"Mich gibt es nur einmal
- jeder sollte so denken"

Psychologe Georg Fraberger kam ohne Beine und Arme zur Welt

Georg Fraberger kennt die Ursache für seine Behinderung nicht, sie sei jedenfalls nicht genetisch. Er selbst ist zum zweiten Mal verheiratet und kürzlich zum fünften Mal Vater geworden. In Wien führt der Psychologe seit 15 Jahren eine eigene Praxis. Im Zuge seiner Arbeit beschäftigt er sich intensiv mit dem "Konzept Lebensqualität". Wir baten ihn zum Interview.

von Bewegendes Schicksal - "Mich gibt es nur einmal
- jeder sollte so denken" © Bild: Georg Fraberger/privat

Georg Fraberger kam mit denkbar schlechten Voraussetzungen zur Welt. Von Geburt an muss er das Leben ohne Arme und Beine meistern. Den Grund für seine körperliche Behindeurng kennt niemand - genetisch bedingt sei sie jedenfalls nicht.

Die Kraft der positiven Gedanken

Was für viele nach einem harten Schicksal klingt, sieht Fraberger sogar als Vorteil. Denn schon früh musste sich der 44-Jährige klinische Psychologe damit auseinandersetzen, auf was es im Leben wirklich ankommt und wie man seine Gedanken in die richtige Richtung steuert.

© Georg Fraberger/privat

Der Erfolg gibt ihm Recht: Nicht nur privat hat er sein Glück gefunden, auch beruflich steht er mitten im Leben. Fraberger führt seit 15 Jahren eine eigene Praxis und arbeitet seit zehn Jahren an der Orthopädie am Wiener AKH. Seit 2013 ist er zudem als Buchautor tätig.

Eine unerwartete Erfolgsgeschichte

Wie der fünffache Vater es geschafft hat, das Leben so positiv zu bewältigen, welche "AHA"-Erlebnisse es in seiner Kindheit gegeben hat und was Glück bedeutet verrät er im News-Interview.

News.at: Sicher haben Sie schon sehr viele Menschen gefragt, wie Sie mit ihrem Schicksal so gut umgehen lernen konnten und wie es Ihnen gelungen ist, ihre scheinbaren körperlichen Grenzen zu überwinden. Kommt es dabei eher auf die innere Einstellung an oder doch mehr auf das Umfeld?

Georg Fraberger: Ich denke es kommt vor allem darauf an, wie wir über unser Umfeld denken. Deshalb war es für mich wichtig, dass ich mich von der Bewertung meiner Umwelt unabhängig mache. In der Psychologie gibt es zum Beispiel die große Frage: Ist eine Depression eine Krankheit oder ist sie eine gesunde Reaktion auf eine kranke Umwelt? Das Schwierige ist: Die Umwelt kann ich nie ändern. Mich selbst aber schon.

»Die Umwelt kann ich nie ändern. Mich selbst aber schon.«

Sie sind Psychologe, Keynote-Speaker und Autor. Sind zum zweiten Mal verheiratet und haben fünf Kinder. Sie führen offenbar ein wirklich erfülltes Leben. Woher kommen Ihre innere Motivation und ihre Lebensfreude?

Ich habe für mich etwas wichtiges erkannt. Für das Glück brauche ich keine zwei Beine oder zwei Hände. Für das Glück ist etwas anderes da. Dass ich einen Sinn im Leben finde, auch wenn ich den nicht von Anfang an gemocht habe. Denn eigentlich wollte ich als Kind kein Psychologe werden. Doch diese Aufgabe konnte ich mit meinem Körper am besten vereinbaren. Und so konnte ich mein Schicksal annehmen.

Was wäre denn Ihr Traumberuf gewesen?

Wahrscheinlich die Berufsgruppe, die genau das selbe macht. Nämlich die der Juristen. Denn auch zum Juristen kommen die Menschen mit ihren Sorgen. Hier wird die Gerechtigkeit im Außen gesucht, die Psychologie sucht die Gerechtigkeit im Inneren. Ein Jurist verdient halt ein bisschen mehr als ein Psychologe. (lacht)

© Georg Fraberger/privat

Wie wichtig ist Erfolg im Leben?

