Überflüssige Design-Elemente,
auf die wir nicht verzichten wollen

Viele Details moderner Produkte haben ihre eigentliche Funktion längst verloren

Brauchen Elektroautos einen Kühlergrill? Müssen die Buchstaben auf einer Tastatur so angeordnet sein, wie sie es sind? Der Grund für viele Details moderner Produkte liegt zum Teil Jahrhunderte zurück – und sie haben ihren ursprünglichen Sinn längst verloren. Aus Gewohnheit wollen wir aber trotzdem nicht auf sie verzichten.

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Gestaltung - Überflüssige Design-Elemente,
auf die wir nicht verzichten wollen

In den 1860ern hatten Schreibmaschinen ein häufig auftretendes Problem: Drückte man zwei nebeneinander gelegene Buchstaben knapp nacheinander, konnte sich dadurch die ganze Maschine verzahnen. Deshalb erfand der amerikanische Drucker und Journalist Christopher Latham Sholes eine Buchstabenanordnung, bei der die am häufigsten miteinander verwendeten Zeichen (etwa s und t) möglichst weit auseinander liegen: Die QWERTY/QWERTZ-Belegung war geboren. Heute findet sie sich auf hunderten Millionen Computertastaturen ebenso wie auf eingeblendeten Tastaturen auf Smartphones und Tablets. Einen Grund dafür gibt es schon lange nicht mehr – und dennoch ist es nicht realistisch, dass das System verschwindet. Schüler lernen schließlich noch heute damit das Tippen.

Jeans sollen nach wie vor wie Arbeitskleidung aussehen

Dabei handelt es sich um ein einfaches Beispiel für die sogenannte Pfadabhängigkeit: Ein einmal eingeschlagener Weg bei technologischen Entwicklungen wird beibehalten, unabhängig davon, ob es die ideale Lösung ist. Weil sich die Nutzer bereits daran gewöhnt haben und man sie mit radikalen Veränderungen nicht verschrecken will. Deshalb wurde bei Erfindung der Computer-Tastatur die bewährte Schreibmaschinen-Anordnung übernommen, und bei Einführung der Smartphones wiederum die Computer-Tastatur. Würde nun eine völlig neu angeordnete Buchstabenfolge präsentiert werden, würde sie wohl auf große Ablehnung stoßen. Ein anderes Beispiel ist das seit 50 Jahren gleiche Format von Bankomat- und Kreditkarten, das Rolodex-Karteikarten imitiert hat. Da heute eine Veränderung viel zu aufwendig wäre (Umbau aller Bankomaten), wurde das Design durch eine Entscheidung in der Vergangenheit quasi einzementiert.

Oft sind es aber nicht einmal technische "Zwänge", die dazu führen, dass nutzlos gewordene Elemente nicht einfach ersetzt werden oder verschwinden. Meist hat das rein ästhetische Gründe. In diesem Fall spricht man vom Skeuomorphismus. Dieses Designkonzept findet sich bei zahlreichen Objekten des täglichen Lebens. Die als Arbeitskleidung für Minenarbeiter und Farmer konzipierten Jeans sind noch heute mit Kupfernieten "verziert", die damals für mehr Widerstandsfähigkeit sorgen sollten. Sie werden sogar eigens bearbeitet, um wieder "abgewetzter" auszusehen. Oder: Da Batterien nicht so heiß werden wie Verbrennungsmotoren, bräuchten Elektroautos eigentlich auch keinen Kühlergrill. Da das aber in den Augen vieler Kunden "seltsam" aussehen würde, wurde er auch für sie beibehalten.

Bis heute werden Dateien in den "Papierkorb" verschoben

In seiner einfachsten Form imitiert skeuomorphistisches Design bloß andere Materialien, die früher für ein bestimmtes Produkt verwendet wurden und als hochwertiger gelten. Laminatböden sollen oft wie echtes Holz aussehen und die Farbe von Billardkugeln soll an das Elfenbein erinnern, aus dem sie einst gemacht wurden. In anderen Fällen geht Design auf ein historisches Vorkommnis zurück, an das sich kaum mehr jemand erinnert. Auf der ganzen Welt werden heute Anzüge verkauft, deren unterster Knopf sich nicht zuknöpfen lässt. Schuld daran ist der sehr dicke britische König Edward VII., der wegen seines Umfangs um die Jahrhundertwende anfing, stets den untersten Knopf offen zu lassen. Um ihn nicht zu beschämen, tat der Rest seines Hofes dasselbe. Ein neuer Modetrend war entstanden.

Besonders beliebt sind Skeuomorphismen bis heute auch im Software-Design. Gerade in der Anfangszeit der Computer wollte am durch die Verwendung bereits vertrauter Symbole den "Umstieg" in die digitale Welt erleichtern. So werden gelöschte Dateien in einen "Papierkorb" verschoben, gespeichert wird bis heute mit einem Klick auf das Bild einer Diskette. Beim Umblättern in vielen digitalen Magazinen wölben sich nach wie vor die Seiten. Adressbuch oder Terminkalender-Apps sehen noch immer aus wie Ringblöcke, die Benutzeroberflächen von DJ-Programmen wie Mischpulte. Sehr bekannt für diesen Design-Stil war lange Zeit Apple, Gründer Steve Jobs galt als großer Fan. Seit seinem Tod ist der Konzern aber mehr und mehr wieder davon abgerückt.