Leben
Hier und anderswo
Spitzentöne: Heinz Sichrovsky über die Erzeugung und Wirkung von Kulturskandalen
Kulturskandale lassen sich bekanntlich nicht erzeugen, jedenfalls nicht von Künstlern. Je lauter einer brüllt, was er den bourgeoisen Schweinen im Zuschauerraum nicht alles zugedacht hat, desto sicherer langweilt die erkennbare Absicht. Selbst der „Heldenplatz"-Tumult vor 27 Jahren war kein Kunst-, sondern ein Medienskandal, generiert durch die „Kronen Zeitung“, die Bernhards Emigrantenkomödie mittels Hochrechnung von Textzitaten als nationales Schandprodukt kampagnisierte. Praktisch alle Parteien zeterten aus Opportunismus mit. Sie haben aus der Blamage gelernt und deklarieren seither ihre generelle Nichtzukenntnisnahme der Kunst als Bekenntnis zu deren Freiheit. Dass Kunst in die Gesellschaft wirken könnte, ist ein Traum, den nicht einmal mehr Naive träumen. In autoritären Systemen aber hatte man stets ein waches Auge auf die Künstler, und daran ändert sich nichts: In Ungarn werden Kulturschaffende kujoniert, und zuletzt randalierte vor dem Theater von Breslau ein Mob gegen Elfriede Jelineks „Prinzessinnendramen“. Die Empörung wird von der neuen rechtsnationalen Regierung Polens gesteuert. Man fordert die Absetzung der vorgeblich pornografischen Produktion, weil man die gesellschaftspolitische Wut der Nobelpreisträgerin als ansteckungsgefährlich erkannt hat. Das Dilemma zwischen Wirkungslosigkeit und Verfolgung aber bleibt unlösbar.