Alte weiße Frauen

Iran und die Hilflosigkeit des westlichen Feminismus

von Peter Sichrovsky © Bild: News/Ricardo Herrgott

"Nach den anhaltenden Protesten im Iran signalisiert Annalena Baerbock Hilflosigkeit. Dabei hätte sie genügend Möglichkeiten, feministische Außenpolitik unter Beweis zu stellen", kommentiert die Deutsche Wochenzeitung 'Die Zeit' die Reaktion der deutschen Außenministerin. Einst plädierte sie, nicht nur ein "bisschen etwas für Frauen zu machen", sondern feministische Außenpolitik als neuen Grundsatz zu etablieren.

Sie war nicht alleine mit ihrer Zurückhaltung. Nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini, verhaftet von der Sittenpolizei, in einen Lieferwagen gesteckt und so hart geschlagen, dass sie ins Koma fiel und drei Tage später im Krankenhaus starb, forderten europäische Politiker und Politikerinnen Sanktionen gegen die iranische Regierung und beeilten sich, zwischen Verbrechen und Religion zu trennen.

Kopftuch

Vertreterinnen westlicher Frauenbewegungen gehen noch weiter mit der Relativierung: Der Kampf der Frauen gegen das Kopftuch sei vergleichbar mit dem Kampf westlicher Muslime, es tragen zu dürfen. Als hätten beide die gleichen Rechte und Möglichkeiten, ihre Interessen durchzusetzen.

Während Feministen stolpernd und stotternd Diskussionen über die Bedeutung des Kopftuches führen, veröffentlichte Seyed Moosavi, Repräsentant von Ali Khamenei, Oberster Führer des Irans, in Großbritannien: "Eine der Lehren des Islam ist Hijab, die Protestierenden sind daher Soldaten des Teufels, wir verteidigen unsere Religion gegen sie." So viel zum Gegensatz Kopftuch und Islam.

Die Organisation "Omas gegen Rechts" plädiert auf ihrer Web-Page für die Öffnung der Grenzen für Flüchtlinge und kündigt eine Demonstration gegen einen "Burschentag" in Wels an - was immer dort Böses geschehen mag. Den Weg zur Iranischen Botschaft haben sie noch nicht gefunden. Eine klare Positionierung im Internet fehlt. Ein Symbol für die fehlenden Reaktionen auf Verbrechen gegen Frauen in Gesellschaften mit islamischer Mehrheit und der innerfamiliären Diskriminierung in westlichen Ländern.

Apartheid

Dabei müssten Frauen in Demokratien den Frauen im Iran einfach nur zuhören. Laut Sprecherinnen der Bewegung im Iran geht es nicht nur um ein Kopftuch, es geht um Diktatur, Terror und Unterdrückung. Die Demonstrantinnen rufen "Tod dem Diktator","Frau, Leben, Freiheit" und Tausende Männer haben sich ihnen angeschlossen. Doch in westlichen Medien dominiert die vereinfachte Interpretation, Irans Frauen würden nur gerne das Kopftuch ablegen. Es werden Fotos gezeigt, wie Frauen demonstrativ die Tücher herunterreißen und ihre Haare zeigen. Spricht man mit Iranerinnen, so haben sie kein Problem mit der Kopfbedeckung, jedoch sehr wohl mit der Politisierung und brutalen Durchsetzung der Bekleidungsvorschriften, wenn sie als Mittel der physischen und psychischen Unterdrückung eingesetzt werden. Sie erwarten Solidarisierung westlicher Frauen, die sich vehement für das Recht einsetzen, eine Kopfbedeckung zu jeder Zeit an jedem Ort tragen zu dürfen -doch dem Kampf um das Recht, es abzunehmen, ausweichen.

Frauen im Iran werden durch eine "Gender-Apartheid" unterdrückt. Der Hijab ist ein Symbol der religiösen Sharia-Gesetzgebung und Teil der sexistischen Diskriminierung. Dazu zählt die Verheiratung minderjähriger Mädchen -31.379 Mädchen zwischen 10 und 14 Jahren wurden laut iranischer Behörden zwischen März 2020 und März 2021 verheiratet, um zehn Prozent mehr gegenüber dem Vorjahr. Das eingeschränkte Erziehungsrecht von Kindern bei Scheidung oder Tod des Partners, das Verbot, das Haus zu verlassen, eine Anstellung anzunehmen ohne Genehmigung des Vormunds, das unterschiedliche Erbrecht und Verbot des passiven Wahlrechts.

Die Frauen im Iran versuchen ihren westlichen Kolleginnen zu erklären, dass die Freiheit, Haare zu zeigen oder sie zu verbergen, die Kontrolle über ihren eigenen Körper symbolisiert, die ihnen verweigert wird. Sie bekämpfen das Verbot der Verschleierung ebenso wie die Verpflichtung dazu, und lehnen nicht den Islam als ihre Religion ab. Viele von ihnen sind gläubig und respektieren die traditionellen Gebräuche und Feste.

