Bis Ostern kein Schnitzler!

Auch mir wird das Thema langweilig, aber jetzt formiert sich Widerstand gegen die systematische Erwürgung der Kunst. Das Verfassungsgericht ist gefragt. Und: Unschönes aus der Volksoper.

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Das ikonische Manifest phäakischer Inferiorität habe ich Ihnen schon vor längerem zur Kenntnis gebracht (wobei ich dem hedonistischen Volk der Phäaken, das den versprengten Odysseus gastfreundlich aufgenommen hat, nicht nahetreten will): "Bis Ostern kein Schnitzerl!" Aus diesem Schlagzeile gewordenen Aufstoßen der Lebensverzweiflung lamentiert die aktuelle Öffnungsdebatte in all ihrer Unsäglichkeit. Besagtes Nahrungsmittel ist nämlich an so gut wie jeder Ecke verfügbar. Ich selbst lasse es mir gern vor dem Schwarzen Kameel zubereiten. Ich konsumiere es dann an einer Brunneneinfassung auf dem Graben, wobei ich auf die Einhaltung der Abstandsregeln achte. Was auch erforderlich ist, denn andere sehen solche Notwendigkeiten weniger eng.

Bei der Erstlektüre oben benannter Spitzenmeldung hatte ich noch gehofft, mich verlesen zu haben: "Bis Ostern kein Schnitzler!" Das ist die Katastrophe, für die Zuseher nicht weniger als für die Ausführenden. Aber auch diesmal hörte man seitens der Kulturpolitik maximal ein Aufgrunzen des Überdrusses, während die Vertreter der "Gastro" gellend an ihre Töpfe und Pfannen schlugen. Als wäre das nicht übel genug, legte der (sonst tadellos agierende) Wiener Gesundheitsstadtrat Hacker noch expressis verbis nach, als er sich für die Öffnung der Schanigärten erklärte: "Ich rede ja nicht von einer vollbesetzten Oper, das ist derzeit undenkbar." Einzig die tapfere Kulturstadträtin, auf die keiner hört, raffte sich zur Gegenmeinung auf.

»Das versagende Ministerium könnte von den Theatern lernen. Aber lieber lässt man die Kunst sterben«

Hackers Hinweis hat es gerade gebraucht. Vollbesetzt war im fatalen Herbst nämlich allerhand, nur nicht die Oper. In Baumärkten und Fußgängerzonen ging es hoch her. Und bis heute ist es nicht möglich, das Grundrecht auf Hausfriedensbruch, Körperverletzung und Verbreitung ansteckender Krankheiten durch ein – wirklich – generelles Demonstrationsverbot außer Kraft zu setzen. Die Salzburger Festspiele und die großen Bühnen, die zwei Herbstmonate lang ohne einen einzigen Infektionsfall im Zuschauerraum spielten, haben dagegen spartanische Sicherheitskonzepte für ein reduziertes Publikum entwickelt. Auch das versagende Gesundheitsministerium könnte von ihnen lernen. Aber lieber lässt man die Kunst sterben, als von ihren Erkenntnissen zu profitieren.

Zumindest hierzulande ist das so, denn anderswo war man aufmerksamer: Auf spanischen Bühnen herrscht fast Normalbetrieb. In Berlin öffnen mehrere Theater auf Probe, und in die Philharmonie durften kürzlich wieder 1.000 Besucher. In Frankreich, wo die Situation der unseren gleicht, werden derweil Theater besetzt.

Darüber wäre auch hierzulande nachzudenken. Zuvor sollte man allerdings auf das Unternehmen "Florestan" (nach dem am Ende triumphal auferstehenden Eingekerkerten aus "Fidelio") hoffen: Eine Künstlerinitiative um Angelika Kirchschlager, Alfred Dorfer und den Pianisten Florian Krumpöck legt beim Verfassungsgerichtshof Beschwerde gegen die Sperre der Kultureinrichtungen ein. Im Besonderen möchte man wissen, anhand welcher Gesetzeslage das Grundrecht auf Religionsausübung gegenüber jenem auf Kunstausübung priorisiert wird. Länger als ein Jahr hat das hohe Gremium jede lebenserhaltend Maßnahme für verfassungswidrig erklärt. Jetzt wäre es Zeit, einmal vorsichtig etwas Vertretbares ins Auge zu fassen.

Mein Postskriptum dieser Woche gilt der im Herbst 2022 antretenden Volksoperndirektion. Ich will nicht hoffen, dass mit deren Ensemble ähnlich umgegangen wird wie, in vergleichbarer Situation, mit den Schauspielern des Burgtheaters und des Volkstheaters. Die Vorzeichen wollen mir allerdings nicht gefallen: Derzeit tritt das komplette Ensemble im Viertelstundentakt zum Vorsingen an. Nach einjährigem, fast ununterbrochenem Schweigen hat jeder 15 Minuten, um seine Existenzberechtigung zu beglaubigen oder zu verwirken. Erprobte Kräfte, die sich den Platz in der Wahrnehmung ihres Publikums über Jahre erarbeitet haben, treten da mit Anfängern vor der 39-jährigen Designata an. Die hatte tatsächlich wenig Gelegenheit, die ihr Anvertrauten auf der Bühne zu sehen. Aber sich eventuell bis zum Herbst zu gedulden und dafür die eigene erste Saison etwas flexibler zu programmieren: So stelle ich mir den Umgang unter Kulturmenschen vor.