Bibiana Beglau: Wie man sich die Seele aufreißt

Im endlich wieder eröffnenden Burgtheater verkörpert Bibiana Beglau, eine Extremistin der Bühnenwahrheit, singuläres Format. Ab 5. September ist ihre furiose Leistung in "Maria Stuart" zu begutachten.

von Kultur - Bibiana Beglau: Wie man sich die Seele aufreißt © Bild: imago/Future Image
Ungeachtet massiver Kürzungen ist das pures, auf Schillers Sprache und die Kunst zweier Hauptdarstellerinnen konzentriertes Theater: "Maria Stuart" mit Birgit Minichmayr, Bibiana Beglau, Franz Pätzold und Norman Hacker wird von den koproduzierenden Salzburger Festspielen ans Burgtheater übernommen. Premiere ist am 5. September

Fast im Alleingang eine neue Direktion durch die entscheidende Frühphase zu tragen: Dazu braucht es Tollkühnheit, Können und Charisma, alle drei in nicht alltäglicher Bemessung. Tatsächlich ließen die Ereignisse am Burgtheater seit Martin Kusejs Antritt im Herbst 2019 auch bei geschlossenem Vorhang nichts an Dramatik vermissen: populäre Schauspieler gekündigt, Nicholas Ofczarek für Serien karenziert, Joachim Meyerhoff ganz und Caroline Peters ein wenig in Berlin, Johannes Krisch an der "Josefstadt". Dazu ein Betrieb, der nach der endlosen Sperre noch etwas später hochfährt als die anderen, weil im Frühjahr die Bestuhlung ausgetauscht wurde.

Aber Gott sei Dank gibt es Bibiana Beglau, die kürzlich 50 wurde und in diesem nicht unriskanten Schauspielerinnenalter heller glänzt als die meistern anderen zusammen.

Man muss das bei den eben vergangenen Salzburger Festspielen gesehen haben und wird es am koproduzierenden Burgtheater schon ab 5. September sehen: zwei große Schauspielerinnen im Kampf auf Leben und Tod. Die andere ist Birgit Minichmayr, die als Schottenkönigin Maria Stuart in Kerkerhaft ihr Todesurteil erwartet. Die zögernde Unterzeichnerin, Elisabeth I. von England, ist Bibiana Beglau. Und das Resultat in seiner schon fast aus der Zeit gefallenen Konzentration auf Sprache und schauspielerische Entäußerung ist näher an Schiller als alles, was man zuletzt an Einschlägigem zu sehen bekommen hat.

© Andreas Pohlmann/Resitenztheater Als Martha in "Virginia Woolf" mit Norman Hacker am Burgtheater

Man wird das nicht so bald vergessen: wie Elisabeth, die doch alle Trümpfe bis zur Auslöschung der Gegnerin in der Hand hält, geschlagen, zerstört, im Zustand fassungsloser Demütigung auf dem Boden kriecht. Diese vom Geschichtsklischee so benannte jungfräuliche Königin ist hier eine vor Sehnsucht brennende, begehrenswerte Frau. Aber die Gegnerin, der Birgit Minichmayr ein Gesicht von selbstverleugnender Hässlicheit gibt, ist hinter aller Verwüstung die Stärkere auch in den weiblichen Disziplinen.

Das Versagen der Politik

Die Salzburger Premiere am 14. August war für Bibiana Beglau der erste Auftritt vor Publikum seit den Monaten der Sperre. Es ging ihr besser als anderen, sie hatte genug zu tun, drehte den Film "Wann kommst Du meine Wunden küssen", übte sich mit Hörspielprojekten in die Welt der Sicherheitsabstände, Masken und Mikrofonfolien ein und war nicht vom Prekariat bedroht wie die Freunde, die sich umschulen mussten und jetzt als Mediatoren für Gruppenseminare arbeiten.

»Wir Kulturschaffende waren erstaunt, für wie unwichtig die Kultur eingeschätzt wird«

Aber in deren Namen ist sie zornig. "Ja, wir Kulturschaffende waren erstaunt und erschrocken, für wie unwichtig die Kultur für die Gesellschaft von der Politik eingeschätzt wurde und mir wird schwindlig, wenn ich nochmal die Relevanz-Frage gestellt bekomme. Kunst und Kultur ist geistiger Sauerstoff, ohne sie verroht die Gesellschaft." Einen anderen Umgang mit der Kultur seitens der Regierenden hätte sie sich erwartet, fährt sie fort. Als plötzlich die Fußballspiele anfingen und die Theater geschlossen blieben, da verstand sie die Welt nicht mehr, bei all den vorzüglich greifenden Präventionskonzepten, die niemanden interessierten.

Nie wieder dürfe so etwas geschehen. Schon um des Publikums auf der klimatisch eigenwilligen Salzburger Pernerinsel willen. "Man wusste gar nicht, wem man applaudieren sollte. Wir auf der Bühne hatten doch Luft zum Atmen, aber das Publikum im ausverkauften Haus saß ganz diszipliniert bei 32 Grad mit FFP2-Masken ohne einen Funken Sauerstoff, und keiner hat das Ding unter die Nase gezogen."

