100 Jahre Schwejk

Der ungewöhnlichste Antikriegsroman

von Peter Sichrovsky © Bild: News/Ricardo Herrgott

"Also sie ham uns den Ferdinand erschlagen", sagte die Bedienerin zu Herrn Schwejk, der vor Jahren den Militärdienst quittiert hatte, nachdem er von der militärärztlichen Kommission endgültig für blöd erklärt worden war und sich nun durch den Verkauf von Hunden, häßlichen, schlechtrassigen Scheusälern, ernährte, deren Stammbäume er fälschte.

Mit dieser Bemerkung über die Ermordung des Thronfolgers 1914 beginnt der weltweit bekannteste tschechische Roman, "Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk". Der Autor, Jaroslav Hašek, starb im Jänner 1923, bevor er den Roman zu Ende schreiben konnte, an Alkoholismus. Er war 39 Jahre alt. Das Buch endet mitten im Monolog des Leutnant Dub: "Patriotismus, Pflichttreue, Selbstüberwindung, das sind die richtigen Waffen im Krieg. Ich erinnere mich gerade heute daran, wo unsere Armee in absehbarer Zeit die Grenzen überschreiten wird."

Antiheld

Dazwischen die wunderbar beschriebenen humorvollen Erlebnisse eines militärischen Antihelden. Schwejk, der sich mit überraschender, oft irrationaler Logik gegen Beschimpfungen seiner Vorgesetzten und der Polizei verteidigt -"Ich wurde beim Militär wegen Blödheit superarbitriert und amtlich durch eine Spezialkommission zum Idioten erklärt. Ich bin ein amtlicher Idiot" - verhöhnt den Polizeistaat und die k. u. k. Armee der zerfallenden Monarchie und macht sie auf eine Art und Weise lächerlich, wie kein kritisches Werk es je geschafft hatte.

Während eines Interviews mit Militärärzten, die mit absurden Fragen versuchen, festzustellen, ob er ein Simulant oder Idiot sei, reagiert er mit einer Gegenfrage: "Ich selbst möcht' ihnen, meine Herren, auch ein Rätsel aufgeben: Es is ein dreistöckiges Haus, in diesem Haus sind in jedem Stock acht Fenster. Auf dem Dach sind zwei Giebel und zwei Kamine. In jedem Stock sind zwei Mieter. Und jetzt sagen Sie mir, meine Herrn, in welchem Jahr is dem Hausmeister seine Großmutter gestorben?" Als sie ihn in ein Irrenhaus sperren und nach wenigen Tagen wieder entlassen, weil er selbst dort die Verwaltung zur Verzweiflung treibt, beschreibt er diese Zeit: "Ich weiß wirklich nicht, warum die Narren sich ärgern, wenn man sie dort einsperrt. Man kann dort nackt auf der Erde kriechen, heulen wie ein Schakal, toben und beißen. Wenn man das irgendwo auf der Promenade machen möcht, möchten die Leute sich wundern, aber dort is es selbstverständlich! Dort gibt's so eine Freiheit, wie sich sie nicht mal die Sozialisten träumen lassen. Jeder hat dort sprechen können, was er gewollt hat und was ihm grad auf die Zunge gekommen is, wie wenn er im Parlament wär. Am wildesten war ein Herr, der sich für den 16. Band von Ottos Lexikon ausgegeben hat; der hat jeden gebeten, er soll ihn aufmachen und das Schlagwort 'Kartonagennäherin' finden, sonst is er verloren. Er hat sich erst beruhigt, wenn sie ihm die Zwangsjacke gegeben ham. Dann war er ruhig, weil er geglaubt hat, daß er in die Buchbinderpresse gekommen is."

Oberschulhilfslehrer

Der Autor, Jaroslav Hašek, war der Sohn eines Oberschulhilfslehrers, besuchte das Gymnasium, das er nach dem frühen Tod des Vaters, der wie sein Sohn Jaroslav an der Trinksucht verstarb, verlassen musste. Mit 17 Jahren veröffentlichte Hašek seine ersten Gedichte und Reiseskizzen, begann 1902 eine Ausbildung in der Prager Bank Slavia, verlor nach wenigen Monaten wegen "wiederholtem unentschuldigtem Fernbleiben" diese Anstellung und beschloss, Schriftsteller zu werden. Zwischen 1908 und 1910 schrieb er zahlreiche Humoresken für verschiedene Zeitschriften wie "Kopřivy"(Brennnesseln) und "Karikatury". Er schockte die damalige Literaturszene -die ihn ignorierte oder verachtete -mit seiner derben, volkstümlichen Sprache, machte sich über alles und jeden lustig und rühmte sich, weder seine Manuskripte noch die gedruckten Beiträge jemals zu lesen.

