Die Flickschusterin vom Ballhausplatz

Das Medienpaket ist sehr spezielle Gesetzesmaterie. Doch es offenbart Stärken und Schwächen dieser Regierung. Sie ist im Abarbeiten besser als ihr Ruf, aber für Krisenzeiten nicht gut genug. Susanne Raab, die Flickschusterin vom Ballhausplatz, verkörpert das.

von Medien & Menschen - Die Flickschusterin vom Ballhausplatz © Bild: Gleissfoto

Susanne Raab wirkt wie ein Glas, das halbleer oder halbvoll gesehen wird. Der Standort bestimmt den Standpunkt. Die Summe dieser Binsenweisheiten beschert diesem türkisen Restbestand in der Bundesregierung tiefe Verachtung via Twitter, weitgehende Ignoranz durch Medien und geringe Beachtung in der Bevölkerung. Ersteres ist Raab eher gleichgültig, das Zweite wahrscheinlich recht, das Dritte bloß ein Kollateralschaden. Als Mitgegangene von Sebastian Kurz ist sie Schlimmeres gewohnt. Und unendlich dankbar, dass sie weder mitgefangen noch mitgehangen wurde.

Es braucht wohl eine aus solcher Kombination erwachsende Nibelungentreue (Warum gibt es nur diesen zutiefst männlich geprägten Begriff für eine ebenso weibliche Eigenschaft?), um neben Frauen, Familie, Integration noch das Medienressort als Ministerin im Bundeskanzleramt zu übernehmen. Ein Himmelfahrtskommando, an dem seit den Reformen unter Franz Morak als Exekutor von Wolfgang Schüssel vier rote und zwei türkise Amtsvorgänger gescheitert sind: Doris Bures, Heidrun Silhavy, Josef Ostermayer, Thomas Drozda, Gernot Blümel und auch Kurz.

Abgesehen von ihm waren alle treue Diener ihrer Herren: Alfred Gusenbauer, Werner Faymann, Christian Kern und - erneut - Kurz, der die Materie zur Chefsache adelte bzw. degradierte. Denn was ganz an der Spitze angesiedelt ist, wird oft bloß ausgesessen (siehe Günther Platter als Tourismusreferent in Tirol). Die Kür von Raab für die vermeintliche Mission Impossible war also auch ein Signal von Karl Nehammer, in dieser Sache etwas weiterbringen zu wollen. Der Kanzler hat bestellt, die Ministerin geliefert: Drei der vier anstehenden Mediengesetze sind jetzt in Begutachtung - Journalismusförderung, genauere Vorschriften für Regierungswerbung und das Ende der Pflichtinserate im Amtsblatt der "Wiener Zeitung". Es fehlen nur noch die ORF-Neuregelungen.

Nach 20 Jahren Stillstand in neun Monaten ein Medienpaket: Aus diesem Blickwinkel erscheint das Glas halbvoll. Trotz postwendender Kritik an der Verstaatlichung journalistischer Ausbildung, dem Fehlen eines Ausgabendeckels für öffentliche Inserate und dem Todesstoß für die gedruckte Ausgabe der ältesten Tageszeitung der Welt. Es liegen zumindest konkrete Vorschläge auf dem Tisch. Raab hat erledigt, was die Lobbyisten übrig ließen. Das ist kein großer Wurf, aber ein Minimalkompromiss zu einigen demokratiepolitischen Notwendigkeiten, die schon seit vielen Regierungen überfällig sind.

Das Glas wirkt aber halbleer aus der Zukunftsperspektive: Es wird repariert, statt in Visionen strategisch investiert. Medienstandort Österreich 2030? Fehlanzeige. Während sich auf der Präsidentenseite des Wiener Ballhausplatzes Alexander Van der Bellen bis 2029 einrichtet, dominiert auf der Kanzlerflanke Kurzfristigkeit: Nehammer will bis zur spätestens 2024 drohenden Nationalratswahl noch möglichst viele Hausaufgaben erledigen. Mangels persönlicher Strahlkraft setzt er zusehends auf inhaltliche Teamarbeit. Da es an allen Ecken brennt, gilt jede Sachleistung abseits von Krisenkommunikation und/oder - bewältigung schon als kleines Wunder (oder soll wenigstens als solches verkauft werden).

Das Medienpaket ist nicht massenwirksam, doch wegen seiner wirtschaftlichen Wirkung auf wichtige Multiplikatoren ein bedeutender Teil einer Taktik der kleinen Schritte. Es offenbart allerdings auch die Schwäche der Regierung, und Susanne Raab verkörpert dieses Manko: bemüht, fleißig, lernfähig, aber ideologisch, leichtgewichtig und visionslos. Der Schönwettermodus lässt sich sogar mit solch einem Profil bewältigen. Deshalb hat Österreich schon einige derartige Regierungen überstanden. Für das aktuelle Krisenszenario und den enormen Reformstau braucht es mehr. Nicht nur im Mediensektor. Nicht erst morgen. Denn das ganz große Kristallglas, einst voller Zukunft Es ist fast leer.