Langsame Ankunft

Den Riesenpacken, den sie quasi als Frontfrau im neuen Burgtheater-Ensemble zu schultern hat, spüre sie noch nicht, auch fehle ihr jedes Bedürfnis, ein Star zu sein: "Bühnenkunst ist nur im Ensemble zu bestreiten, und neben mir spielt ein wirklicher Burgtheater-Star", erklärt sie Birgit Minichmayr die Zuneigung.

Zumal die Pandemie das Heimischwerden in Wien unterbrochen hat. Nach wie vor lebt sie aus persönlichen Gründen in Berlin, aber die Wiener Wohnung steht bereit, wenn hier viel zu spielen ist. Anfangs betraf das zwei markante Übernahmen aus München, "Wer hat Angst vor Virginia Woolf" und "Faust", beide in Kusej-inszenierungen wie alles, was sie bis zur Stunde am Haus zu tun bekam.

Ihr Mephisto wurde als Atout gefeiert. Ein teuflisch wohlgelaunter, ordinärer, aber hoch erotischer Versucher war das, mit nadelscharf geschliffenen Verführungskrallen. Und Albees nicht mehr auf der Höhe der psychiatrischen Erkenntnisse stehende Familienhölle kam in der Stadt, die einst Sigmund Freud vertrieben hat, noch besser an als in München. Die tragisch alternde Upper-class-Hausfrau Martha "wurde in Wien anders gelesen als in München, das fand ich aufregend", dankt sie der österreichischen Seele. "Der Schmerz, der Selbsthass, die in dieser Figur liegen, hatte in Wien ein ein milderes Echo im Publikum gefunden. In Wien schien das Publikum vielleicht weniger Angst vor einer verkrüppelten und in Not geratenen Seele zu haben."

Wien als Biotop besonders sensibler Gemüter? Das hat uns schon lang keiner gesagt. "Man merkt sensiblen Menschen ihre Sensibilität nicht immer an. Jedenfalls gibt es für bestimmte Schmerzpunkte in Wien ein anderes Verständnis."

Ein von niemandem bestrittener Schmerzpunkt war Kusejs erste Neuproduktion im Amt, Kleists "Hermannsschlacht", mit der Peymann einst seinen Mythos befestigte. Der arme Mann, der Gert Voss den Titel-Cherusker hinterherspielen musste, ging unter. Aber Bibiana Beglau behauptete sich furios auf Kirsten Denes Spuren.

Frisuren und Gesäße

Und jetzt die "Stuart", die nach erprobter Salzburger Übung grenzsurreale Debatten nach sich zog. Hatte man sich schon zuvor über die Frisur der Buhlschaft entzweit, so war es diesfalls das sehr runde Dutzend Herrengesäße, das Kusej an Stelle eines Bühnenbilds als Symbol männlicher Dominanz auf die Szene wuchtete. Eine Unsinnsdiskussion in Zeiten allseits zugänglicher Internet-Pornographie, von den Heerscharen nackter Leiber im Museum nicht zu reden, erheitert sich Bibiana Beglau. "Der nackte Körper wird offenbar als Bedrohung angesehen, wenn er live vor einem steht. Nun ja, und ebenso absurd ist für mich eine Diskussion über lange oder kurze Haare oder Vollbusigkeit oder kleine knackige Apfelsinenbrüste."

»Wenn das Werk eines großen Künstlers wirklich groß ist, darf er dann eine menschliche Sau sein?«

Dass das Publikum nach der Pandemie nicht ins Theater zurückfinden könnte, befürchtet sie nicht. "Das Theaterpublikum ist Teil einer Life-Kultur, nach der die Leute gehungert haben. Ja, die Karten sind teuer. Aber deshalb müssen wir uns für jede Vorstellung so bemühen, dass auch der, der sich die Karte vom Mund abgespart hat, das Äußerste an Qualität bekommt." Nie fügt sie hinzu, dürfe man nachlassen, den "wertvollen Moment" zu erzeugen."

Klar, dass sich das Gespräch bald ins Politische wendet: Bibiana Beglau, als Tochter eines Grenzbeamten und einer Krankschwester in bodennahe Braunschweiger Verhältnisse geboren, reibt ohne Furcht gegen Unrecht auf. Gleich, ob es sich im Theaterbetrieb oder auf der von Tragödien antiken Ausmaßes eingenommenen Weltbühne ereignet.

Nicht nur depperte Nazis

"Ich bin", beantwortet sie die Frage nach der österreichischen Flüchtlingspolitik, "kein Kind des Landes und habe mich als Gast zu verhalten. Aber weil wir ein Europa sind, schauen wir als aufgeklärte Menschen auf das Allgemeine in den Koordinaten von Europa. Und vor allem auf den Rechtsruck in einer Gesellschaft, der die Kultur sehr betrifft. In Deutschland ist das die AfD, die eine 'reine' Kultur fordert, weil ihnen die Bühnenkünstler und Filmemacher alle zu Links erscheinen."