Aufgrund ständiger Probleme mit Verlegern und Redakteuren bewarb er sich 1910 bei der Zeitschrift "Svět zvířat" ("Welt der Tiere"), der er durch die Veröffentlichung erfundener Tiere zu kurzer Berühmtheit verhalf.

Urgebirgsfloh

Seine Reportage über die spektakuläre Entdeckung eines Flohs aus der Urzeit ("Urgebirgsfloh") sorgte für großes Aufsehen in der Fachwelt. Hašek korrespondierte mit Zoologen aus aller Welt. Nach detaillierten Schilderungen von Papageien, die sich bis zur Bewusstlosigkeit betrinken, und Tipps zur Zucht von Werwölfen musste er auch diese Stellung aufgeben.

Er war Mitgründer der "Partei für gemäßigten Fortschritt in den Schranken der Gesetze" die 1911 die Wahlmethoden der anderen Parteien satirisch kommentierte. In seinen Reden im Prager Lokal Kravin (Kuhstall) forderte er die Wiedereinführung der Sklaverei, die Verstaatlichung der Hausmeister und versprach den Wählern der Partei ein Taschenaquarium.

Mit Beginn des Ersten Weltkriegs wurde Hašek zum Militär einberufen, ließ sich an der Ostfront ohne Gegenwehr von den Russen gefangen nehmen und wechselte zur Roten Armee. 1916 wurde er mittels eines Fahndungsschreibens wegen Hochverrats gesucht, weil er in Kiew bei einer tschechischen Zeitung "monarchiefeindliche" Beiträge veröffentlichte. 1920 kehrte er mit einer russischen Frau nach Prag zurück, ohne von seiner ersten Frau Jarmila geschieden worden zu sein.

Er nahm die Arbeit an seinem Hauptwerk "Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk" auf. Bis zu seinem frühen Tod konnte Hašek lediglich drei Teile des Romans vollenden.

Im Frühjahr 1921 erschienen die ersten Folgen in billigen Leseheften im Eigenverlag des Autors und wurden an Kiosken und in Prager Gaststätten angeboten.

Billighefte

Niemand konnte damals ahnen, dass der Fortsetzungsroman in wertlosen Heften das weltweit populärste Werk der tschechischen Literatur werden sollte, vielfach übersetzt, dramatisiert und verfilmt.

Der "Groschen-Roman" begeisterte Leserinnen und Leser, das Urteil der Literaturkritik war jedoch vernichtend. Die Rezensenten fanden wenig Geschmack an dieser Militärsatire und dem zynischen, von umgangs-und vulgärsprachlichen Elementen durchsetzten Stil. Hašek sei ein schlampiger, ständig betrunkener, unberechenbare Anarchist, war die Meinung der Literaten, er schaffte es nie, in ihre Kreise aufgenommen zu werden.

Eine spätere Zusammenstellung des Gesamtwerkes stößt bis heute immer wieder auf Schwierigkeiten. Er veröffentlichte mehr als 2.000 Kurzgeschichten unter etwa 150 verschiedenen Decknamen, manchmal aus Spaß, dann wieder, weil er gleichzeitig für Blätter kontroverser politischer Ausrichtung schrieb.

Aufsehen erregte eine heftige Polemik, die zwei Redakteure, der eine in einem sozialdemokratischen Blatt, der anderen in einem nationalen, wochenlang gegeneinander führten. Die Attacken waren so aggressiv, dass man in Prag bereits von einem drohenden Gerichtsverfahren sprach -bis sich herausstellt, dass sich hinter beiden Decknamen Hašek verbarg.

"Hašek war ein Humorist des allergrößten Formates, den mit Cervantes und Rabelais zu vergleichen vielleicht einer späteren Zeit nicht allzu gewagt erscheinen wird", urteilte Max Brod, der Freund Franz Kafkas. Brod war einer der wenigen Kritiker, der Bedeutung und literarische Qualität des Werkes sehr früh erkannt hatten. Auch wenn die Erzählung die Verhältnisse in der österreichisch-ungarischen Monarchie beschreibt, ist sie eine zeitlose Satire. Die Militärbehörden der tschechoslowakischen Republik verboten im Februar 1925 den Roman. Er wurde aus den Regalen der militärischen Büchereien entfernt. Begründung: "Švejk" gefährde militärische Zucht und Disziplin.

Übersetzungen

Mit der ersten deutschsprachigen Ausgabe von Hašeks Roman beginnt der internationale Erfolg des Werkes, das bisher in rund 60 Sprachen vorliegt. Es war für den Prager Verlag Adolf Synek nicht einfach, jemanden für die Übersetzung zu finden. Die einzige, die sich bereit erklärte, war die Publizistin Grete Reiner, obwohl ihr viele abrieten.

1943 oder 1944 - niemand weiß genau, wann - wurde Grete Reiner in Auschwitz ermordet.