"Maschinen können
echte Kumpels sein"

Der Kölner Frank Schätzing erklärt in seinen Thrillern komplexe Zeitthemen und verkauft damit Millionen Bücher. In seinem Roman „Die Tyrannei des Schmetterlings“ warnt er vor den Gefahren künstlicher Intelligenz

von Frank Schätzing - "Maschinen können
echte Kumpels sein" © Bild: Paul Schmitz Ram Kay/Shutterstock

Die Sorge um gebrechliche Pensionisten und vermisste Katzen bestimmten den Polizeialltag von Sheriff Luther Opoku in Sierra County. Bis in einer Schlucht eine Tote gefunden wird. Zweifellos Mord, erkennt Luther, der Protagonist von Frank Schätzings Thriller „Die Tyrannei des Schmetterlings“. Seine Aufgaben übertreffen die Ermittlungsroutine bei Weitem. Denn Schätzing ist die erste Adresse, wenn es darum geht, hochkomplexe Sachverhalte in Spannung umzusetzen. Mit seinem Umwelt-Roman „Der Schwarm“ (2004) zeigte der heute 60-jährige Kölner erstmals, wie das geht. Nun widmet er sich wie sein amerikanischer Kollege Dan Brown („Origin“) dem Phänomen künstliche Intelligenz (KI). Luthers Recherchen führen in die geheime Niederlassung des fiktiven Technologiekonzerns Nordvisk. Dort wurde eine KI der Superlative entwickelt, die zur Bedrohung für die Menschheit wird. News sprach mit Frank Schätzing über KI und endete bei Metoo.

Herr Schätzing, ängstigt Sie das Szenario, dass wir einmal von Robotern oder einer künstlichen Intelligenz vernichtet werden können?

Angst ist mir zu diffus. Sie verdankt sich meist Unkenntnis. Ich ziehe es vor, Risiken konkret zu benennen. Fakt ist: Solange KI kein Bewusstsein entwickelt, ist sie weder gut noch böse. Zugleich muss uns klar sein, dass sie als erste menschgeschaffene Erfindung komplett eigene Wege gehen könnte. Bislang gab es noch für jede Technologie Experten, die sie an- und abschalten und reparieren konnten. Moderne KI hingegen lernt autonom, und das unvorstellbar schnell. Irgendwann werden wir keine Aussagen mehr über ihren Kenntnisstand treffen können. Zu welchen Rückschlüssen werden ihre Algorithmen gelangen? Wird sie unser Leben entscheidend verbessern oder uns alle kaltmachen? Wissen wir nicht. Umso wichtiger, solche Systeme jetzt, bevor sie zur Blackbox werden, so zu programmieren, dass sie immer hübsch loyal bleiben.

Der Forscher Max Tegmark warnt in seinem Buch „Leben 3.0“ vor den Gefahren künstlicher Intelligenz. Sie beziehen sich in Ihrem Roman auf seine Thesen. Auch Ihr amerikanischer Kollege Dan Brown ließ sich von Tegmark für seinen letzten Thriller inspirieren.

Dan Brown auch? Hab ich verpasst. Das ist der Nachteil beim Schreiben. Man hat keine Zeit mehr, die Kollegen zu lesen.

Warum hat das Phänomen künstliche Intelligenz das Thriller-Genre erobert?

Weil es relevant ist. Schriftsteller streben nach Relevanz. In meinem Fall verdankt es sich lebenslanger Faszination für Science-Fiction. Ich hab als Teenager den kompletten Isaac Asimov gelesen. Kubricks „2001“ war meine Offenbarung!

In Ihrem Roman ist von einer KI die Rede, die jeden „niederballern“ kann, der wie ein Islamist aussieht. Ist das realistisch?

Dazu folgende Geschichte: Vor Jahren setzte das Pentagon eine KI darauf an, Blogs nach Begriffen zu durchforsten, die auf staatsgefährdende Aktionen hindeuteten, und die Autoren ausfindig zu machen. Mit dem Ergebnis, dass schwer­bewaffnete Rollkommandos bei Friedensnobelpreisträgern auftauchten, die einfach nur kritisch über die Nato geschrieben hatten. Da kamen noch Menschen. Was aber, wenn die KI autonome Killerroboter geschickt hätte? Nur ein Szenario – aber bedenkenswert.

Selbstfahrende Autos waren bis vor Kurzem ein positives Beispiel für KI. Man hielt sie für sicher. Jetzt hört man, wie oft sie Unfälle verursachen. Würden Sie sich so einem Auto anvertrauen?

Das hat nix mit Vertrauen zu tun. Keine KI lässt dich hinterlistig gegen die Wand fahren, es geht um Statistik. Wir setzen uns in den ICE, im Flugzeug fliegt der Autopilot, von Achterbahnen will ich gar nicht erst anfangen. Jeden Tag unterwerfen wir unser Leben fremdgesteuerten Systemen, nur das Auto muss in unserer tra­dierten Vorstellung von uns selbst gelenkt werden. So ein Schwachsinn. Warum Unfälle mit selbstfahrenden Autos zunehmen, ist schnell erklärt. Weil es immer mehr davon gibt. Statistisch liegt die Unfallrate pilotierter Fahrzeuge unverändert weit unter der Zahl der Unfälle, die von Menschen produziert werden.

