Hat sie so wenig Sex mit ihrem Mann, weil er vielleicht schwul ist?

Bianca erzählt, dass sie in der Jugend Geralds beste Freundin gewesen sei. Als ihre Freundschaft in Liebe umschlug, waren sie Mitte zwanzig. Jetzt, zwei Jahrzehnte später, ist das Liebesleben fast nicht mehr vorhanden.

von Dr. Monika Wogrolly © Bild: Matt Observe/News

Ihr mache das gar nichts aus, sagt Bianca. Sie fragt sich aber doch, wohin Geralds sexuelles Begehren verschwunden sei. Und dann entdeckt sie eines Tages auf Geralds Tablet Schwulenporno. "Vielleicht steht mein Mann gar nicht auf Frauen?", eröffnet Bianca das Erstgespräch ihrer Sexualtherapie mit Gerald. An den Vorwürfen, er könne auf Männer stehen, sei nichts dran, sagt er. Gerald stellt gleich eingangs klar, er sei nur seiner Ehe zuliebe hier, da ihm seine Frau wegen ihrer einschlägigen Entdeckung mit dem Verlassen gedroht habe. Von "Psychokram" halte er im Grunde nicht viel. Wie sollte ihnen eine fremde Person Ratschläge geben, die sie ja gar nicht kennen würde? "Oder was ist das für ein Hokuspokus?" Ich kläre auf: Psychotherapie ist ein prozesshaftes Geschehen zwischen einer und einer weiteren oder auch mehreren Personen, die sich darauf geeinigt haben, einen Konflikt konstruktiv sichtbar zu machen und im besten Fall zu lösen. Es geht aber zuallererst um Vertrauensaufbau.

Vertrauen ist ein zartes Pflänzchen, das man nicht gewaltsam aus der Erde ziehen und so im Wachstum beschleunigen kann. Daher gehört eine ordentliche Portion Geduld zu jeder Therapie. Ab der dritten Sitzung vertraut mir Gerald. Aber nicht mehr seiner Frau, die er vorher hinausbittet, ehe er sich mitteilen kann: "Ich werde von meiner Frau aufs Schwulsein festgeschrieben", sagt er, "Und alles nur, weil sie Antworten sucht, seit ich nicht mehr so viel Lust habe wie früher." Wobei der Sex in ihrer Beziehung schön war, aber nie eine tragende Rolle spielte.

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Der Hintergrund: Bei diesem Paar wurde aus Freundschaft mehr. Und geht es in der Paartherapie in der Folge nicht nur um das Vertrauen in eine Sexualtherapie, sondern grundsätzlich um Vertrauen und Nähe. Was geschieht in dieser Ehe? Eine Vermeidung von Nähe, die äußerst abwertend ist, wenn Bianca ihrem Mann nicht mehr zuhört. Und wenn sie ihn nicht ernst nimmt, obwohl er ihr versichert, weder homosexuell noch impotent zu sein. Und Bianca? Für sie ist das eine Schutzbehauptung von Gerald. Biancas Motiv, die chronische Sexflaute mit seiner verdeckten Homosexualität zu erklären: Sie selbst ist ziemlich lustlos geworden und gibt schließlich zu, das Interesse an Sex sei ihr schleichend abhandengekommen.

Und hier die Rettungsstrategien für diese Liebe im Wachkoma, wenn man sich eigentlich liebt, aber irgendwie nicht mehr kommunizieren kann, ohne gleich emotional zu entgleisen:

Unterlassen Sie Vorwürfe und Schutzbehauptungen.

Hören Sie Ihrem Partner wieder zu, anstatt schon vorher alles zu wissen.

Nur weil jemand einen Schwulenporno guckt, ist das noch kein Outing. Oder weil jemand eine sexuelle Abstinenzphase hat, muss dahinter keine Frigidität oder Impotenz stecken. Bianca hat die "Flucht nach vorn" angetreten und das Worst-Case-Szenario vorweggenommen, in Panik, Gerald könne auf Männer stehen, gar keine andere Möglichkeit mehr zugelassen. Suchen Sie bitte in so einem Fall lieber das Gespräch, wenn Sie beispielsweise verstörende Anzeichen finden oder frappierende Entdeckungen machen. Gerald hatte aus purer Neugierde den Porno geguckt und gibt in der Therapie zu, dass ihn manches davon durchaus inspirieren würde, aber nie und nimmer mit einem Mann. Und er stehe nur auf Bianca. Bianca rastet fast aus, als sie das hört. Das sei moralischer Betrug. Auch Selbstbefriedigung gehöre sich nicht in einer intakten Beziehung. "Aber bei uns ist gar nichts mehr intakt", wettert Bianca.

Die Lösung: Ein Comeback des Vertrauens! Und eine Rückkehr von Achtsamkeit, Wertschätzung und Dialogfähigkeit. Paare wie dieses sind innerlich ausgebrannt und lagern ihren Frust über das fehlende Feuer der Liebe auf den anderen aus, anstatt konstruktiv Beziehungsarbeit zu leisten. Daher lieber vorbeugend statt zu spät hinschauen, darüber reden und dem anderen Glauben schenken. Denn nur geduldiger Vertrauensaufbau kann die Liebe nach solchen Turbulenzen retten.

Prof. Mag. Dr. Monika D. Wogrolly, Philosophin und Psychotherapeutin
Haben Sie noch Fragen? Schreiben Sie mir bitte: praxis@wogrollymonika.at