Denunzieren als Disziplin der Stunde

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Wenn Sie gestatten, würde ich gern wieder über den abscheulichen Vorgang des Denunzierens bis zur Existenzvernichtung mutmaßen. Ich lasse mich dabei gar nicht auf die Frage ein, welcher Subspezies der Privatheit das Mobiltelefon eines Politikers angehört. Verbindlich weiß ich nur, dass ich SMS-Nachrichten nur noch in Themenbereiche von äußerster Unverfänglichkeit versende (die Einkaufsliste für den Billa ist mir schon zu heiß). Wiewohl unzuständig, frage ich mich aber doch, ob man es Korruption nennen kann, einem grenzparodistischen Untersuchungsausschuss mit Verschlossenheit und Arroganz zu begegnen. Schließlich haben die Damen und Herren durch obsessiven Gebrauch des O-Worts („geht ma am O.“, „geh scheißen, du O.“) den Halbweltton quasi vorgegeben. Auch frage ich mich, wie sich die Grünen einerseits mit Pattex-Kontaktkleber in der Regierung fixieren, dieselbe aber gleichzeitig über ein befreundetes Segment der Staatsanwaltschaft in Dauerbedrängnis bringen können. Und inwiefern eine der inkriminierten Taten Neuwahlen in komplizierter Zeit rechtfertigt.

Da ich mir solche Fragen aber ausnahmslos als Privatperson zu stellen habe, kehre ich zur vertrauten Kunst zurück. Die ist mittlerweile durch Denunziation in ihrer Qualität bereits erkennbar gelichtet. Ganoven wie Weinstein wurden angeklagt und verurteilt, und das ist recht so. Aber wenn der Schauspieler Johnny Depp im Verlauf eines Scheidungszerwürfnisses ein Käseblatt klagt und abgewiesen wird, rechtfertigt das gewiss nicht das Ende seiner Karriere. Gegen den großen Schauspieler Dustin Hoffman wurden nicht einmal Vorformen eines Verfahrens angestrengt, die Ermittlungen gegen Kevin Spacey sind eingestellt. Aber wo außer in italienischen B-Movies sind Hoffman und Spacey? Wenn jemand etwas begangen hat, ist das zu klären. Mit seiner Qualifikation als Künstler hat es nichts zu tun.

Und das ist nur der grelle, mich wenig berührende Bereich der Show. Auch die Kunst, die ich meine, wurde zuletzt in Mitleidenschaft gezogen. Hier sind nur einige Fälle unter dem Kürzel #Metoo zu subsumieren, meist betraf es Dirigenten. Es reichten schon Andeutungen, um Daniele Gatti aus der Chefposition des Concertgebouw- Orchesters zu befördern. Man hatte sich schlicht nicht verstanden, und heute amtiert Gatti daheim in der römischen Oper. Dubioser und auch tragischer war der Fall James Levine. Hier gab es in der Tat Bedenkliches, auf Grund dessen die Wiener Philharmoniker die Zusammenarbeit über Jahrzehnte eingestellt hatten. Aber einen Todkranken ohne die Spur einer gerichtlichen Klärung vor die Tür zu setzen, wie die „Met“ es unternommen hat: Das deckt sich mit der Praxis, Chor und Orchester einfach hinauszuschmeißen, wenn in der Seuchenzeit die Jahre abmagern.

Und was ist mit dem Dirigenten Gustav Kuhn, der sich aus Erl zurückziehen musste, weil ein „Blogger“ Vorwürfe erhob, für deren distanzlose Verbreitung jedes ordentliche Medium ein Vermögen entrichten müsste? Sämtliche Verfahren gegen Kuhn sind eingestellt. Und wo ist Kuhn? Wir haben es mit einem besonderen Fall der Doppelmoral zu tun: Datenschützer, die etwa im pandemischen Verlauf lebenserhaltende digitale Bekämpfungsmaßnahmen sabotiert haben, verteidigen andererseits das Grundrecht auf Ehrabschneidung. Was hat man auf das Gesetz gegen Hass im Netz gewartet! Jetzt ist es da, aber es betrifft nur kommerzielle Medien. Verleumdung ohne Gewinnabsicht bleibt straffrei.

Ein irrationaler Fall betrifft den früheren Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann. Von dem in diesem Medium aufgedeckten Finanzskandal des Jahres 2014 blieb ein klares Urteil: zwei Jahre bedingt für die kaufmännische Direktorin. Von den Vorwürfen gegen den Direktor, dessen Durchblick den einer führenden Wirtschaftsprüfungskanzlei hätte übertreffen müssen, blieb nicht die Spur einer Spur. Aber Hartmann leitet heute eine Medienproduktionsfirma und inszeniert nirgends mehr. Den Rest gab ihm ein diffuser Denunziationsbrief mehrerer Schauspieler, die ihm Jahre nach seinem Abgang diktatorische Gepflogenheiten vorwarfen. Hartmann war nicht nur ein erstklassiger Direktor, sondern ist auch ein glänzender, publikumssicherer Regisseur. Wenn Sie, wie ich, seit 19. Mai wieder in den großen Häusern des Landes Dienst täten, wüssten Sie, weshalb ich Hartmanns umgehenden Noteinsatz fordere. Wo, ist zweitrangig.