Leben
Wer das Funkhaus braucht
Erklärungsversuch von Wolfgang Kralicek: Warum der Verkauf des Funkhauses aufregt
Man stelle sich vor, die katholische Kirche gäbe bekannt, dass der Stephansdom profaniert wird. Ein ähnliches Sakrileg hat in den Augen vieler Künstler und Intellektueller der ORF mit seinem Beschluss begangen, das Funkhaus in der Argentinierstraße zu verkaufen und die Redaktionen von Ö1 und FM4 auf den Küniglberg zu übersiedeln. Zuletzt ließ sich der Schriftsteller Robert Menasse für ein Foto sogar ans Funkhaus ketten; die Entscheidung des ORF sei „geistesgestört“, ließ er wissen. Gefühlsmäßig hat er damit vollkommen recht, rational fällt die Begründung schwerer. Das Hauptargument der Funkhausretter lautet: Nur in den ehrwürdigen Studios des Holzmeister-Baus aus den 30er-Jahren könne Ö1 sein Niveau halten. Genius Loci gut und schön, aber man wird schon sehr feine Ohren haben müssen, um das herauszuhören; gute Journalisten mussten schon unter widrigeren Bedingungen arbeiten. In Wahrheit ist es umgekehrt: Nicht die Journalisten brauchen das Funkhaus, sondern das Funkhaus braucht die Journalisten. Das grandiose Gebäude ist zwar denkmalgeschützt, ohne Radiomacher aber wäre es tot wie eine Kirche ohne Gläubige. Auch den Stephansdom würde man heute vielleicht an anderer Stelle errichten. Aber er steht halt da, wo er steht. So wie das Funkhaus. Lasset uns beten.