Dieses Bild vom Erfolg muss man immer hinterfragen. Bedeutet Erfolg für mich 16 Stunden am Tag zu arbeiten? Oder genügen vier Stunden am Tag? Und stattdessen kann ich vier Stunden mit der Familie verbringen oder habe Zeit für Hobbys. Muss ich dafür viel Geld haben, oder nicht? Wie ich selbst von den Dingen denke, das ist das Entscheidende.

»Die meisten Menschen denken in einem Mangel: 'Ich habe keine Zeit. Ich muss mehr arbeiten. Ich brauche mehr Geld.'«

Aber die meisten Menschen denken in einem Mangel. 'Ich habe keine Zeit. Ich muss mehr arbeiten. Ich brauche mehr Geld. Ich muss meinen Freunden hinterherlaufen.' Ich persönlich lasse mir meine Energie nicht von diesem "Mangeldenken" nehmen. Das hier und jetzt ist wichtig.

Sie machen vielen Menschen Mut. Gab es bei Ihnen ein persönliches AHA-Erlebnis, das sie aus einer Lebenskrise geführt hat.

In der Kindheit weiß ich, hatte ich dieses AHA-Erlebnis, als meine Brüder die Fahrräder bekommen haben. Das hat mich schwer getroffen. Denn dieser Quantensprung an Geschwindigkeit war mit dem Rollstuhl nicht mehr einzuholen. Die Phase der Trauer hat so lange gedauert, bis ich einen Fotoapparat bekommen habe. Ich war dabei, ich habe fotografiert, ich zeige was die machen - ich habe damit meinen Platz gefunden dadurch. Das zweite AHA-Erlebnis hatte mit 25 durch die Liebe. Denn damals habe ich meine Eifersucht überwunden, indem ich mir gedacht habe: 'So einen wie mich kriegt sie nie wieder, mich gibt es nur einmal.' Und genau so müsste jeder denken, dann wird es im Leben gelassener.

»Eine teure Uhr macht mich nicht eleganter. Ich kann auch ohne sie elegant sein. «

Wie lange hat es gedauert, bis Sie ihre Situation akzeptiert haben und es Ihnen gelungen ist nach vorne zu blicken?

Das ist ein ständiger Prozess, der sich immer wieder zeigt. Für mich war es wichtig zu erkennen, dass materielle Dinge nicht wichtig sind. Eine teuere Uhr macht mich nicht eleganter. Ich kann auch ohne sie elegant sein. Auch Äußerlichkeiten zählen nicht. Viel wichtiger ist, dass man Spaß hat, bei dem was man tut.

In einem Interview haben Sie einmal gesagt, Ihre Behinderung ist sehr oft vor allem ein Problem für die anderen. Was genau meinen Sie damit?

Ich wurde schon gefragt, wie ich überhaupt reden kann oder ob ich am Abend immer Milch trinke, damit ich einschlafen kann. Viele können sich überhaupt nicht vorstellen, dass man ein relativ normales Leben führen kann. Natürlich ist es mit einem Mehraufwand verbunden. Ich brauche viel Hilfe von meiner Frau und Assistenten. Für eine Beziehung ist es aber auch ein Vorteil, weil wir alle Leiden gemeinsam durchmachen.

Sie sind begeisterter Autofahrer. Was steckt dahinter?

Dieses frei bewegen und ohne Anstrengung Geschwindigkeit zu bekommen, das mag ich sehr - aber Raser bin ich keiner. Ich fahre einen Kastenwagen, wo der Rollstuhl reinpasst. Ein Tesla wäre natürlich ein Traum, denn ohne Emissionen zu fahren, bedeutet für mich ohne schlechtem Gewissen zufahren.

© Georg Fraberger/privat

Ihre Eltern haben bei Ihnen offenbar einiges richtig gemacht. Was sind das die Zutaten für eine gelungene Erziehung?

