Friedrich Arnold Brockhaus

Ein Textilhändler schuf das bekannte Lexikon

von Peter Sichrovsky © Bild: News/Ricardo Herrgott

Im Juni 2013 gab der Deutsche Verlag Bertelsmann bekannt, die "Brockhaus Enzyklopädie" nicht mehr in gebundener Form auszuliefern. Am 30. Juni 2014 wurde der Vertrieb nach 21 Auflagen endgültig eingestellt. Damit endete die Erfolgsgeschichte des bekanntesten deutschsprachigen Nachschlagewerks, gegründet von Friedrich Arnold Brockhaus, 1772 in Dortmund als Sohn des Ratsherrn Johann Heinrich Brockhaus geboren und vor 200 Jahren, 1823, mit erst 51 Jahren verstorben.

Das erste Nachschlagewerk im deutschen Sprachraum war "De Universo" von Hrabanus Maurus, um 850 veröffentlicht, 22 Bände in lateinischer Sprache und nicht alphabetisch gereiht. "Liber Glossarum" von Bischof Ansileubus, etwa zur gleichen Zeit geschrieben, könnte das erste Nachschlagewerk mit alphabetischer Anordnung der Beiträge gewesen sein und damit das erste "Konversationslexikon".

Tuchhandel

Doch der Durchbruch gelang einem jungen Mann, zu dessen Zukunft sein Vater andere Ideen hatte, der als Pastorensohn mit der Familientradition brach und in Dortmund ein Geschäft für "Ellen und Spezereiwaren" eröffnete, in dem praktisch alles für den täglichen Gebrauch von Stoffen bis zu Lebensmittel angeboten wurde. Arnold Brockhaus und sein älterer Bruder Gottlieb sollten den Laden später übernehmen. Der Vater nahm den 16-jährigen Arnold aus dem Gymnasium, zwang ihn, eine kaufmännische Lehre zu beginnen, die ihn endlos langweilte, da sein einziges Interesse Büchern und jeder Art von Literatur galt.

In seiner Autobiografie schrieb Arnold Brockhaus: "Ich war ein aufgeweckter Knabe mit einem brennenden Durst nach Kenntnissen aller Art und mit einer wahren Bücherwut. Ich musste für den Vater in den Bücherauktionen Folianten (große Bücher) und Quartanten (kleine Bücher) erstehen, die er in seinem Laden als Maculatur (Altpapier) gebrauchte. Hier kam nun auch Voltaires 'Leben von Karl XII.' unter den Hammer. Niemand bot etwas. Ich hatte das größte Gelüste nach dem Buch und wagte es, zwei Groschen zu bieten, und siehe da, ich erhielt es und war der glückliche Besitzer! Aber der Vater, ein strenger Mann, vermerkte es übel, wie ihm überhaupt mein vieles Lesen in den Tod zuwider war."

Amsterdam

Nach einem Streit -Brockhaus war Zeit seines Lebens für Streitsucht und Wutanfälle bekannt -brach er die Lehre ab und ging nach Leipzig, wo er Vorlesungen in Philosophie, Physik und Mathematik besuchte. Leipzig, damals das Zentrum für Literatur und Buchhandel, bot ihm die ersten Kontakte mit Verlegern und Schriftstellern.

Er überlegte bereits in Leipzig, eine Buchhandlung zu eröffnen, kehrte jedoch zurück nach Dortmund und gründete ein Handelsgeschäft für englische Wollstoffe. Die Geschäfte gingen gut, und das Unternehmen eröffnete eine Niederlassung in Arnheim in der Niederlande. Wieder führten Streitigkeiten zu einem Zerwürfnis mit dem Partner, er verließ Dortmund und übernahm die holländische Niederlassung. Als aufgrund des Zusammenbruchs des Londoner Bankhauses Bethmann das gesamte Lager der Firma Brockhaus konfisziert wurde, zog Brockhaus nach Amsterdam und beschloss, den Handel mit Stoffen aufzugeben.

Mit Geld des Bruders und der Ehefrau gründete der 33-Jährige 1805 eine Buchhandlung in Amsterdam -bis heute gilt das Datum als Gründungstag des Verlages "F. A. Brockhaus". Neben dem Buchhandel begann er mit verlegerischen Projekten, publizierte die literarisch-politische Zeitung "Der Stern" ("De Star"), die deutschsprachige Monatszeitschrift "Individualitäten aus und über Paris", und die französische Literaturzeitschrift "Le Conservateur". Alle drei Projekte scheiterten nach kurzer Zeit. Er versuchte es mit Romanen, Gedichtbänden, naturwissenschaftlichen Werken und einem Handbuch der Kriegsgeschichte. Ohne Geldzuwendungen seines Bruders und dem Vermögen seiner Frau wäre er allerdings als Verleger und Buchhändler gescheitert.