Und argumentiere keiner, in Deutschland repräsentierten bloß ein paar "depperte Nazis" die Flüchtlingspolitik, die in Österreich Regierungslinie ist. "Leider sind das bei uns nicht nur ein paar depperte Nazis, sondern es ist über Generationen in unsere Gesellschaft hineingewachsen und schon in der Polizei und einer Gerichtsbarkeit eingeschrieben, wo es nicht mehr zu Verurteilungen von extremen Rechtsbrüchen kommt. Und ja", fügt sie hinzu, "Sie mögen recht haben, wenn Sie auf die österreichische Regierung verweisen."

Ihre verletzungsgefährliche Selbstentäußerung auf der Bühne wurde viel bewundert. Das habe mit der Suche nach dem "inneren Menschen" zu tun, seiner Wesenhaftigkeit, bestätigt sie. Wenn sie, als Elisabeth von der Demütigung auf alle Viere gezwungen, von der Bühne kriecht oder sich wie ein Kind versteckt: Dann, so sagt sie, spiele sie keine Königin. Sondern den Menschen, "der innen drinnen ist".

Korrektheitsdiktate?

Sie hat dabei vielfach, auf der Bühne wie im Film, Körper und Seele entblößt. Kunst sei prinzipiell grenzenlos, sagt sie. Man müsse nur Argumentiertes von Unsinn unterscheiden, dann sei fast alles erlaubt.

Widerspricht das nicht dem gouvernantenhaft moralisierenden Korrektheitsdiktat, das künstlerisches Mittelmaß nahezu erzwingt? Gut finde sie es, dass in einer von künstlerischem Gehorsam geprägten Theaterlandschaft nicht mehr alles zulässig sei, entgegnet sie da. "Ich möchte sagen können: Es beleidigt mich, wenn auf der Probe so mit mir gesprochen wird. Ich will nicht so angesehen und angesprochen werden. Ich akzeptiere das nicht. Oder auch die Rassismusfrage in der Literatur", holt sie weiter aus. "Was tun, wenn das Stück von Koltés ,Kampf des Negers und der Hunde' heißt? Ich weiß die Antwort nicht, aber diese Fragen werden schwer diskutiert."

Die Sache mit der Sau

Wenn aber Peter Zadek, einer der größten Regisseure der Theatergeschichte, historische Resultate mit schierer Unmenschlichkeit erzielt hat? "Die Regisseure sollen Menschlichkeit lernen. Das asoziale Herumpoltern der alten weißen Herren wird immer weniger akzeptiert. Wir möchten eine andere Sprache. Es kann nicht sein, dass wir uns auf der Bühne für eine gerechtere, menschlichere Welt erklären und in unseren eigenen Reihen Drucksituationen, Frechheiten, Rassismen, Homophobie, Frauenfeindlichkeiten durchdekliniert werden. Aber", unterbricht sie sich, "wenn das Werk eines Künstlers wirklich groß ist - es gibt ja bekannte Größen -, ist es ihm dann erlaubt, eine menschliche Sau zu sein und andere Menschen in die Verzweiflung zu treiben? Ich stelle mir diese Frage dauernd."

© ©Matthias Horn/Salzburger Festspiele Umzingelt von Männergewalt: Elisabeth am Rand des Zusammenbruchs

Und Frank Castorf, mit dem sie an der Berliner Volksbühne und am Münchner Residenztheater die Schmerzgrenzen des Berufs erkundete? Der wisse sich wohl zu benehmen, tritt sie für den genialen Wüterich ein. "Ich werde euch heute hetzen." So habe er herausfordernde Proben einbegleitet. "Das heißt: Um euch zu hetzen, brauche ich genau die gleiche Energie, die ihr gleich brauchen werdet, um euch gegen mich zu wehren. Sonst seid ihr nicht heiß und schnell genug, um vom 1. auf den 5. Akt zu kommen. Wenn ihr aber heiß seid, Hass und Liebe entwickelt und euch wehrt, muss ich die gleiche Energie hineinschmeißen wie ihr. Heute wird so eine Probe sein, also passt auf, dass ihr euch nicht verletzt." Angenehm seien diese Endproben nie, räumt sie ein. Andererseits verteidige Castorf seine Schauspieler quasi mit dem eigenen Leben, indem er alle Aggressionen, des Publikums wie der Kritik, von ihnen ab auf sich lenke.

Jetzt wäre die nächste Arbeit mit ihm angestanden, Handkes "Zdenek Adamec" am Burgtheater. Die chaotischen Verschiebungen in der Pandemie haben das unmöglich gemacht. Dafür kommt Poes "Der Untergang des Hauses Usher", inszeniert von Barbara Frey.

Noch etwas, bevor über dem animierenden Gespräch der Vorhang fällt? Ja, eine Bewunderungsbekundung. "Ich verehre Elfriede Jelinek, mein Traum wäre, dass ich den Mut zusammennehme und sie einmal treffen kann. Ich kenne ihre Arbeit seit meiner Jugend. Sie ist eine Scharfzieherin in ihrer Beobachtung, in ihren Gedankengängen. Ein Geschenk."

Sagt eine, die selbst dem Füllhorn entstiegen ist.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich im News 35/2021.