George Michael: Vier Akkorde für die Ewigkeit

Seit 37 Jahren sorgt George Michaels Weihnachtshit "Last Christmas" alljährlich für Freud, Leid und acht Millionen Euro Tantiemen. Was hat er, das andere nicht haben?

von George Michael: Vier Akkorde für die Ewigkeit © Bild: imago/United Archives International

Für die einen zaubern die schmeichelnden Harmonien romantische Weihnachtsstimmung. Für die anderen sind die vier Minuten und 30 Sekunden pure Qual. Auf Letztere warten nun harte Wochen. Laut steil ansteigender Abfragekurve auf Google Trends ist wieder einmal die Zeit für George Michaels Weihnachtsklassiker "Last Christmas" gekommen. Seit dem Debüt des Pop-Hits vor 37 Jahren scheiden sich die Geister am melancholischen Herzschmerz-Text zum fröhlichen Sound. Was macht das einfach gestrickte Lied, das der 21-Jährige einst binnen einer Stunde in seinem Jugendzimmer fertigte, nur so erfolgreich?

Wiederholung schafft Vertrauen

Von der vermeintlichen großen Liebe, die sich schon tags darauf in jemand anderen verschaut, singt George Michael im Klassik-Hit. Und natürlich brennt sein Herz im Lied tragischerweise noch immer für die untreue Seele. Gerade diese Kombination des melancholischen Textes, gepaart mit Happy-Sound für eine Zeit der gesellschaftlich veordneten Zwangsfröhlichkeit identifiziert eine BBC-Dokumentation als eines der Erfolgsgeheimnisse des Liedes. Es ermuntert zum Feiern, auch wenn in der Vorweihnachtszeit viele Konflikte die Gefühlslage in Schieflage bringen.

Darüber hinaus erzeugt die stoische Abfolge von vier Akkorden eine nostalgische Stimmung des Vertrauten. Darin erkennt der Musikjournalist und Dozent an der University of Southern California Nate Sloan ein bewährtes Erfolgsrezept. "Ice Cream Changes" lautet der Fachbegriff für die vier Akkorde, die laut Sloane seit den 30er-Jahren in der populären Musik eingesetzt werden und auch im Klassiker "Have Yourself a Merry Little Christmas" zum Tragen kommen, so wie in zahlreichen Schlagern der 50er-und 60er-Jahre. Im Podcast "Switched on Pop" seziert Sloan die erfolgreichsten Pop-Kompositionen der letzten Jahrzehnte und kommt zum Schluss, dass George Michael mit der Kombination von Altvertrautem - durch die schnörkellose Wiederholung der Akkorde - mit damals modernem 80er-Jahre-Sounddesign -Synthesizer und Drummachine - die perfekte Formel für den zeitgmäßen Weihnachtshit gefunden hat.

© Sony Music Entertainment via Youtube/Screenshot DAS CHALET wurde nur für die Außenaufnahmen verwendet, weil niemand einen Schlüssel zum verlassenen Haus hatte

In einer Zeit angestaubter Weihnachtsklassiker waren die Mainstream-Radiostationen darüber hinaus überglücklich, saisonales Material einer hochgradig gefragten Band spielen zu können.

Der Anfang vom Wham!-Ende

Im Leben von George Michael, der erst drei Jahre zuvor auf Drängen seines Kumpels Andrew Ridgeley mit diesem die Band Wham! gegründet hatte, markierte der Hit einen Wendepunkt. "Last Christmas" war der erste Song, den Michael völlig allein komponiert und getextet hat. "Wir waren im Haus seiner Eltern und sahen uns gerade ein Fußballspiel an, als George plötzlich für eine Stunde verschwand", beschreibt Ridgeley in seiner Autobiografie die Geburtsstunde des Hits. "Als George zurückkam war er so aufgeregt, als hätte er eine Goldmine entdeckt."

Tatsächlich versorgt der Song die Erben des 2016 am Christtag verstorbenen Stars alljährlich mit Einnahmen aus Tantiemen in der Höhe von rund acht Millionen Euro. Bei ungebrochener Beliebtheit bringt das Lied noch bis ins Jahr 2086 Erträge, bis es 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers zum Allgemeingut wird.