Rechte Parteien

Das zaghafte Reagieren und die Verharmlosung religiös motivierter, frauenfeindlicher Tendenzen durch linke Parteien hat politische Konsequenzen in Europa -es beeinflusst das Wahlverhalten der Frauen. Die Zuwächse rechter Parteien in den letzten Jahren gehen auf den immer größeren Anteil der Frauen unter den Wahlberechtigten zurück. Frauen wählen nicht nur mehr und mehr rechts, sie engagieren sich auch in rechten Parteien. Derzeit stehen europaweit zahlreiche Frauen an der Spitze von Parteien am rechten Rand des politischen Spektrums: Alice Weidel (AfD), Ana Brnabić (Serbische Fortschrittspartei), Marine Le Pen (Rassemblement National), Sylvi Listhaug (Fortschrittspartei Norwegen), Giorgia Meloni (Fratelli d'Italia).

Vor wenigen Jahren waren diese Parteien reine "Männerparteien". Jetzt steigt der Anteil der Wählerinnen von Jahr zu Jahr. Bei den letzten EU-Wahlen in Italien wurde die Partito Democratico zu 52,6 Prozent von Frauen gewählt. Bei der Fratelli d'Italia stieg der Wählerinnenanteil von 2013 bis 2019 von 37 auf 50 Prozent. Die Friedrich-Ebert-Stiftung in Deutschland kam zu dem Ergebnis, dass in Frankreich, Ungarn, Polen und Italien die Zustimmungswerte von Frauen gegenüber rechten Parteien kontinuierlich steigen und sie in manchen Parteien bereits die Mehrheit bilden.

Themen wie die Zuwanderung von großteils jungen Männern aus Regionen mit unterschiedlichem Frauenbild und Frauenfeindlichkeit sind von der Erwartungshaltung der Wählerinnen in Bezug auf familien-und frauenfreundliche Politik nicht mehr zu trennen. Wählerinnen fühlen sich verraten, ignoriert und zu wenig ernst genommen. Ihre Sorgen und Ängste, mögen sie teils irrational und unbegründet sein, werden auf moralischer Ebene verurteilt, als Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Islamophobie angeprangert.

Frauen aus dem Iran drängen eine Diskussion in den Vordergrund, der bisher ausgewichen wurde -inwieweit ist der Islam mit demokratischen Werten vereinbar. In Israel dienen muslimische Frauen in der Armee, London hat einen Muslim als Bürgermeister, der zu jüdischen Feiertagen Synagogen besucht, mit Shaquille O'Neal hat die US-Basketball-Liga einen der berühmtesten Spieler und der FC Liverpool mit dem Ägypter Mohamed Salah einen der besten Fußballspieler, beides Muslime.

Demokratie

Die westliche Welt hat sich Muslimen und Musliminnen geöffnet, die unser demokratisches Gesellschaftssystem anerkennen. Eine kollektive Diskriminierung, Behinderung, Ausschluss aus dem öffentlichen Leben finden nicht statt. Die selektive Begrenzung der Freiheiten kommt von innen, und dort von muslimischen Männern. Sie kontrollieren Frauen über den Körper der Frau, von der Kinderehe bis zum Verhüllungszwang. Neunjährige Mädchen werden im Iran von der Sittenpolizei attackiert, wenn sie den Hijab falsch tragen.

Während der Herrschaft von Mohammad Reza Pahlavi, dem Schah von Persien, war die Verhüllung verboten. Streng religiöse Frauen verließen oft ihre Häuser nicht. Jetzt werden Frauen von der Sittenpolizei verhaftet, wenn sie ihre Haare zeigen. Eine Diktatur löste die andere ab. Dagegen gehen Frauen im Iran auf die Straße, gegen jede Form der Bevormundung.

Freiheiten

"La ikraha fi din" heißt ein Gebot im Koran, was übersetzt bedeutet: "Es gibt keinen Zwang in einer Religion." Gleichzeitig gibt es keine zweite Religion, die derart aggressiv mit diskriminierenden Regeln die halbe Bevölkerung vom Alltag ausschließt. Die deutsche Lehrerin Fereshta Ludin hatte vor Gericht das Recht erstritten, das Kopftuch in der Schule tragen zu dürfen. Damals wurde sie als "Agentin Khomeinis" beschimpft und verhöhnt. Heute ist sie eine der wenigen muslimischen Frauen, die für die Rechte der Demonstrantinnen im Iran eintritt - weil sie scheinbar den Begriff "Freiheit" versteht und ihn nicht nur für sich benutzt.