Italienischer
Alltag im Urlaub

Von Wien nach Asolo sind es etwa sieben Stunden mit dem Auto. Von Kärnten kommend, nach der völlig unbewachten Grenze ohne Gesundheitspass und Tests führt die Autobahn durch die Provinz Friaul-Julisch Venetien, die wilden Schluchten der Dolomiten, bis die Landschaft plötzlich flach und eben wird, voller Gemüse-, Obstfelder und Weingärten, und sich die Küche Europas im Norden Italiens ankündigt.

von Schlaglichter - Italienischer
Alltag im Urlaub © Bild: Getty Images

Bereits in Tarvis, kurz nach der Grenze, wird Pasta in ihrer Originalform serviert, anders gekocht und zubereitet als in Österreich. Der Kaffee schmeckt bitter und kräftig. Eine Italienerin erklärte mir vor vielen Jahren, der echte italienische Espresso müsse den Zuckertest bestehen. Die kaum den Boden der kleinen Tasse bedeckende, schwarze Flüssigkeit eines kleinen Espressos müsse den Zucker, der auf den Kaffee gestreut werde, eine Zeit lang halten, und er dürfe nicht sofort versinken.

Weiter im Süden, kurz vor Venedig, verlassen nur wenige die Autobahn und biegen rechts ab in die Richtung der hügeligen Landschaft der Voralpen, wo Asolo mit kaum zehntausend Einwohnern als eines der schönsten Dörfer Italiens in der Provinz Treviso liegt. Zwei Frauen gaben dem Dorf die heutige Bedeutung. 1489 bot Venedig der Königin von Zypern, Caterina Cornaro, Asolo als Dank für den Verzicht auf die Insel nach dem Tod ihres Gatten, der in Venedig herrschte. Sie verwandelte den verschlafenen Ort in ein Zentrum für Gelehrte, Dichter und Künstler, Adel aus ganz Europa besuchte die Feste, Villen wurden gebaut, prächtige Paläste, weitläufige, luxuriöse Landsitze und stufenförmige Parkanlagen mit Statuen, Grünflächen und Rosengärten verzierten die steilen Hänge. Nach dem Tod von Cornaro hörten die Feste auf. Asolo verfiel in einen Jahrhunderte langen Winterschlaf, behielt jedoch seinen Charme und seine Ausstrahlung und veränderte sich zu einem beliebten Ruheort mit angenehmer Atmosphäre für Schauspieler, Dichter, Komponisten und wohlhabende Industrielle. Die wohl bedeutendste, italienische Schauspielerin des 19. Jahrhundert, Eleonora Dusa, wurde hier begraben, über deren Gastspiel in Wien ein Kritiker schrieb: "Am ersten Abend war der Theatersaal leer, nach der zweiten Vorstellung war sie weltberühmt."

Am Fenster seines Hauses

Der englische Dichter Robert Browning baute eine Villa in der Nähe des Hauptplatzes. Er schrieb, er sitze am liebsten am Fenster seines Hauses, und der Blick auf das Zentrum der Stadt sei für ihn der schönste Platz der Welt. Die englische Schriftstellerin Freya Stark lebte hier und der Komponist Gian Francesco Malipiero.

Die Stadt hat keine Sehenswürdigkeit, kein wichtiges Museum mit zeitlosen Schätzen und kein Gebäude, vor dem Touristen geduldig warten, um an einer Tour teilzunehmen. Hier sitzt man in Cafés, langweilt sich auf hohem Niveau und geht spazieren. Durch enge, steile Gassen, über weite Plätze, vorbei an winzigen Geschäfte wie einem Tuchladen, vor dem die Besitzerin auf einem Holzsessel mit aus Seilen geflochtener Sitzfläche sitzt und ein Buch liest. Kommt ein Kunde, gibt sie vorsichtig ein Lesezeichen zwischen die Seiten, steht auf, legt das Buch auf den Sessel, grüßt mit "Buongiorno" und führt den Kunden in ihr Geschäft. Dort stapeln sich Tischtücher, Servietten, Schals aus Seide, Wolle und Baumwolle, Steck-und Taschentücher, gestreift, mit Quadraten, farbig oder einfach weiß.

Eine der schönsten Villen mitten im Ort ist heute das beste Hotel der Stadt, die Villa Cipriani. Mehrere ältere Gebäude, an deren Hauswänden sich Pflanzen hocharbeiten, blumenverzierte Fensterstöcke, ein weitläufigerPark mit saisonal wechselnden Blumen und eine Gästeliste, die das "Who's who" der Prominenz widerspiegelt. Die Königin Mutter von England, Prinz Philip, Juliana von Holland, Albert von Monaco, Marcello Mastroianni, Orson Welles, Peter O'Toole und Catherine Deneuve residierten hier. Wem die Zimmer zu teuer sind, sollte einfach im Garten mit Blick über das Tal einen Cappuccino genießen, der allerdings nach ungeschriebenen, italienischen Regeln nur bis Mittag getrunken werden darf. Später sollte es ein Espresso sein.

