Gilberto Gil: Die
Stimme Brasiliens

Am 5. Juli gastiert Gilberto Gil im Rahmen des Jazzfests Wien an der Wiener Staatsoper. Zuvor erreichte ihn News per E-Mail. Gil, der Erfinder des Tropicalismos über seine Musik, sein Exil in London, den Rechtsruck in Brasilien und Apfelstrudel in Österreich.

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Europa hatte die Beatles, die Rolling Stones und später Elton John. Brasilien hat Gilberto Gil. Seit mehr als einem halben Jahrhundert prägt der Sänger mit der sanften Stimme die Musikszene seines Landes. Die Karriere eines Musikers hatte der 1942 in der Stadt Salvador in Bahia im Nordosten seines Landes nicht geplant. Der Sohn eines Arztes und einer Lehrerin belegte ein Studium an der Wirtschaftsuniversität. Als er mit seinem Kollegen Caetano Veloso eine Band gründete entdeckte er sein Talent zum Songschreiben. Heute füllt er Stadien, zu seinem Auftritt an der Copagrana zum Jahreswechsel kamen 2,5 Millionen. Am 5. Juli gastiert er an der Wiener Staatsoper beim Jazzfest Wien. Zuvor erreichte ihn News per E-Mail.

Was bedeutet es Ihnen, in der Wiener Staatsoper aufzutreten?
Es ist immer eine große Freude, in Wien aufzutreten. Ich bin mir sicher, dass es das in der Wiener Staatsoper, diesem berühmten Opernhaus ganz besonders wird. Ich freue mich sehr auf diese Premiere.

Sie haben bereits im Wiener Konzerthaus Konzerte gegeben. Ist es für Sie ein Unterschied in einem Haus, dass der klassischen Musik gewidmet, aufzutreten?
Normalerweise haben diese Häuser eine großartige Akustik, garantieren Komforte und eine saubere Aufführung.

Sie gelten als der Erneuerer der brasilianischen Musik. Sie vermengten den traditionellen Bossa Nova mit Einflüssen aus dem Pop und Rock aus Europa zum Tropicalismo. Wie hat diese Musik ihr Land verändert?
Tropicalismo war eine Bewegung, die die Absicht hatte, unsere Popmusik, unsere Literatur, unser Theater, unsere ganze Kulturszene erneuerte. Das hatte nicht nur damit zu tun, dass wir unser Verständnis von Musik und unsere Art, die zu produzieren veränderten, sondern auch Moden und Trends des internationalen Kulturlebens zu übernehmen. Natürlich krachten wir mit den sehr verschlossenen und konservativen Strukturen, dem Militärregime und der Regierung und auch mit Teilen der reaktionären Gesellschaft.

Sie wurden wegen ihrer Musik sogar verhaftet und wurden in Exil geschickt. Hatten Sie Angst, dass Sie niemals zurückkehren werden können?
Während dieser Jahre in London, fragte ich mich, wie lange ich dort bleiben müsste, ich dachte es wäre nur kurz, aber ich war nie hoffnungslos.

Kann Musik Hoffnung und Mut machen?
Musik war immer ein Balsam, eine spirituelle Substanz. Und sie geht durch die Luft, die feinsten natürlichen Elemente und durchdringt das Innere des Menschen durch seinen feinen Sinn, das Gehör. Musik berührt menschliche Seelen stark und kann unzählige Gefühle in unseren Gedanken und Herzen hervorrufen. Mut und Hoffnung können manchmal die vordringlichsten sein.

Wie wichtig ist Musik für politische Veränderungen?
So wichtig, wie jede Art, mit der wir uns ausdrücken, mit der wir sozial etwas mobilisieren und beeinflussen wollen.

