Gerhard Berger:
"Mich haben drei Teufel geritten"

Der Motorsport hat Gerhard Berger wieder. Der Tiroler ist neuer Chef der DTM und will die Tourenwagenklasse zu neuen Höhen führen. Was der alte Haudegen genau vorhat, welche Rolle sein Neffe Lucas Auer dabei spielt und warum er wieder in Österreich lebt, verrät er im Interview

von Motor - Gerhard Berger:
"Mich haben drei Teufel geritten" © Bild: Gruppe C / Hoch Zwei

Herr Berger, welcher Teufel hat Sie geritten, dass Sie den Job des DTM-Chefs, von dem wahre Wunderdinge erwartet werden, angenommen haben?
Das war nicht ein Teufel, das waren drei. Die heißen Audi, BMW und Mercedes. Die Wurzeln meiner Rennkarriere liegen im Tourenwagensport. Ich war lange Werksfahrer bei BMW, das war mein Sprungbrett in die Formel 1. Diese Zeit trage ich noch immer im Herzen, und ich behielt den Tourenwagensport immer im Auge.

Ist das, wie Sie es einmal bezeichnet haben, "Ohne Motorsport geht's nicht"-Gefühl plötzlich wieder über Sie hereingebrochen?
Ich habe mich in den letzten Jahren ziemlich zurückgezogen, eine neue Familie gegründet und schon ein bissel darunter gelitten, dass ich mich vom Motorsport immer weiter entfernt habe. Somit war es naheliegend, dass ich mich aufgrund meiner Formel-1-Vergangenheit wieder ein wenig mit dem Thema Motorsport anfreunde. Aber für 21 Rennen rund um den Erdball zu jetten, hätte für mein Familienleben bedeutet, so wie früher nie zu Hause zu sein. Also war das recht schwierig. Gleichzeitig hatte ich den Gedanken, nach 30 Jahren aus Monaco zurück nach Österreich zu übersiedeln. Das habe ich heuer zum Jahreswechsel auch gemacht. Und auf einmal ist das Angebot aus der DTM für mich sehr attraktiv geworden, weil ich lebe in Österreich, das Ganze spielt sich in Deutschland ab, hat eben nicht 21 Rennen rund um den Globus, und die drei Premiumhersteller wollen, dass ich den Job mache. Dazu kam noch die alte Liebe zum Tourenwagensport -also plötzlich sind auf meiner Checkliste viele Plus gestanden. Und dann hab ich gesagt, na gut, dann setzen wir's um.

Wie lange hat die Nachdenkphase gedauert?
Schon eine Zeit, es war natürlich sehr wohlüberlegt, und jetzt fühl ich mich sehr wohl mit meiner Entscheidung.

Wie vorbereitet waren Sie auf den Job?
Also, ein paar Dinge muss ich schon wieder auffrischen, aber ich war an dem Thema die letzten Jahre immer sehr nahe dran. Egal, ob durch den internationalen Automobilverband FIA oder die Gagenverhandlungen für Nico Rosberg. 25 Prozent meiner Zeit waren zuletzt Motorsport, und jetzt sind es wieder 75 Prozent.

Feministinnen würden Ihnen vielleicht jetzt vorwerfen, das Geschrei Ihres kleinen Sohnes Johan und die Aufmerksamkeitswünsche Ihrer Tochter Ella wären Ihnen über den Kopf gewachsen.
Sie verstehen einfach ihr Geschäft, diese Feministinnen (lacht). Im Ernst: Überhaupt nicht, aber ich bin ein Mensch, der einfach nicht ruhig sitzen kann, und ich hab zwar meine Firmen und dort alle Hände voll zu tun. Aber meine Leidenschaft ist einfach Motorsport.

»Also von Krise kann man da nicht reden«

Zum Thema: Was sind die größten Baustellen, und befindet sich die DTM überhaupt in der Krise?
Ich seh das überhaupt nicht so, und ich kann auch keine großen Baustellen ausmachen. Ich sehe einfach eine gute Plattform, die jetzt vielleicht ganz gut einen frischen Wind vertragen kann, aber das Rad muss man hier nicht neu erfinden. Es ist generell so, dass der Motorsport in den letzten zwei, drei Jahren aus verschiedenen Gründen ein bisschen schwächelt. Die DTM hatte in den letzten beiden Saisonen insgesamt 19 Millionen Zuschauer im Live-TV, und hier in Hockenheim zum Premierenwochenende waren 120.000 Zuschauer. Also von Krise kann man da nicht reden.