© Sony Music Entertainment via Youtube/Screenshot DIE EXFREUNDIN spielte das britische Model Kathy Hill. Sie beschreibt George Michael als sensiblen, freundlichen Mann, mit dem die Crew beim Dreh viel lachte

Mit der Erkenntnis der Urgewalt von "Last Christmas" wurde George Michael damals die volle Kraft seines kreativen Talents bewusst und der Star als Künstler selbstbewusster, beschreibt Producer und Toningenieur Chris Porter die damaligen Aufnahmen. Michael bestand erstmals darauf, alle Instrumente selbst einzuspielen, und übernahm auch die Produktion der Single, die mit "Everythings She Wants" als B-Seite erschien, selbst. Das Lied ging um die Welt, erreichte in Michaels britischer Heimat aber nur Platz zwei der Charts. Dort blieb Bob Geldofs Afrika-Benefizsingle "Do They Know It's Christmas?", für die er George Michael wie die meisten Superstars der 80er-Jahre gewonnen hatte, unschlagbare Nummer eins. Als "Last Christmas" 1986 erstmals auf ein Album gepresst wurde ("The Final"), war Wham! Geschichte.

Der Gondeltrick und echtes Lachen

Im Detail beschreibt Ridgeley auch Michaels wachsenden Perfektionismus beim Videodreh in der Schweiz. Während die Band und deren Freunde die Zeit als bezahlten Urlaub mit reichlich Hochprozentigem genossen, prüfte Michael nach jeder Szene das Gefilmte und ließ scheinbar unvorteilhafte Szenen löschen.

Das bisher 624 Millionen Mal abgerufene Video, das maßgeblich zum Kult um den Hit beigetragen hat, musste im Herbst 1984 binnen kürzester Zeit entstehen. Erst Ende Oktober wurde der Schweizer Wintersportort Saas-Fee in den Walliser Alpen für die Aufnahmen erkoren - im ursprünglich angedachten Gstaad lag noch kein Schnee. Der weniger mondäne 1.500-Einwohner-Ort unweit von Zermatt war damals schon autofreie Zone. Für die Anfangsszene des Videos, in der Wham! mit Freunden in Jeeps anreisen, brauchten sie eine Ausnahmegenehmigung.

© Sony Music Entertainment via Youtube/Screenshot DIE GONDEL, die die Freunde scheinbar ins Chalet bringt, bestiegen George Michael und Co. nur fürs Video. Rund um die Bergstation in 3.000 Metern Höhe gibt es keine Häuser, die Chalets liegen alle im Tal

Getrickst wurde für das Video auch bei der berühmten Hütte am Schliechtenweg, zu der die Gruppe durch den Schnee stapft. Das Chalet konnte nur für die Außenaufnahmen dienen, da der Schlüssel unauffindbar war. Dessen Besitzerin war verstorben und das Haus unbewohnt. Deshalb wurden die Innenaufnahmen im Chalet Steinmatte gedreht. Der Kamin, an dem George Michael der Ex-Freundin einst traurige Blicke zugeworfen hat, weil diese seine Weihnachtsbrosche vom Vorjahr ihrem neuen Typen ans Sakko gesteckt hatte, liegt laut "Spiegel"-Recherchen im heutigen Gemeindezentrum.

Auch wer wie im Video mit der roten Gondel zu den Chalets anreisen will, wird enttäuscht, denn für die Zufahrt braucht es die romantische Gondeltour gar nicht. Rund um die Bergstation in 3.000 Metern Höhe befinden sich keine Häuser. Der Bergbahnbedienstete Charly Schmidt ließ die Gondel mit den berühmten Gästen damals nur fürs Video wenige Meter fahren. Alle Szenen wurden im Ort gedreht, wo die Crew im Walliserhof untergebracht war, der bis heute ein Luxushotel beherbergt.

Nur die freudvollen Szenen des Ex-Liebespaares, das beneidenswert vergnügt im Schnee herumtollt, sind nicht gespielt. Das schwört zumindest Model Kathy Hill, die damals George Michaels dunkelhaarige Ex mimte, in der "Sunday Times":"Wir mussten immer wieder den Hügel raufstapfen, und George rutschte jedes Mal aus. Einmal landete er auf mir und wir brachen beide in lautes Lachen aus. Das war die Szene, die dann verwendet wurde."

Dieser Beitrag ist ursprünglich im News Nr. 45/2021 erschienen.