Männern verletzt wird. Wenn dies der Fall ist, kann es zu einer Verwarnung oder sogar einem sofortigen Stopp der Kampagne kommen.

Skandal #2: Brust-OP für Mutter und Tochter

Einen Werbestopp wollen auch die SPÖ-Frauen erreichen. Sie erstatteten Anzeige gegen den Radiosender Kronehit. Der bietet seinen Hörern ein Muttertags-Special der besonderen Art: „Experiment Tutti Kompletti“. Mit dem Satz “Willst du dir und deiner Mutter neue Brüste schenken zum Muttertag?“ wird die Aktion seit Sonntag auf der Website und in den Sozialen Medien beworben. Bei dieser will der Sender Mutter und Tochter bei einer Brust-Operation begleiten und bietet dafür je 5.000 Euro. Gewinnspiel ist es laut Kronehit keines. Sowohl das Schönheitsoperationengesetz als auch der Ethik-Kodex untersagen Werbung für ästhetische Behandlungen und Operationen. Laut Kronehit handelt es sich mehr um ein „soziales Experiment“, mit dem sie Frauen unterstützen und respektieren wollen. Inwiefern das durch diese Aktion bewirkt werden kann, wurde seitens Kronehit nicht näher ausgeführt.

Skandal #3: Werbepreis für Frau Gertrude

Große Aufregung herrscht auch rund um „Frau Gertrude“. Eine Holocaust-Überlebende, die in einem aufrüttelnden Videoaufruf in den letzten Zügen des Wahlkampfs noch einmal Stimmung für Van der Bellen machte. Der Beitrag, der innerhalb von vier Tagen drei Millionen Klicks erzielte, wirkte wie ein Home-Video und wurde auch als solches „verkauft“. Nirgendwo im Video ist ein Hinweis auf den Schöpfer zu finden. Weder am Anfang, noch am Ende. Nummer neun der allgemeinen Werbegrundsätze besagt jedoch, dass Werbung als solche klar erkennbar sein muss. Auf der Facebookseite des damaligen Präsidentschaftskandidaten war lediglich zu lesen: Gertrude, 89 aus Wien, hat uns ersucht, dieses Video-Statement zu veröffentlichen".

„Frau Gertrude“ wurde dieser Tage mit einem Werbepreis ausgezeichnet. Die Werbeagentur Jung von Matt/Donau erhielt bei der CCA-Gala den Hauptpreis dafür. Die Kritik daran, dass das Video bei der Gala als „Arbeit“ bezeichnet wurde kann Martin Radjaby, Geschäftsführer der Agentur, zwar nachvollziehen, dennoch hätte es sich bei dem Video um keine Inszenierung gehandelt, da Frau Gertrude angeblich persönlich an das Wahlkampfteam herangetreten sei.

»Grenzen müssen in der Werbung immer neu definiert werden.«

Ging die Werbung in diesem Fall zu weit? Volkmar Weiss, Geschäftsführer der Kreation bei der Agentur moodley brand identity meint: „Ich finde nicht, dass hier eine Grenze überschritten wurde, da ja nichts inszeniert wurde. Dieses Video hat Substanz und Relevanz. Es ist echt und aufrichtig. Es berührt, regt zum Nachdenken an. Nichts kann die Strahlkraft und Wirkung dieses Videos schmählern. Außer vielleicht ein Werbepreis.“ Grenzen in der Werbung gäbe es seiner Meinung nach aber sehr wohl. Diese müssten allerdings immer neu definiert werden, wie immer im Leben, in der Kommunikation. Und manchmal muss Werbung auch einfach provozieren, um aus der Masse herauszustechen.