In Österreich ist die DTM aber noch nicht so beliebt.
Das Rennen letztes Jahr am Red Bull Ring war noch kein Highlight, aber wir wollen uns heuer besonders bemühen, das Thema in Österreich anzugehen. Wir haben meinen Neffen Lucas, der vorne mitfährt, wir haben mit Toto Wolff und Niki Lauda die Drahtzieher bei Mercedes, wir haben mit Red Bull einen Sponsor und mit dem Red Bull Ring den Veranstalter und last, but not least mich. Also eigentlich sind wir stark in der Formel 1 involviert, wir sind aber genauso stark in der DTM aufgestellt. Das ist die zweitstärkste Motorserie im deutschsprachigen Raum, weit vor MotoGP und allen anderen Motorsportg'schichten. So gesehen müssen wir schauen, dass die Österreicher jetzt einmal munter werden. Sie bekommen schließlich guten Motorsport serviert.

Dennoch, ein paar Themen bieten sich an, wo Sie in Ihrem Job ein bisschen die Schraube anziehen könnten.
Okay.

Nur Audi, BMW und Mercedes kämpfen um den Titel. Mehr Teams, auch private, wären eine Bereicherung.
Absolut wichtig und richtig und wird auch hoffentlich umgesetzt werden.

Frauen ins Cockpit. Es gab ja bereits eine Ellen Lohr und zuletzt eine Susie Wolff
Wie immer, wenn jemand die Voraussetzungen hat, freut man sich, wenn eine Frau dabei ist. Egal, um welche Motorsportart es sich handelt.

Die Autos sollten seriennäher werden, weniger Aerodynamik-Teile haben.
Ich finde, dass es einen Serienbezug geben sollte, aber ich finde auch, dass es gerade in der DTM, also in der Supertourenwagen-Szene, schon ein Supertourenwagen sein soll, weil Aerodynamik-Anbauten gibt es im Supersportwagen auch.

»Jeder gegen jeden und einer ist der Sieger - wie in einem Boxkampf«

Haben Sie selbst etwas auf der Agenda?
Ich gehöre zu den alten Hardcore-Motorsport-Haudegen und vertrete immer die gleiche Philosophie: Die Fans auf der Tribüne wollen den berühmten Ritt auf der Kanonenkugel, harte Zweikämpfe und Rad-an-Rad-Duelle sehen. Manchmal überlege ich mir selber, ob diese Einstellung nicht ein bissel überholt ist, aber dann glaube ich, ist sie nicht. Keine Teamorder, keine künstlichen Eingriffe in die Autos, sondern jeder gegen jeden, und einer ist der Sieger - wie in einem Boxkampf. So verstehe ich Motorsport.

Apropos Fahrer: Ihr Neffe Lucas Auer hat das Eröffnungsrennen in Hockenheim gewonnen und führt in der DTM-Gesamtwertung. Wo geht seine Reise hin?
Der Lucas hat hier einen tollen Job gemacht und ich bin sehr stolz auf ihn. Ich glaube, er hat gute Voraussetzungen, sonst würde er keine Rennen gewinnen, er ist gut vorne dabei. Ob er jetzt konstant vorne dabei ist, muss er dieses Jahr selbst auf die Reihe bringen, das ist der nächste Schritt. Aber er hat eine gewisse Erfahrung, er fährt das erste Mal in einem Werksteam, und das ist natürlich für ihn eine große Chance und Herausforderung.