In niederländischen Pensionistenheimen setzt man Pflegeroboter ein. Auch Roboter-Haustiere werden Pflegebedürftigen angeboten. Wohin führt das?

Zur Mensch-Maschine-Partnerschaft. Es funktioniert. Maschinen können echte Kumpels für alte Leute sein. Lesen vor, kochen, halten die Wohnung in Schuss.

Ist künstliche Intelligenz für Sie Segen oder Fluch?

Potenziell beides. Im Fall der Pflegeroboter eher Segen. Natürlich kann eine Maschine dich aus Versehen ins Jenseits befördern. Aber das ist weit unwahrscheinlicher, als in die Hände irgendeiner Pflegemafia zu geraten, die dich abzockt und deren angebliche Krankenschwestern – sofern sie überhaupt auftauchen – keine Medikamente von sauren Drops unterscheiden können.

Tegmark schreibt, dass eine KI auch Romane verfassen kann. Sehen das als ernst zu nehmenden Konkurrenten?

Nein. Ich betrachte keinen Schriftsteller als Konkurrenten, ob Mensch oder Maschine. Im Übrigen hat Tegmark Recht. Definitiv wird es in zwanzig bis dreißig Jahren KI-erzeugte Literatur geben. Sicher keine Hochliteratur, aber das alltägliche Bedürfnis, irgendeine stereotype Geschichte zu schmökern, dürften KIs dann befriedigen können. Drehbücher für Daily Soaps – kein Problem. So oder so bleibt alles, was Menschen produzieren, einzigartig. Spannend wird es, wenn KIs an kreativen Prozessen mitwirken.

Wäre eine KI als Mitautor für Sie vorstellbar?

Warum nicht? Sie könnte die Recherche übernehmen. Mal eine Szene schreiben. Beim Film werden Computer schon als kreative Partner eingesetzt. Manche Figuren in Ihrem Roman sind nach Serienhelden benannt. Der Sheriff heißt Luther wie der geniale Detective aus der gleichnamigen Serie.

Könnten Sie sich Ihren Roman als Serie bei Netflix oder Amazon vorstellen?

Klar! Serien sind das neue Kino. Eigentlich noch mehr als das. Anders als im Spielfilm, wo man nach zwei Stunden aus dem fiktiven Universum geworfen wird, ist dieses in der Serie omnipräsent. Wann immer man will, reist man hin. Und Sie haben natürlich recht: Mein Sheriff ist eine Verbeugung vor Luther-Darsteller Idris Elba. Gut erkannt!

Eine sympathische Figur nennen Sie Underwood wie den Präsidenten in „House of Cards“. Ist Ihre Ruth Underwood ein Plädoyer für den Darsteller Kevin Spacey, der im Zuge der Metoo-­Debatte zur Unperson in Hollywood erklärt wurde?

Nein. Ruth zollt Zappas legendärer Percussionistin gleichen Namens Tribut. Sieht allerdings anders aus. Kann auch nicht Marimba spielen. Aber umso besser schießen.

Was sagen Sie zu Spacey?

Tja. Die alte Frage, inwieweit man ein Kunstwerk losgelöst vom Künstler betrachten kann. Falls Spacey getan hat, was ihm vorgeworfen wird, hat er sich disqualifiziert. Für mich bleibt er dennoch einer der besten Schauspieler der Welt. Ich bedaure die Opfer seiner Übergriffe und ebenso, dass man ihn wohl nie wieder in neuen Rollen sehen wird.

Legenden wie Woody Allen und Roman Polanski wurden zu Unpersonen erklärt. Ihre Filme sollen nicht mehr gezeigt werden. Geht Metoo zu weit?

Konsequenterweise müssten wir dann die Hälfte aller Museen, Bibliotheken und Filmarchive leerräumen. Auf den Scheiterhaufen also mit Picasso? Wollen wir das wirklich? Metoo klagt – oft zu Recht und mal zu Unrecht – Menschen an, die im selben Augenblick erledigt sind. Trifft dieser, jener Vorwurf zu? Egal, wird schon stimmen. Weg! An Schuld gibt es nichts schönzureden, aber diese Genugtuung, Beschuldigte ausradiert zu haben, bereitet mir mitunter Sorge. Jemanden aus der Geschichte tilgen zu wollen, ist immer ein Irrweg. Ich bin zu einhundert Prozent auf Seiten der Opfer. Aber ausgerechnet im Ringen um mehr Respekt unmenschlich zu werden, wäre fatal. Metoo muss den Sieg der Menschlichkeit auf allen Ebenen davontragen.

Hat Metoo also mehr Schaden angerichtet, als es genützt hat?

Nein. Es war überfällig. Keine Form der Nötigung ist akzeptabel, kein sexueller Übergriff darf als Kavaliersdelikt durchgehen. Problematisch finde ich das Aufkommen einer Atmosphäre, in der jeder Flirt- und Annäherungsversuch – von Männern wie Frauen – sofort lautstark angeprangert wird. Das schadet der guten Sache. Gerade, weil die Debatte so wichtig ist, darf sie nicht von Moralisten und religiösen Eiferern instrumentalisiert werden. Wir brauchen nicht mehr Prüderie, wir brauchen mehr Würde.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Printausgabe 18 2018

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