Man sollte die Kinder nicht zu sehr schonen. Mit der Behinderung lernt man schnell: Jeder Mensch ist zwar gleich viel wert, aber nicht jeder Mensch ist gleich. Diese Erfahrung tut weh. Trotzdem ist es ist für Kinder wichtig, dass sie akzeptieren, dass es jemanden gibt, der besser ist und mehr Talent hat.
Es soll aber niemals ein Leistungskampf daraus werden. Anstatt zu sagen 'Streng dich mehr an' sollten Eltern sagen 'Streng dich so weit an bis du nicht mehr kannst'- und einfach akzeptieren was dabei rauskommt. Das nimmt unheimlich viel Druck.

»Wir leben heute viel mehr in der Angst, dass etwas passiert.«

Warum scheint die Kindererziehung viele Eltern immer mehr zur überfordern?

Wir und auch unsere Kinder leben heute viel mehr in der Angst, dass etwas passiert. Der Druck kommt aber nicht nur von den Eltern, sondern auch von außen. Darüber hinaus wird vieles als feige dargestellt und ins lächerliche gezogen. Ein schwieriges Umfeld für eine unbeschwerte Erziehung.

Ihr neuestes Buch heißt „Wie werde ich Ich - Zwischen Körper, Verstand und Herz“. Erzählen Sie mir etwas darüber.

Die Quintessenz ist die Frage: Wem gebe ich denn die Verantwortung für mein Ich? Wenn man sich unwohl fühlt - im Elternhaus oder im Büro - dann sucht man jemanden der schuld daran ist. Zb: Die Mutter oder den Chef. Sie sind ist schuld daran, dass ich Bauchweh habe. Wir geben oft anderen die Schuld und machen sie verantwortlich für unser Gefühl.

»Jedes Gefühl entsteht im eigenen Körper«

Ich denke es ist wichtig klarzustellen: Jedes Gefühl entsteht im eigenen Körper! Das Buch soll Mut machen eigene Entscheidungen zu treffen, Mut machen auch nicht gemocht zu werden. Man muss man auch nein sagen können. Hauptsache man geht seinen eigenen Weg, natürlich stets ohne jemand anderen wirklich zu schaden.

Gibt es eine Art Leitfaden, wie man sein wahres Ich findet?

Die Seele ist der Kompass und die Gefühle sind der Leitfaden. Bei Gefühlen gibt es kein richtig oder falsch. Es ist nur die Frage: Gehe ich in die Qual oder gehe ich in die Freiheit. Und das Buch soll dabei helfen zu erkennen, dass es keine falsche Entscheidung gibt, sondern nur sehr unangenehme.

Zum Abschluss möchte ich noch der britischen Astrophysiker Stephen Hawking zitieren: „Meiner Meinung nach sollten sich behinderte Menschen auf die Dinge konzentrieren, die ihnen möglich sind, statt solchen hinterher zu trauern, die ihnen nicht möglich sind." Sehen Sie das auch so?

Genau das denke ich auch. Und es trifft für alle Menschen zu. Denn wenn ich mich auf etwas konzentriere was nicht möglich ist, dann bin ich wieder im Mangeldenken. Dann sehe ich ja nur, was ein anderer kann, der das Talent dazu hat.

Zur Person

Georg Fraberger (44) ist klinischer Psychologe und arbeitet seit zehn Jahren im AKH in Wien. Der geborene Oberösterreicher kam ohne Arme und Beine zur Welt. Nach der Matura ging er zum Studium nach Wien, promovierte 2007. Seit 2013 ist er als Buchautor ("Ohne Leib mit Seele", "Ein ziemlich gutes Leben", "Ich verstehe dich" und "Wie werde ich Ich: Zwischen Körper, Verstand und Herz"). Zudem ist er als Coach und Keynote-Speaker tätig. Er ist verheiratet, hat fünf Kinder und ist ein begeisterter Autofahrer.