Toto Wolff:
Vollgas in die neue Saison

Dieses Wochenende startet in Melbourne die Formel 1 in die neue Saison. Für Mercedes-Teamchef Toto Wolff machen die Frage, wie sich der Neue im Team, Valtteri Bottas, schlägt, und die geänderten Regeln das Rennjahr spannend

von Formel 1 - Toto Wolff:
Vollgas in die neue Saison © Bild: Ricardo Herrgott

Herr Wolff, Sie haben gerade Ihren Vertrag als Mercedes-Teamchef um weitere drei Jahre verlängert. Bedeutet das auch, dass die Mercedes-Formel-1-Familie wieder Vorrang vor Ihrer privaten Familie hat?
Natürlich ist es nicht einfach, Job und Familie unter einen Hut zu bringen. Aber der Job macht Spaß, ich arbeite gerne mit dem Team zusammen - bisher erfolgreich, ich weiß ja nicht, wie das in der Zukunft aussehen wird. Aber das ist gerade die Herausforderung, am Erfolg zu arbeiten, und insofern ist es okay.

Damit aber Ihre Frau Susie und Ihr erstes gemeinsames Kind, das bald zur Welt kommen soll, nicht völlig zu kurz kommen, wollen Sie nach dem Roger-Federer-Prinzip leben. Inwiefern ist da der Tennisprofi Vorbild?
In vier Wochen kommt das Baby. Die Susie hat ja immer gearbeitet, sie ist erst vor zwei Jahren vom Motorsport zurückgetreten und hat seitdem ihre eigenen Projekte verfolgt und will das auch weiterhin tun und wird daher versuchen, eine Working Mum zu sein, weil ihr das wichtig ist. Wir werden die ganze Sache relativ locker nehmen und das Kind wird ein Reisekind werden, sodass wir die Familie so gut wie möglich zusammenhalten. Das macht auch die Familie Federer so, die sogar mit zwei Zwillingspaaren durch die Weltgeschichte reist.

Sehen Sie Ihre Frau denn auch on the Job?
Ja, absolut, die Susie hat ja jede Menge mit der Formel 1 zu tun. Sie arbeitet für den britischen Privatsender Channel 4, ist eine der Moderatorinnen und macht das auch gerne. Darüber hat sie ihr Diversity-Project, "Dare To Be Different", wo sie versucht, jungen Mädchen das Thema Motorsport näherzubringen, und weil das Aktivitäten sind, die sie gerne macht, wird sie das auch weiterhin betreiben.

Apropos Familie: Mercedes hat jetzt mit Valtteri Bottas einen neuen Fahrer, der in großen Reifenspuren fährt - als Nachfolger des amtierenden Weltmeisters Nico Rosberg. Welche Erwartungen setzen Sie in ihn?
Er hat natürlich große Schuhe zu füllen, weil das Auto des amtierenden Weltmeisters zu übernehmen - viel ambitionierter geht's nicht mehr. Die Erwartung, die ich habe, ist, dass er ein wenig Nicos Rolle einnimmt. Der war ein sehr guter Entwickler, ein Ruhepol im Team, ein Stabilitätsfaktor, und die Dynamik mit dem Lewis Hamilton war und ist sehr wichtig. Der Lewis ist am anderen Ende des Spektrums angesiedelt, ist ein Künstler, aber der beste Rennfahrer der Gegenwart, und die Kombination aus beiden Fahrern hat uns als Team vorwärts gebracht, war auch maßgeblicher Teil unseres Erfolges.

»Bottas hat angerufen und gefragt, was er tun muss, um dieses Cockpit zu bekommen.«

Stimmt es, dass sich Bottas Ihnen persönlich mit den Worten angeboten hat, dass er Rennen und die Meisterschaft gewinnen werde, wenn er den Platz bei Mercedes bekommt?
Nein, das hat er nicht gesagt, aber er hat angerufen und gefragt, was er tun muss, um dieses Cockpit zu bekommen. Er war aber nicht der Einzige, der sich erkundigt hat.

Warum hat Bottas nur einen Einjahresvertrag erhalten?
Der Fahrermarkt öffnet sich 2018, es laufen viele Verträge aus. Und wir wollten uns halt alle Optionen offenhalten. Wir haben ihm von Anfang an gesagt, du, es ist "high risk", wenn du hier fährst, und wir hoffen, dass es klappt und du viele Jahre im Team bleibst. Aber wenn deine Performance nicht so ist, wie wir uns das vorstellen, dann gibt es 2018 mehrere Alternativen für uns.

Hamilton ist sicher nicht über die Winterpause zum friedliebenden Lämmchen mutiert - rechnen Sie mit ähnlichen Konflikten wie mit Nico oder geht Lewis mit Valtteri pfleglicher um?
Erstens ist der Lewis richtig gut beisammen, er kam aus dem Winterurlaub relaxed, freundlich und gut drauf. Und zweitens hat er kürzlich gesagt, es ist das beste Verhältnis, auch wenn es sehr jung ist, das er jemals mit einem Teamkollegen hatte. Ich glaube, dass der Nico nicht mehr im Team ist, hat zur Entspannung beigetragen. Ich hab aber keine Zweifel daran, dass die Rivalität zwischen dem Lewis und dem Valtteri auf der Strecke auch für so manche Kontroverse sorgen wird.

Wie Bottas von Hamilton profitieren kann, liegt auf der Hand, aber wie sieht es vice versa aus?
Einen Teamkollegen zu haben, der schnell ist und die Entwicklungsrichtung vorgeben kann, ist wichtig. Jeder Fahrer hat mal ein Wochenende, wo er von seinen Set-ups nicht in die richtige Richtung marschiert, und der kann sich dann mit dem Teamkollegen vergleichen.