Generationen getrennt im Café

Im Zentrum ein länglicher Platz mit Cafés und Restaurants, der am Nachmittag von der lokalen Bevölkerung übernommen wird. Im größten Café sitzen Generationen getrennt um zusammengestellte Tische und reden und reden, kaum einer starrt auf sein Mobiltelefon, anscheinend wartet niemand auf einen dringenden Anruf. Dennoch, das Chaos täuscht, nichts geschieht hier zufällig. Selbst im Café hat alles seine Tradition. In der Nähe des Eingangs sitzen mehrere ältere Frauen an einem Tisch. Mit etwas Abstand, jedoch nahe genug, um einander zurufen zu können, die älteren Männer. Als hätten sie alle ihre Partner und Partnerinnen längst begraben, läuft das Geschehen in enger Verbundenheit zwischen Männern und Frauen getrennt und dennoch miteinander ab.

Als Ahnungsloser ohne Italienischkenntnisse erschrickt man über die Lautstärke der Diskutierenden, die mit ernsten Gesichter und aufgerissenen Augen, schnellen Handbewegungen, um dem Gesagten die Bedeutung zuzuordnen, einander anschreien, und fürchtet bereits einen Streit, der hier ausbrechen könnte. Als plötzlich alle zu lachen beginnen und sich kaum mehr beruhigen, als hätte ein Schauspieler mit dramatischen Gesten einen originellen Witz erzählt.

Nahe der Straße sitzt die Jugend an den Tischen. Vorbeigehende werden tuschelnd beurteilt und kommentiert, sobald sie weit genug entfernt sind, manche von ihnen begrüßt und zum Dazusetzen aufgefordert. Auf den Tischen der Älteren und Jüngeren stehen orangefarbene Getränke, es ist Aperitif-Zeit. Andere trinken aus schlanken Gläsern Prosecco, der aus der Umgebung von Asolo, dem Zentrum der Prosecco-Herstellung, kommt.

Geheimnis des langen Lebens

Beim Abendessen im Garten eines Restaurants, das im Eingang stolz auf einer Tafel verkündet, dass es seit 1904 in einer Familie und ohne größere Veränderungen überlebt hat, beobachtete ich zwei Ehepaare um die fünfzig an einem Tisch neben mir. Am Weg vom Hotel ging ich an der Anschlagtafel des Rathauses vorbei, wo nach italienischer Tradition die Namen der Verstorbenen mit einem Foto bekanntgegeben werden. Außer einem Sportler, der mit 45 Jahren bei einem Fahrradunfall verunglückte, verstarb eine Frau im Alter von 102, eine mit 100 Jahren und zwei Männer mit 98 und 99 Jahren. Verdammt noch einmal, dachte ich mir, was essen die hier, was ist deren Geheimnis?

Ich fragte die Wirtin, was hier die Spezialität sei, und sie antwortete: Erbsen. Sie zeigte auf einen Tisch, wo zwei Mädchen, vielleicht ihre Töchter, saßen und aus einem Berg Erbsen auf der Tischplatte die Schoten öffneten und die grünen Kugeln in eine Schüssel fallen ließen. Ich versuchte, ihr zu erklären, ich würde gern genau das Gleiche essen wie der Tisch neben mir, vom Anfang bis zum Ende, und mit einer Mischung aus Englisch, Deutsch und ein paar Worten Italienisch gelang die Bestellung.

Niemand wird allein gelassen

Ich bekam ein mehrgängiges Abendessen mit lokalen Spezialitäten, etwas Nudeln mit Zwiebeln und Anchovis, ein Stück Stoccafisso (Stockfisch) mit Polenta und natürlich Erbsen, dazu einen Radicchio-Salat, Tiramisu und Kaffee. Nur ein Glas Rotwein, nicht mehr, warnte die Wirtin. Ich versuchte, sie zu fragen, warum Menschen hier so alt werden. Sie verstand mich nicht und holte ihre Tochter, die fließend Englisch sprach. Sie übersetzte die Erklärung der Mutter: immer nur kleine Portionen, von allem etwas, höchstens ein Glas Wein. Aber viel wichtiger sei die Gesellschaft.

"Wir lassen hier niemand alleine, auch wenn der eine oder die andere den Partner oder die Eltern verliert. Bei mir wird niemand alleine am Tisch sitzen", erklärte mir die Chefin.

Drei Tage war ich in Asolo, ohne Meer, ohne Museum und Sehenswürdigkeiten. In Asolo leiht man den Fremden den italienischen Alltag, das Leben der Italiener und Italienerinnen. Verborgt es großzügig, lässt die Gäste teilnehmen an ihren Gewohnheiten und Traditionen und schickt sie dann wieder nach Hause.