Präsident Luiz Inacio Lula da Silva hat Sie zum Kulturminister Brasiliens ernannt. Was war das Wichtigste, das Sie in erreicht haben?
So wie der Tropicalismo neue Strukturen in der Musik und in der Kultur schuf, versuchten wir das Ministerium, den politischen Apparat zu modernisieren, wenn es um die Finanzierung oder von Kutlur aus der Sicht des Staates ging.
Wir brachten die städtischen, regionalen und internationalen kulturellen Institutionen näher ans Ministerium.Wir entwickelten innerhalb der Regierung neue Muster, damit sich einzelne Schlüsselressorts besser austauschen können. Und wir kümmerten uns um wertvolle Kulturgüter, wie alle die Bereicherungen, die von den nur halb in die Gesellschaft eingegliederten Teilen kommen, wie von den indigenen Völkern, den Communities aus den Slums.

© Gerard Giaume

In Venezuela wurde das Simón-Bolívar-Youth-Symphony-Orchestra gegründet, um Straßenkindern ein Zuhause und eine musikalische Ausbildung zu geben. Gibt es in Brasilien etwas Ähnliches?
In Rio, São Paulo, Salvador, in Recife wie in fast allen wichtigen Städten gibt es mehrere Projekte, die Jugendliche zur Musik bringen.

Haben Sie einen Vorschlag, was Europa zur Rettung des Regenwalds beitragen könnte?
Die Gesellschaft wird sich immer mehr der Umweltprobleme und der Risiken bewusst. Aber auch immer mehr Regierungen und Institutionen machen immer mehr Druck, um den Regenwald zu retten. Man setzt auf saubere Energie, den Schutz der Ozeane auf die Wasserquellen generell. Wir müssen aufpassen, und der Wissenschaft trauen, die versucht die Wege in die Zukunft zu öffnen.

Ihr Land hat in diesem Jahr eine starke, politische Veränderung erlebt. Der rechtsradikale Präsident Jair Bolsonaro wurde zum Präsidenten gewählt. Wie kam es dazu?
Brasilien war immer schon eine konservative Gesellschaft. Lulas Periode war eher eine historische Ausnahme. Aber das Scheitern in der Wirtschaft, Probleme mit der Korruption brachten das Land wieder zurück zu den Erwartungen, die der Populismus weckt und gaben einem Führer wie Bolsonaro eine Chance.

Es gibt zahlreiche Proteste gegen ihn. Auch Sie unterstütze diese. Wie lange wird er sich im Amt halten?
Das hängt von der Wirtschaft ab, ob wir ein Wachstum erreichen oder nicht. Aber es hängt auch von der Organisation der Regierung ab, die bis jetzt skandalös war.

Wenn Sie Österreicher fragen, was sie aus Brasilien kennen, würden die meisten den Karneval in Rio und Ihre Musik nennen. Was bedeutet es Ihnen, einer der bekanntesten Musiker der Gegenwart zu sein?
Es macht mich stolz, dass Musik, die für mich fundamental ist, von Millionen Menschen gehört und geschätzt wird. Das gibt ein Gefühl, dazu zu gehören und das ist ein guter Grund, stolz zu sein und weiter Musik zu liefern.

Haben Sie etwas von der österreichischen Politik in Brasilien gehört?
Keine Details, nur, dass es ein politisches Erdbeben in der Regierung gab.

Der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig floh vor den Nazis nach Brasilien. Kennt man seinen Namen noch?
Ja, sein Name ist in intellektuellen Kreisen bekannt. Eine einfache, kleine Statue wurde in einem Seitenweg zum Strand in Salvado, Bahia errichtet. Ich habe einige Bücher von ihm gelesen, eines über seine Hoffnungen und Vorhersagen für Brasilien und ein paar Biographien europäischer Persönlichkeiten.

Wenn Sie einen Brasilianer fragen, was der von Österreich kennt, was würde der antworten?
Die Leute würden nette Dinge über die klassische Musik sagen, über die Schönheit der Bergwelt, die Bilder aus Wien. Ich würde den Apfelstrudel anführen.