Hamilton ist ein Paradiesvogel (Zitat Gerhard Berger) und der momentan beste Fahrer im Feld (Zitat Toto Wolff) - wie bekommt er die beiden Extreme unter einen Hut?
Er weiß mit 32 ganz genau, was er braucht, um gut zu performen. agieren, um in deinem Privatleben und als Rennfahrer erfolgreich zu sein. Der kann über zwei Tage nach L. A. fliegen und dort einen Modeevent machen und kommt mit dem richtigen Mindset zurück. Ein anderer wäre gejetlagt, aber bei ihm funktioniert das, und das muss man akzeptieren.

»Lewis Hamilton ist sicher der Superstar der Formel 1.«

Profitiert auch das Team davon, dass der Lewis so ein bunter Hund ist?
Er ist sicher der Superstar der Formel 1, weil er aktiv in den sozialen Medien ist, Red- Carpet-Events macht, auch andere Interessen als die Formel 1 hat und eigentlich einen Celebrity-Status erreicht hat. Er beschert uns tolle Einschaltquoten, und insofern ist das gut.

Hand aufs Herz: Sind wieder zwei Titel - Konstrukteurs- und Fahrer-Weltmeisterschaft - fix eingeplant?
Du musst deine Erwartungshaltung managen. Wenn du in eine neue Saison gehst, wo alles auf null gestellt wird, das Reglement neu ist und du gehst mit der Erwartungshaltung hinein, dass du wieder beide Meisterschaften gewinnen musst, dann hast du das falsche Mindset. Dann nimmst du auch die Konkurrenz nicht ernst genug und respektierst sie auch nicht genug. Wir gehen mit der Einstellung in die neue Saison, dass wir die bestmögliche Leistung bringen, Rennen gewinnen wollen und trotzdem um eine Meisterschaft fahren. Alles andere wäre falsch.

Wie viel Aussagekraft hatten die Testfahrten?
Was wir gesehen haben, ist, dass wir schon einmal nicht ganz daneben sind. Mehr nicht. Wie das wahre Kräfteverhältnis ist, werden wir nicht einmal in Melbourne sehen, weil dort die Rennstrecke nicht repräsentativ ist. Vielleicht sehen wir in Bahrain mehr.

»Die Anforderungen an die Fahrer werden wesentlich härter werden«

Werden die Rennen durch das neue Reglement eigentlich spektakulärer werden, vor allem wegen der schnelleren Kurvengeschwindigkeiten?
Die Autos werden viel schneller, die körperlichen und mentalen Anforderungen an die Fahrer werden wesentlich härter werden - sie
klagen schon jetzt, dass sie das Genick viel stärker spüren. Diese Entwicklung war auch ein Wunschziel der Teams. Ob die Rennen spektakulärer werden, wissen wir nicht. Wir haben immer darauf hingewiesen, dass wir Sorge mit dem neuen Reglement haben. Durch die Luftverwirbelungen wird das Überholen noch schwieriger, weil du noch schlechter näher an den Vordermann ranfahren kannst, du verlierst Grip an der Vorderachse. Ob es nicht mehr Überholmanöver als letzte Saison geben wird? Wir versuchen, das Beste aus der Technik-Situation zu machen.

Was kann der neue Eigentümer, Liberty Media, ausrichten, um die Formel 1 attraktiver zu gestalten?
Sie wollen mehr Nebenaktivitäten und Musik-Acts, um dem Ganzen mehr Event-Charakter zu verleihen. Die Formel 1 ist der Haupt-Event, daneben soll aber allerlei Unterhaltung hineingepackt werden. Als Beispiel wurde die Super Bowl genannt.

Was kann man sich unter Super Bowl in der Formel 1 vorstellen?
Ein gutes Beispiel war der Grand Prix in Austin voriges Jahr, da waren die Zahlen sehr positiv, weil Taylor Swift am Abend an der Rennstrecke aufgetreten ist. Es sollen Event,s werden, wo es nicht nur um die Autos geht, sondern wo auch andere Dinge die Fans anziehen und unterhalten sollen.

Wann geht das los?
So bald wie möglich. Ich denke, die werden schon in Australien das Event aufwerten wollen.

Und den sozialen Medien soll viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden ...
Ja, das passiert jetzt schon. Wir haben gerade eine neue Regelung von Liberty bekommen, dass die Teams und die Piloten aus dem Fahrerlager Clips auf unseren Social-Media-Kanälen senden können. Dass wir wegen der TV-Rechte die jeweilige Rennstrecke nicht zeigen dürfen, ist in Ordnung.

»Das Kapitel Ecclestone ist Vergangenheit.«

Liberty Media hat mit Bernie Ecclestone jemanden abgelöst, der 40 Jahre die personifizierte Formel 1 war. Halten Sie es für möglich, dass der alte Fuchs in einer Funktion wieder auftaucht?
Ich glaube, das Kapitel Ecclestone ist Vergangenheit. Es gibt einen neuen Eigentümer, der hat sein Management eingesetzt. Und ich glaube, das wird auch so bleiben - wenn das auch für uns alle eine völlig neue Situation darstellt.

Zur Person

Der Wiener wurde am 12. Jänner 1972 geboren, verlor früh den Vater und wuchs mit Mutter und Schwester auf. 1992 begann seine Motorsportkarriere, die ihn bis in die FIA-GT-Meisterschaft und in die Rallye-Staatsmeisterschaft führte. 1998 hatte er erste Engagements auf dem Finanzsektor. Heute ist der Mercedes-Teamchef mit 30 Prozent am Formel-1-Team beteiligt. Er ist mit Ex-Rennfahrerin Susie verheiratet.