Warum ist er glücklich und trotzdem untreu?

Johann schwört, dass er Rosa liebt und keine andere. Aber dennoch flirtet er bei jeder Gelegenheit und geht fremd. Warum haben Menschen, die glücklich gebunden sind, Flirten und Sex mit anderen überhaupt nötig?

von Liebes Leben - Warum ist er glücklich und trotzdem untreu? © Bild: Nathan Murrell

Vor allem Menschen mit gewissen Persönlichkeitsstörungen wie Borderline wird nachgesagt, dass sie nicht bindungsfähig sind und selbst bei bestehenden Partnerschaften sexuelle Eskapaden mit Dritten suchen. Psychologisch kann das als Wiederholung eines Traumas gedeutet werden – einer in der Vergangenheit erfolgten seelischen Erschütterung.

Johann flirtet notorisch aus Unsicherheit, um sein schwaches Selbstwertgefühl wie einen Akku immer wieder aufzuladen. Er leidet an chronischen Selbstzweifeln, ob er es überhaupt verdient hat, geliebt zu werden. Seine fehlende Selbstakzeptanz ist die Folge mangelnder positiver Spiegelung in der Kindheit und Jugend. So wie im Film "Und ewig grüßt das Murmeltier" ist es auch hier: Kaum hat ihm ein Flirt gespiegelt, was für ein "geiler Hecht" er ist, verliert er auch schon wieder den Glauben an sich und seine Anziehungskraft. Und sucht wie ein Vampir bei der nächsten Affäre nach frischem Blut und Honeymoon-Atmosphäre.

Auch Michelle wechselt ihre Partner und hat bis zu drei zugleich. Komischerweise findet sie Männer, die sie verwöhnen und wertschätzen würden, eher abschreckend und schwach. Sie fühlt sich hingegen magisch zu jenen hingezogen, die sie erbärmlich behandeln. Michelle leidet an einem ähnlich schlechten Selbstwertgefühl wie Johann. Was läuft bei diesen beiden falsch?

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Zuerst Johann: Er liebt Rosa, aber er betrügt sie und macht das sogar erschreckend offen. Er nimmt Rosas Leid in Kauf, entschuldigt sich immer wieder bei ihr, aber stellt ihr Vertrauen hart auf die Probe und setzt dabei alles aufs Spiel. So emotionslos hatte Johann seine Mutter nach der Scheidung vom Vater erlebt, als sich ihre Liebhaber die Türklinke in die Hand gaben. Nun traut er dem Braten nicht und ergreift "die Flucht nach vorne", indem er fremdgeht, um nicht von Rosa verletzt zu werden. Sein Vertrauen in enge Bezugspersonen ist durch die frühkindliche Traumatisierung und daraus hervorgehende Verlustängste erschüttert. Johann kämpft gegen einen unsichtbaren Feind: Die Angst, "nicht gut genug" zu sein, zurückgewiesen und verlassen zu werden. Seiner Mutter waren ihre wechselnden Partner gefühlt wichtiger als ihr Sohn.

Und Michelle? Auch ihr ist klar, dass sie einen liebevollen Partner verdient hätte. Dennoch bestraft auch sie sich unbewusst mit ihrem Verhalten dafür, "nicht gut genug" zu sein. Auch ihr wurde dieses Minderwertigkeitsgefühl durch die Ignoranz ihrer Eltern vermittelt, das tagelange Schweigen ihrer Mutter, das vernichtend war. Der Rechtsphilosoph Peter Strasser hat den Begriff einer "Geborgenheit im Schlechten" geprägt, die dazu führt, dass wir die Gefangenschaft in alten Verhaltensmustern der unbekannten Freiheit vorziehen.

Was können Menschen tun, die ein fragmentiertes Selbstwertgefühl haben und von einem Flirt zum nächsten jagen, um sich positiv aufzuladen? In einer Psychotherapie lernen Betroffene, ihre negativen Glaubenssätze über sich selbst in positive Überzeugungen zu verwandeln. Das gelingt nur prozesshaft, nicht über Nacht, da diese toxischen Glaubenssätze lang die Oberhand hatten. Selbstachtsamkeitstraining hilft bei der Entwicklung eines neuen Selbstbildes mit neuen Glaubenssätzen in der Art von: "Ich bin, wie ich bin, in Ordnung." Und: "Ich habe alles Glück der Welt verdient."

Prof. Mag. Dr. Monika D. Wogrolly, Philosophin und Psychotherapeutin
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