Von Dunkelmännern und Aufklärern

In Salzburg will man Karajan seinen Platz wegnehmen. In Wien strebt ein humanitäres Musterprojekt des Mediziners Siegfried Meryn mit Carreras und Garanca der Vollendung zu.

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

An sich war ich entschlossen, an dieser Stelle wieder dem Betteln eines meiner Premiumklienten um Kopfnüsse nachzugeben. Ich meine die Salzburger Universität, und anspruchsberechtigt wären diesmal die dortigen Zeithistoriker: Sie wollen den Karajan-Platz beim Festspielhaus umbenennen, weil der namengebende Unsterbliche ein Nazi-Täter der Spitzenkategorie 3 gewesen sei. Er war maximal einer der Kategorie Null, ein junger Karrierist, ohne dessen fraglos unelegantes Vorankommen die Stadt ein Drive-in-Barockmuseum für Autobustouristen wäre, ein Mariazell ohne Wallfahrtsbetrieb. Historiker, die ohne Ansehen der zu retuschierenden Person Kulturgeschichte auslöschen wollen und dabei den Unterschied zwischen einem Maßstabsetzer der Interpretationsgeschichte und dem grindigen Heimatdichter Waggerl nicht wahrzunehmen vermögen: Denen ist das Führen des Prädikats "Geisteswissenschafter" zu untersagen. So wie ihre Vorgänger im engen Geist dem epochalen Biologen Konrad Lorenz posthum das Ehrendoktorat aberkannt haben, weil er im Nazi-Reich garstige Schriften verfasst hat.

Dass sich solche Kundgebungen der Bildungsferne an einer Hochschule regen, in der ernsthaft darüber diskutiert wurde, einem Sympathisanten der vom deutschen Bundestag als antisemitisch qualifizierten BDS-Bewegung ein Gastseminar einzuräumen: Das lässt mich befürchten, dass über Anregung der Kollegen aus Oxford bald auch der Kolonialist Mozart aus dem Stadtbild getilgt wird (weder die Habsburger noch die Salzburger Fürsterzbischöfe betrieben übrigens erwähnenswerte Kolonien, Anm.).

Ohne Verzug wende ich mich deshalb von den Dunkelmännern ab in die Geisteshelle der Aufklärung, diesfalls verkörpert durch einen anderen akademischen Lehrer. Wenn auch einen kürzlich emeritierten: Der bedeutende Arzt und Humanist Siegfried Meryn bittet, nicht zum ersten Mal, um Hilfe, die ihm mit Freude gewährt wird.

»Wann wird der Kolonialist Mozart aus dem Salzburger Stadtbild getilgt?«

Welch eine Geschichte: Vor fünf Jahren beschloss der Internist Meryn, in die bedrohlich klaffende Schere zwischen Arm und Reich zu greifen. Der ersten Kategorie sind in Österreich 1,5 Millionen Erwachsene und 400.000 Kinder zugehörig, rechnet Meryn vor, und es werden mehr, weil die Pandemie den Mittelstand in Bedrängnis bringt. Also ersann er 2016 das Projekt "Cape 10": ein Zentrum für sozial und gesundheitlich Beeinträchtigte im 10. Bezirk hinter dem Hauptbahnhof. Die Einrichtung für obdachlose Frauen ist schon eröffnet und deprimierend gut gebucht. Im Herbst nehmen auch die Ambulanz für nicht Krankenversicherte und das Primärversorgungszentrum den Betrieb auf: Ärzte verschiedener Disziplinen stehen da zur Verfügung. Ein Veranstaltungssaal, dessen Eingangsbereich von Eva Schlegel und dessen Innenausstattung von Erwin Wurm gestaltet wurden, verweist auf die nahe Verbindung zur Kunst.

Die Errichtung des Gebäudes hat 15 Millionen Euro gekostet. Für 1,1 Millionen erwarb der Unternehmer Hans Schmid mit seiner Stiftung das Grundstück. Die verbleibende Summe brachten andere Mäzene und Sponsoren, Investoren und Wirtschaftstreibende auf. Und immer waren es Künstler, die unentgeltlich auftraten. Matthias Hartmann und Karin Bergmann öffneten die "Burg", Matthias Naske lud ins Konzerthaus ein.

Und am 14. September kommt es zu einem denkwürdigen Abend in der Staatsoper: José Carreras verabschiedet sich mit einem Liederabend aus dem Haus enormer gegenseitiger Leidenschaften. Mit ihm tritt Elina Garanca auf, die "Cape 10" über Jahre als ihr Herzensprojekt in die Welt trägt. Beide spenden ihre Gagen. Meryn hat 500 der besten Plätze erworben und bietet sie nun in Opernball-Dimensionen an: Für 25.000 Euro kann man eine Loge samt Empfang, Abendessen mit den Künstlern und massiver Medienpräsenz, für 10.000 Euro eine Loge ohne Abendessen erwerben. Und für 220 Euro, das Doppelte des Normalpreises, belegt man einen sehr guten Platz.

Sollte Ihnen also betont mäzenatisch ums Herz sein: https://cape10.at

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