Sehen Sie in ihm ein bisschen sich selber zu Beginn Ihrer Karriere?
Abgesehen davon, ich sehe ihn fast überhaupt nicht. Ich hab ihn bis zu den Rennen noch gar nicht gesehen. Mein Engagement in der DTM hat er, das hab ich in der Zeitung gelesen, aus den Medien erfahren. Also: Ich lese, was er in der Zeitung gelesen hat. Aber der Bursche ist natürlich mit 22 anständig unterwegs und hat natürlich seine eigenen Vorstellungen, wie er das Thema handeln will. Aber wenn er einen Tipp braucht oder irgendeine Frage hat, ruft er mich an und kriegt natürlich eine Antwort. Alles andere macht er selbst.

»Er hat im Positiven wie im Negativen meine Gene«

Aber das Talent vom Onkel hat er jedenfalls geerbt...
Er hat im Positiven wie im Negativen meine Gene. Er war halt auch einer, der ganz gern in die Disco gegangen ist und dort Gas gegeben hat, statt sich die Videos vom letzten Rennen anzuschauen. Aber nach diesen Rennen glaube ich, er geht nicht mehr fort und schaut sich dafür die Rennvideos an.

Wie sieht es zeitmäßig mit Ihrem Job als DTM-Boss aus? Ist alles von Tirol aus bewältigbar, bleibt dabei genug Zeit für die Familie?
Ja, glaube ich schon. Ich habe ein Büro in Wörgl und es gibt eines in Stuttgart, das operativ vom Geschäftsführer Florian Zitzelsberger geführt wird. Dort sitzen 15 Leute, und dort wird die tägliche Arbeit betrieben. Strategie findet da und dort statt, auch in meinem Büro. Das ist übrigens kein Homeoffice, ich hab ein richtiges Büro.

Wie geht es übrigens zu Hause? Sie haben ja jetzt den lang ersehnten Sohn...
Stimmt, ich hab jetzt endlich einen Buam, nach vier Mädchen. Er wird jetzt bald vier Monate und sitzt täglich am Simulator (lacht).

Und das Mädel...
Die Ella ist dreieinhalb, sie sagt aber jedem, sie ist schon fünf. Sie ist eine richtige Düsen. Von allen meinen Kinder ist sie wahrscheinlich die aktivste, aber ich habe eine Riesenfreude mit beiden Kindern, und es passt einfach gut.

Ihre Tochter Heidi aus der Ehe mit Ana ist Schauspielerin geworden, wie man liest.
Die Heidi ist Schauspielerin, dreht in Portugal und demnächst auch in Österreich. Ihre Karriere wird schön langsam.

»Irgendwann kommt der Moment, wo es dich dorthin zieht, wo du aufgewachsen bist«

Bis vor Kurzem war es für Sie unvorstellbar, Monaco den Rücken zu kehren. Was hat Sie zur Heimkehr nach Österreich bewogen?
Ganz einfach, man hört immer von der älteren Generation das Schlagwort "back to the roots". Und man weiß lange nichts Richtiges damit anzufangen. Aber irgendwann kommt einfach der Moment, wo es dich dorthin zieht, wo du aufgewachsen bist. Es ist ein ganz eigenartiges Gefühl, irgendwann kriegst du dieses Signal, so wie du irgendwann gesagt hast, jetzt hör ich mit dem Rennfahren auf, weil es Zeit ist. Und mit dem Rückübersiedeln war es auch so. Irgendwann bin ich aufgestanden und hab mir gedacht, eigentlich will ich in den Bergen sein, und eigentlich will ich mein Leben noch einmal verändern.

Sie haben die Zelte in Monaco wirklich völlig abgebrochen?
Büro und Wohnung sind aufgelöst. Aber es gibt die Ana mit den zwei Mädeln, die in Monaco leben, das ist mein einziger Kontakt ins Fürstentum.

Zum Formel-1-Grand-Prix werden Sie aber doch sicherlich fahren?
Auch nicht. Erst dann, wenn die DTM die Formel 1 in Monaco ablöst.

Wie lange läuft Ihr Vertrag als DTM-Chef, wie sehen Ihre Zukunftspläne aus?
Zunächst einmal auf zwei Jahre, aber ich habe so das Gefühl, es könnte eine sehr langfristige Geschichte werden. Ich fühle mich wohl in dem Job, es ist für mich eine gute und überschaubare Aufgabe und es ist geografisch so angesiedelt, dass ich mein Privatleben nicht komplett aufgeben muss.