Immer die erste
Frau am Platz

Auf dem grünen Rasen hat keine Frau so oft Neuland betreten. Nun schreibt Stéphanie Frappart auch bei der Euro 2021 als Schiedsrichterin Geschichte.

von Fussball - Immer die erste
Frau am Platz © Bild: Imago

Sie hat alles, was man braucht, um auf der größten Bühne erfolgreich zu sein. Über die Jahre hat sie gezeigt, dass sie eine der Weltbesten in ihrem Beruf ist. - Groß waren die Worte, mit denen der Vorsitzende der UEFA-Schiedsrichterkommission, Roberto Rosetti, den Neuzugang vor sechs Monaten beschrieb. Damals glänzte Stéphanie Frappart als erste Frau, die als Referee für ein Champions- League-Spiel -Juventus Turin gegen Dynamo Kiew im Dezember 2020 -nominiert wurde. Seit dieser Woche trägt sich die 37-jährige Französin als erste Schiedsrichterin bei einer Europameisterschaft abermals in die Fußballgeschichtsbücher ein. Dass sie diesmal nur als vierte Offizielle zum Einsatz kommt, finden viele Sportkommentatoren bedauerlich.

Sie loben Frapparts natürliche Autorität, ihre herausragende Fitness und mentale Stärke. Diese Attribute brachten ihr unter anderem beim UEFA-Super-Cup-Finale Liverpool gegen Chelsea 2019 den Respekt der bekannt diskutierfreudigen Trainergröße Jürgen Klopp. "Sie ist ruhig geblieben und hat das getan, was sie zu tun hatte. Ich habe größten Respekt vor Stéphanie Frappart", so Klopp nach dem Spiel. Auch damals war sie die erste Frau, die ein bedeutendes Endspiel im internationalen Männerfußball leitete. Noch ein Geschichtsbucheintrag.

Sie bleibt gern in ihrer "Bubble"

Diese Meilensteine sind in Frapparts Leben bislang nur Zwischenstopps. Ihr Aufstieg im männerdominierten Beruf ist ohne Übertreibung als kometenhaft zu beschreiben. Bevor sie 2020 neben der Champions League auch in der Europa League und der Nations League im Einsatz war, leitete Stéphanie Frappart 2019 zum Super-Cup-Finale auch das Endspiel der Frauen-Weltmeisterschaft in ihrem Heimatland.

Die gesellschaftliche Bedeutung ihrer Vorreiterrolle ist noch immer enorm. Frappart weiß das, auch wenn es schon 18 Jahre her ist, seit sie in der siebten Liga ihr erstes Männerspiel pfiff. "Mir ist bewusst, dass ich ein Vorbild bin. Mein Weg zeigt allen Mädchen, was möglich ist, wenn man hart arbeitet und sich einer Sache ganz verschreibt", sagt die Unparteiische dazu zu BBC Sport. Sonst gibt sie sich sehr zurückhaltend. Sie ist nicht in den sozialen Medien unterwegs und liest keine Zeitungsartikel über sich. "Ich weiß, dass im Fußball alle über die Schiedsrichter diskutieren. Es ist besser, das zu ignorieren. Ich bleibe lieber in meiner Bubble", so Frappart.

Die zurückhaltende Frau feilt lieber an ihrer Karriere, die sie seit ihrer Kindheit mit Leidenschaft verfolgt. Im Alter von zehn Jahre begann sie in ihrer Heimat Le Plessis-Bouchard, 20 Kilometer nordwestlich von Paris, im Mittelfeld Fußball zu spielen. Das Regelwerk faszinierte sie und sie ließ sich schon als Jugendliche zur Schiedsrichterin ausbilden. Mit 18 beendete sie ihre Karriere als Fußballerin und konzentrierte sich ganz auf die Schiedsrichterei. Im Alter von 30 Jahren pfiff sie in der zweiten französischen Männerliga, fünf Jahre später war sie in der ersten Liga angekommen.

Das Debüt in der obersten Spielklasse sorgte in ihrer Heimat für Schlagzeilen, und US-Orléans-Mittelfeldspieler Pierre Bouby schwärmte gegenüber französischen Medien über die 1,64-Meter-Frau: "Sie hat eine leise Stimme, aber sie hat Charisma und Persönlichkeit. Sie benutzt die richtigen Worte, sie erklärt, sie ist diplomatisch und wir können mit ihr reden. Sie versucht nicht, sich in Szene zu setzen."

Fit wie die Spieler

Referee-Seminare der UEFA und der FIFA haben ihr geholfen, sich zu verbessern, beschreibt sie unaufgeregt ihren aufregenden Werdegang. Auch die UEFA hält den Ball flach. Frapparts Ernennung sei "keine Besonderheit", heißt es von offizieller Seite. Sie beruhe "auf ihrem Leistungsausweis als europäischer Top-Referee". Neben Frappart nennt die UEFA die ukrainische Kollegin Kateryna Monsul als Beispiel, die 2020 in den Gruppenphasen der Nations League und der Europa League im Einsatz war und unter anderem das WM-Qualifikationsspiel Österreich gegen die Färöer im März leitete.

"Schiedsrichterinnen in Männerwettbewerben sollten niemanden mehr überraschen", erklärt der oberste Schiedsrichterchef Rosetti mit Verweis auf eine langfristige Strategie zur Förderung der Chancengleichheit, die auf die Schweizerin Nicole Petignat zurückgeht. Die Schweizerin leitete 2003 als erste Frau ein Spiel eines UEFA-Männerbewerbs. 2020 lag der Anteil weiblicher Schiedsrichter laut UEFA bei drei Prozent.

"Ernennungen erfolgen auf der Grundlage erbrachter Leistungen. Diese Frauen haben sich das durch harte Arbeit und großen Einsatz redlich verdient." Fitnesstests zeigen überdies, dass die Werte der Unparteiischen generell auf einem Niveau liegen, das dem Leistungsvermögen der Spieler entspricht, stellt Rosetti klar.

Im Scheinwerferlicht bleiben die weiblichen Referees trotzdem (noch). Das zeigt allein die Mühe, die sich Medien bei der Beobachtung ihrer Arbeit machen. So hat der deutsche "Express" aktuell erhoben, dass Stéphanie Frappart "weniger hart durchgreifen muss", je höher die Ligen werden, in denen sie Spiele leitet. Demnach erteilte sie in 83 Spielen der zweiten französischen Liga 20 Platzverweise, also grob umgerechnet einen in vier Spielen, in der ersten Liga waren es dagegen nur zwei Rote Karten in 29 Spielen, umgerechnet also eine pro 14.

Stimmt die Rechnung, kommt Stéphanie Frappart im Zuge ihres nächsten Meilensteins bei der WM 2022 demnach ganz ohne Rote Karten aus.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der Printausgabe von News (Nr. 24/2021) erschienen.