Leipzig

Auf der Leipziger Buchmesse 1808 erwarb Brockhaus für 1.800 Taler -eine relativ geringe Summe -die Rechte und Bestände des unvollendeten "Conversationslexikons" von Renatus Löbel. Löbel, der die ersten Bände des Lexikons herausgab, starb 1799. Seine Nachfolger versuchten, das Projekt weiterzuführen, scheiterten jedoch aufgrund finanzieller Schwierigkeiten. Sie verkauften das halbfertige Buch an Brockhaus. Er vollendete das Werk mit seinen eigenen Ideen und bot es 1809 mit folgendem Titel den Buchhändlern und seinen Kunden an: "Conversations-Lexikon oder kurzgefasstes Handwörterbuch für die in der gesellschaftlichen Unterhaltung aus den Wissenschaften und Künsten vorkommenden Gegenständen mit beständiger Rücksicht auf die Ereignisse der älteren und neueren Zeit". Damit begann die Erfolgsgeschichte des "Großen Brockhaus".

Brockhaus' Idee, Entwicklungen in Politik, Wissenschaft, Philosophie und Kunst in neuen Auflagen kontinuierlich zu überarbeiten und aktualisieren, bildeten die Grundlage des Erfolgs. Für die zweite Auflage, die 1812 erschien, arbeitete bereits ein Dutzend Journalisten und Wissenschaftler. Die fünfte Auflage, die Brockhaus 1819 veröffentlichte, hatte bereits zehn Bände, war nach wenigen Wochen vergriffen und erreichte die eindrucksvolle Verkaufsauflage von 32.000 Exemplaren.

Allgemeinbildung

Für Brockhaus war die regelmäßigen Aktualisierung nicht nur eine Geschäftsidee. Er träumte von "einem Austausch von Ideen, der in einer gebildeten Gesellschaft stattfindet, der mit seinem Buch ein Hilfsmittel zur weiteren Selbstbelehrung an die Hand gegeben wird "

Damit begann das Zeitalter der sogenannten "Allgemeinbildung" des aufstrebenden Bürgertums der industriellen Revolution. Man konnte zuhause nachlesen, was während es Burenkriegs geschah, wie eine Lokomotive funktionierte, wie weit der Mond von der Erde entfernt ist und welche Machthaber derzeit Australien kontrollieren. Nicht nur Gelehrte, Professoren und Theologen, die sich ein Leben lang mit Fortbildung beschäftigen, waren belesen genug, auf der Grundlage ihres Wissens mit Ebenbürtigen zu kommunizieren. Auch Kaufmann, Arzt und Handwerker konnten abends oder am Wochenende in ihrem Lexikon stöbern. Aufgrund ihrer Tätigkeit war ein Studium der Fachliteratur bisher kaum möglich. Doch mit dem Brockhaus-Wissen konnten sie an Gesprächen teilzunehmen, Informationen in Büchern und Zeitschriften besser verstehen, und eventuell ihre Umgebung mit unbekannten Tatsachen beeindrucken. Kritiker dieser neuen intellektuellen "Oberflächlichkeit" versuchten, den Unterschied zwischen Allgemeinbildung und Allgemeinwissen hervorzuheben, den Unterschied zwischen dem Verstehen von Zusammenhängen und dem Wiederholen von Tatsachen. Intelligenz und Erinnerungsvermögen -behaupteten sie - seien nicht von einander abhängig und das bloße Wiederholen einer Fülle von gespeicherten Informationen nicht vergleichbar mit dem Verständnis komplexer Zusammenhänge und Strukturen. Brockhaus wich dieser Diskussion aus und wollte sich mit den Gelehrten nicht messen. Er schrieb in der Einführung vom "Nutzen der Sammlung von Tatsachen zur Flüssigmachung und Popularisierung der wissenschaftlichen, künstlerischen und technischen Ergebnisse, nicht für die geschäftliche Praxis, sondern für die Befriedigung und Förderung der allgemeinen Bildung".

Casanova

Brockhaus und die Söhne Friedrich und Heinrich, die nach seinem Tod den Verlag führten, scheuten keine politischen Konflikte mit Texten zu aktuellen Ereignissen. Die Zensurbehörden einiger Länder verboten das Lexikon, auch Metternich in Österreich, da ihm Kommentare zu realen, politischen Ereignisse zu "liberal" waren und die absolute Herrschaft in Frage stellten.

Neben dem Lexikon konzentrierte Brockhaus den verlegerischen Schwerpunkt auf Werke zu Zeitgeschichte, Politik und Biografien. Er publizierte 1818 das Hauptwerk des zu jener Zeit nahezu unbekannten Philosophen Arthur Schopenhauer und 1821 die heftig umstrittenen Memoiren ("Historie de ma wie") des venezianischen Abenteurers Giacomo Casanova.