Wie reden wir eigentlich miteinander?

Eine scheinbar einfache Frage stellt heute die größte Herausforderung dar. Über das Andere und den wichtigen Mut zum Widerspruch.

von Anna Gasteiger © Bild: News/Ricardo Herrgott

Dieses Jahr endet nicht in besinnlicher Stille, sondern unter dem Lärm der Corona- Demonstrationen. Schöner die Trillerpfeifen nie klingen. Es ist paradox: Die letzten Jahre standen im Zeichen eines Kanzlers, der überall als „Kommunikationstalent“ gepriesen wurde und doch nur Spaltung hinterließ. Nicht, dass Sebastian Kurz die groben Verwerfungen verursacht hätte, die dieses Land jetzt beuteln. Aber sein politischer Stil hat sie befördert. Wer Identitätsmonokultur zum Fetisch erhebt und Ausgrenzung fördert, darf sich nicht wundern, wenn am Ende auch Grenzen übrig bleiben. (Das gilt natürlich auch für jene politischen Mitstreiter, die dieses Spiel jahrelang eifrig mitgespielt haben und jetzt, in höchsten Staatsämtern, plötzlich ihre verbindliche Seite entdecken.)

Kurz ist nach dem Rücktritt vom Seitentritt endgültig weg, die Misere bleibt. Was tun, wenn das unheimliche Grollen und Pfeifen einer Impfgegner-Demo sich wieder einmal nähert, in Wien mittlerweile jedes Wochenende? Hinschauen, wegschauen, Achseln zucken, weitergehen? Angst verspüren, Ärger? Was tun, wenn die Social-Media-Timeline voll ist mit missliebigen Meinungen: muten, blocken, entfreunden, entfolgen? Jedem seine eigene kleine „Widewide wie sie mir gefällt“-Welt, ist es das, worauf Debatten anno 2021 hinauslaufen? Wie viel muss man aushalten, wenn der Ton immer rauer wird und die Emotionen hochkochen? Wie redet man eigentlich anständig miteinander?

»Wer die Ausgrenzung fördert, darf sich nicht wundern, wenn Grenzen bleiben«

Nach monatelangem (medialem) Fachsimpeln über Wellen, Mutationen, Impfabstände, R-Wert usw. bleibt also eine so einfache Frage übrig. Aber unsere Zukunft hängt wesentlicher davon ab, ob wir darauf eine Antwort finden, ob Omikron am 28. Dezember oder am 4. Jänner in Österreich dominant wird. Zwei Gedanken: Wir müssen wieder lernen, das Andere auszuhalten. Auf politischer Ebene, aber auch im individuellen Miteinander. Es ist normal, unterschiedlicher Meinung zu sein. Stadtstraßenbefürworter müssen mit Stadtstraßengegnern reden können (anstatt Anwaltsbriefe zu schreiben). Schulschließproponenten müssen ertragen, dass es Schulöffnungsbefürworter gibt, und umgekehrt, und auch das Thema Impfung sollte Gegenstand harter, fairer Diskussionen sein, nicht der Radikalisierung, die wir gerade erleben.

Das führt zum zweiten Punkt. Zu fürsorglicher, wertschätzender Kommunikation gehört auch Mut zum Widerspruch. Es war der größte Fehler der österreichischen Corona-Politik, die kruden Argumente der Impfgegner aus Angst vor Popularitätsverlust die längste Zeit als abweichende, aber ebenbürtige Meinungen zu akzeptieren. Die Positionen verfestigten sich, jetzt bleibt als Ultima Ratio nur mehr die Impfpflicht. Das Gespräch ist immer noch ausständig. Bis heute werden widersprüchliche Signale ausgesendet. Warum sind Schwangere von der Impfpflicht ausgenommen, obwohl Ärzte warnen, dass sie und ihre ungeborenen Kinder durch eine Coronainfektion besonders gefährdet sind (und obwohl jede Frau bei Kontraindikation vom Facharzt freigestellt werden könnte)? Die Botschaft, die bleibt: Irgendetwas stimmt mit dieser Impfung nicht. Wenn die Verantwortlichen nicht mit klaren, unmissverständlichen Ansagen vorangehen, wird sich die Spaltung weiter vertiefen.

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